Das Ende der Illusionen

Hoffnungen auf das schnelle Riesengeschäft mit der Altersvorsorge haben sich nicht erfüllt – die Chancen sind geblieben

Von Herbert Fromme, Köln Knapp ein Jahr nach Verabschiedung der Riester-Reformen macht sich Ernüchterung breit. „Das erwartete Jahrhundertgeschäft fällt magerer als erwartet aus“, beschreibt Stephan Binder von der Unternehmensberatung McKinsey & Company die Stimmung bei Versicherern und Banken.

Noch vor sechs Monaten hörte sich das anders an. Allein durch die Riester-Rente werde der Lebensversicherungsmarkt von 60 Mrd. Euro noch einmal um die Hälfte zulegen, schätzte die Branche. Von den rund 30 Millionen Bundesbürgern, die einen Anspruch auf einen förderfähigen Vertrag haben, würden 70 Prozent ihn wahrnehmen, die meisten bis Ende 2002. Bisher wurden 1,5 Millionen Riester-Verträge verkauft. Aber dass sich diese Zahl in diesem Jahr noch mehr als verzehnfacht, ist unwahrscheinlich. Auch die Riester-Rente verkauft sich nicht allein, sondern muss zum Kunden gebracht werden. Niedrige Margen in diesem Geschäft steigern die Begeisterung gerade der unabhängigen Vertriebe nicht. So hat der AWD, einer der größten der Branche, im Jahr 2001 über alle Sparten mehr als 600 000 Verträge verkauft, nur 15 000 davon Riester-Renten.

Der GDV schätzt, dass im Jahr 2002 das gesamte Riester-Aufkommen einschließlich staatlicher Förderung nur 5 Mrd. Euro beträgt, obwohl das Potenzial bei 16,4 Mrd. Euro liegt.

Geld verdient bisher kaum jemand mit Riester – und das wird auch lange so bleiben. Bei Standard-Lebensversicherungen rechnen die Unternehmen mit einem Vorlauf von fünf bis acht Jahren, bis die Police für die Versicherer profitabel wird. Bei den neuen Produkten liegt die Frist bei mehr als zehn Jahren, der Allianz-Vertriebsvorstand Hansjörg Cramer rechnet gar mit 15 Jahren.

„Die Versicherer tätigen sehr hohe Investitionen in die Datenverarbeitung, um die Produktverwaltung ordentlich zu organisieren“, sagt McKinsey-Manager Binder. Dazu kommen hohe Marketing-Ausgaben. Und das alles für Monatsbeiträge von maximal 43,75 Euro und real 10 bis 15 Euro.

Eigentlich sollte alles ganz einfach sein für die Branche. Ihre Argumentation: trotz Zuwanderung schrumpft die Bevölkerung. Die absolute Bevölkerungszahl, so die Vorhersagen der Demografen, wird noch zwanzig Jahre lang konstant sein, um ab dann von 83 Millionen auf rund 68 Millionen im Jahr 2050 zu fallen. Damit altert die Bevölkerung erheblich. Nach Schätzungen des Gesamtverbandes der Versicherungswirtschaft (GDV) kommen 2030 acht Rentner auf zehn Menschen im erwerbsfähigen Alter, heute sind es vier.

Für die gesetzliche Rentenversicherung, die per Umlage finanziert wird, bedeutet das höhere Beiträge oder niedrigere Renten oder, der wahrscheinlichste Ausgang, beides.

Die Finanzdienstleister versprechen, die Lösung zu haben. „Mit einem Kapitaldeckungssystem lassen sich die Ansprüche künftiger Rentner vorfinanzieren“, argumentiert GDV-Präsident Bernd Michaels. Die Riester-Rente – an deren Einführung die Assekuranz früh mitgewirkt hat – sei ein Schritt in die richtige Richtung.

Dagegen gibt es durchaus Einwände: Ob ein privatisiertes oder teilprivatisiertes Rentensystem immun gegen die Effekte der Überalterung ist, ist in der Wissenschaft durchaus umstritten. Wenn eine Generation Milliarden in Aktien, Anleihen oder Immobilien anlegt und dreißig Jahre später im Alter mit Zinsen verzehren will, müssen Käufer für die Aktien da sein, Steuerzahler für die Bedienung der Staatsanleihen und Käufer oder Mieter für die Immobilien. Ist aber die nächste Generation so viel kleiner, wie erwartet, wird das nicht einfach. Weit blickende Vertreter der Versichererzunft gestehen daher zu, dass auch ihre Branche von den demographischen Problemen betroffen sein könnte. Allerdings sei die private Altersvorsorge wegen der weltweiten Anlagemöglichkeiten weit weniger betroffen als das bisherige starre Umlagesystem.

Fakt ist: Die staatlich geregelte Rente wird magerer ausfallen – Bürger ohne Vermögen müssen privat vorsorgen, wenn sie nicht Gefahr laufen wollen, im Alter zu verarmen. Dabei sind die Deutschen ohnehin schon fleißige Sparer. Ihre Sparquote gehört zu den höchsten der Welt. Deshalb ist es sehr wahrscheinlich, dass ein großer Teil der Geldflüsse in die Riester-Rente oder die betriebliche Altersvorsorge nur aus anderen Sparformen umgeleitet wird.

Um die Beträge, die zusätzlich angelegt werden sollen, konkurrieren Versicherer und Fondsgesellschaften mit ganz anderen Wirtschaftszweigen: mit Autoherstellern, Urlaubsveranstaltern und Eigenheimanbietern. „Unsere Hauptwettbewerber sind nicht die anderen Versicherer, sondern der Konsum“, weiß Versicherungs-Manager Frank Neuroth von der Victoria Leben.

Zitat:

„Das Jahrhundertgeschäft fällt magerer als erwartet aus“ – Stephan Binder

Bild(er):

Die private Altersvorsorge wird für die Bundesbürger unverzichtbar. Für die Finanzdienstleistungsbranche bedeutet sie zunächst hohe Investitionen – Andreas Froeset.

Quelle: Financial Times Deutschland

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