Latent einsturzgefährdet

Deutschlands Lebensversicherer haben sich in eine bedrohliche Schieflage manövriert, weil sie sich an der Börse verzockt haben. So manche Gesellschaft, warnen Experten, könnte die Krise nicht überleben. Damit stehen auch die versprochenen Renditen für die Kunden auf dem Spiel

Für die gewaltige Summe von 2038,6 Mrd. Euro haben die Deutschen ihr Leben versichert. Das meiste Geld wartet in Kapitallebensversicherungen. Trotzdem ist die Branche in einer Krise. Mindestens zehn der rund 120 Anbieter haben ernsthafte Probleme – weil sie sich verspekuliert haben. Mit einer Auffanggesellschaft für Not leidende Unternehmen will die Branche Kunden in Sicherheit wiegen. Doch im Ernstfall werden die Versicherten wohl Renditeeinbußen hinnehmen müssen.

Kapitallebensversicherungen sind ungebrochen populär, vor allem bei Versicherungsvertretern. Denn sie kassieren hohe Provisionen für einen Abschluss. Die Kunden sind allerdings nicht immer glücklich mit der getroffenen Wahl. „Nur jeder zweite Vertrag erreicht das Ende seiner Laufzeit“, weiß Frank Braun, Geschäftsführer des Bundes der Versicherten (BdV). Doch mit ihren Heerscharen von Vertretern drückt die Assekuranz die Produkte weiter in den Markt. Der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft erwartet, dass die Zahl der Lebensversicherungsverträge in diesem Jahr auf stolze 93 Millionen steigt.

Tatsächlich kann eine Kapitallebensversicherung gegenüber anderen Anlageformen Vorteile haben. Sie verknüpft Todesfallschutz mit einer Geldanlage. Selbstständige können einen großen Teil der Beiträge in der Regel von der Steuer absetzen. Außerdem ist die Auszahlung steuerfrei, wenn der Vertrag über mindestens 12 Jahre läuft, mindestens fünf Jahre Beiträge gezahlt wurden und die Hinterbliebenen im Todesfall des Versicherungsnehmers mindestens 60 Prozent der garantierten Versicherungssumme erhalten. Wer seine Hinterbliebenen besser absichern will, sollte allerdings zusätzlich eine Risikolebensversicherung abschließen. Denn die Abdeckung des Todesfallrisikos über eine Kapitallebensversicherung lohnt sich nur aus steuerlichen Gründen, ansonsten ist sie zu teuer.

Die Anbieter sehr gut anschauen sollten sich Kunden, die jetzt eine Lebensversicherung abschließen wollen. So manche Gesellschaft ist in ernsthaften Schwierigkeiten. Die Hannoversche Leben etwa ließ ihre Kunden immer zeitnah an Gewinnen teilhaben. Sie baute wenig Polster auf. Jetzt, nach Börsencrash und Kapitalmarktkrise, hat sie große Probleme, die Finanzaufsicht setzte den Vorstand ab.

Seit Anfang der 90er Jahre sinken die Zinsen auf Staatsanleihen und andere festverzinsliche Papiere. Gleichzeitig boomten die Aktienmärkte. Viele Versicherer stiegen erst spät in großem Stil in die Aktienmärkte ein. Angesichts der anhaltenden Börsenflaute ist der Katzenjammer nun groß. Die Unternehmen müssen ihren Kunden für jetzt abgeschlossene Policen eine Mindestverzinsung von 3,25 Prozent garantieren. Außerdem versprechen sie eine so genannte Überschussbeteiligung, die von Gesellschaft zu Gesellschaft variiert und jedes Jahr aufs neue festgelegt wird. Gute Gesellschaften schrieben bisher ihren Kunden insgesamt sieben bis 7,5 Prozent gut. Nun müssen sie auf rund sechs Prozent gehen, viele andere sogar auf fünf Prozent. So mancher Versicherer hat es schwer, selbst diese Rendite oder die vorgeschriebene Mindestrendite zu erwirtschaften. Zwar ist noch nie in der Bundesrepublik ein Lebensversicherer Pleite gegangen. Das heißt aber nicht, dass noch nie ein Unternehmen in existenziellen Schwierigkeiten gesteckt hätte. Gerät eine Gesellschaft in Not, kriecht sie üblicherweise bei einer anderen unter. Obdach fanden Unternehmen bislang immer, schließlich würde ein Crash dem Image der ganzen Branche schaden. Die HUK-Coburg hat in diesem Sommer zum Beispiel den Bestand der Not leidenden Detmolder Familienfürsorge übernommen.

Schon Mitte der 90er Jahre geriet die Kölner Postversicherung (KPV) nach waghalsigen Finanzmanövern in Schwierigkeiten. Ihre Kunden fanden bei der Vereinigten Postversicherung (VPV) in Stuttgart Asyl. Die Übernahme zeigt: Die Kunden einer angeschlagenen Gesellschaft müssen bei einer Rettungsaktion hohe Renditeeinbußen hinnehmen. Den ehemaligen KPV-Versicherten schrieb die VPV 1999 eine Überschussbeteiligung von fünf Prozent gut, ihren eigenen Kunden 6,8 Prozent. In den beiden folgenden Jahren betrug der Unterschied noch 1,3 Prozent. Erst 2002 schmolz er auf 0,3 Prozent zusammen, weil die VPV die Überschussbeteiligung für ihre Originalkunden auf 5,8 Prozent senkte.

Das zeigt, welche Konsequenzen die Notfallpläne der Assekuranz für die Kunden haben können. Mithilfe der neu gegründeten „Protektor“, an der alle Lebensversicherer beteiligt sind, sollen die Verträge Not leidender Lebensversicherer fortgeführt werden. Recht haben die Versicherer mit ihrer Behauptung, dass damit ein Schutz gegen den Totalschaden für den Kunden geschaffen wurde. Unrecht haben sie, wenn sie meinen, der Kunde erleide überhaupt keinen Schaden. Denn die Einlagen der Kunden sind mithilfe von Protektor zwar gesichert. „Aber man weiß nicht, wie hoch die Verzinsung sein wird“, sagt Elke Weidenbach, Versicherungsexpertin der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen.

Die jetzige Krise sollte Kunden nicht vom Abschluss einer Kapitallebensversicherung abschrecken, meint Weidenbach. „Verbraucher müssen sich fragen, ob eine Kapitallebensversicherung für sie grundsätzlich sinnvoll ist.“ Auf gar keinen Fall sollten sie wegen der Krise den Vertrag kündigen. Wer das in den ersten Jahren nach Vertragsabschluss tut, erhält wenig von seinem Geld zurück. Mit den ersten Zahlungseingängen bestreiten die Versicherer die Abschlusskosten, vor allem Provisionen. „Wenn man unbedingt Geld braucht, kann man den Vertrag verkaufen“, empfiehlt Weidenbach. Gesellschaften wie Cash.Life kaufen Policen und zahlen etwa zehn bis 15 Prozent mehr als der Versicherer, der den Vertrag zurücknimmt.

Nicht wegen der aktuellen Krise, sondern aus Prinzip sollten Verbraucher die Finger von Kapitallebensversicherungen lassen, findet dagegen BdV-Geschäftsführer Braun. „Die grundsätzlichen Probleme werden jetzt erst richtig deutlich“, sagt er. Braun kritisiert die mangelnde Transparenz der Verträge. Denn der Kunde weiß nicht, wie viel der Versicherer von seinem Geld selbst einsteckt, was zur Abdeckung des Todesfallschutzes ausgegeben wird und welchen Betrag die Gesellschaft auf die hohe Kante legt.

Geschäftsführer Braun hält deshalb anderer Anlageformen für lukrativer, zum Beispiel Kombinationen von festverzinslichen Papieren und breit gestreuten Aktienfonds. Sehr viel anders legt die Assekuranz das Geld der Kunden auch nicht an, nimmt dafür aber hohe Gebühren, argumentiert er.

Zitat:

„Nur jeder zweite Lebensversicherungsvertrag erreicht das Ende seiner Laufzeit“ – Frank Braun, Geschäftsführer des Bundes der Versicherten

Bild(er):

Mit waghalsigen Geschäften an der Börse haben die Lebensversicherer selbst die Zündschnur an die Mauern ihrer einst so festen Trutzburgen gelegt – gettyimages (3).

Quelle: Financial Times Deutschland

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