Krankenversicherer im Wechselbad

Gesundheitspolitik birgt Chancen und Risiken für die Branche “ Ausgabenschub bleibt ungebremst

Von Ilse Schlingensiepen Die Politiker bereiten den privaten Krankenversicherern (PKV) zur Zeit ein Wechselbad der Gefühle. Erst beschränkt die Bundesregierung durch die Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze massiv das Kundenpotenzial der Branche. Wenige Wochen später führt sie den Versicherern mit der möglichen Privatisierung der Krankengeld-Absicherung ein neues lukratives Geschäftsfeld vor Augen.

Als Teil des sozialen Sicherungssystems stehen die privaten Krankenversicherer anders als der Rest der Assekuranz in direkter Abhängigkeit von politischen Entscheidungen. Zum 1. Januar diesen Jahres hat die Regierung die Versicherungspflichtgrenze von monatlich 3375 Euro auf 3825 Euro angehoben. Jetzt dürfen sich abhängig Beschäftigte nur noch dann privat krankenversichern, wenn sie mehr als 3825 Euro verdienen. Nur Selbstständige und Beamte können unabhängig von ihrem Einkommen private Deckungen kaufen.

Von der Anhebung der Versicherungspflichtgrenze sind rund 750 000 Versicherte mit ihren Familienangehörigen betroffen. Ihnen ist der Wechsel von der gesetzlichen in die private Versicherung seit dem 1. Januar 2003 erst einmal verwehrt. „Das schränkt unsere Möglichkeiten, neue Kunden zu gewinnen, erheblich ein“, sagte Volker Leienbach, Direktor des Verbandes der privaten Krankenversicherung (PKV-Verband) in Köln. Es sei aber noch zu früh, die Auswirkungen auf das Neugeschäft und die Prämieneinnahmen konkret zu beziffern.

Mit Erleichterung wird die Branche zur Kenntnis genommen haben, dass Bundeskanzler Gerhard Schröder in seiner Regierungserklärung das Thema Versicherungspflichtgrenze nicht angesprochen hat. Immerhin gibt es starke Stimmen in den Gewerkschaften und der SPD, die für eine weitere deutliche Anhebung und damit eine noch stärkere Beschneidung der PKV plädieren.

Im vergangenen Jahr verbuchten die 50 Mitgliedsunternehmen des PKV-Verbands nach vorläufigen Zahlen Prämieneinnahmen von 23,1 Mrd. Euro, ein Plus von 6,4 Prozent gegenüber 2001. Die PKV hat sich in den letzten Jahren zur einnahmestärksten Versicherungssparte nach der Lebensversicherung entwickelt. Die Zahl der Vollversicherten stieg um 221 000 auf 7,9 Mio. Knapp die Hälfte von ihnen sind beihilfeberechtigte Beamte. Die Debatte über Leistungseinschränkungen in der GKV bescherte den Privatversicherern schon in den Jahren davor einen starken Zustrom: Im Jahr 2000 verbuchte die Branche 166 000 Vollversicherte mehr, 2001 weitere 216 000.

Auf den Verkauf von Zusatzversicherungen an gesetzlich Versicherte entfielen in den letzten Jahren 17 bis 20 Prozent der Prämieneinnahmen. Die Ankündigung des Bundeskanzlers, dass in Zukunft das Krankengeld aus der paritätisch finanzierten gesetzlichen Krankenversicherung ausgegliedert werden könnte, stößt in der PKV auf ein positives Echo. Das könnte ihr ein ansehnliches Umsatzplus im Zusatzsektor verschaffen. Zur Zeit geben die gesetzlichen Krankenkassen für diesen Bereich 8,2 Mrd. Euro aus. „Das ist eine stolze Herausforderung für uns“, sagte Leienbach. Er zweifelt keinen Moment daran, dass die Unternehmen sie meistern können: „Wenn die Politik die Rahmenbedingungen festgeklopft hat, ist die PKV schnell mit einem passenden Produkt auf dem Markt.“

Wissen müssten die Versicherer unter anderem, ob die private Versicherung verpflichtend wird – alles andere würde nach Einschätzung Leienbachs keinen Sinn machen. Auch die Höhe des abzusichernden Krankengeldes muss die Politik regeln, ebenso, ob es geschlechtsspezifische Tarife gibt. Allerdings steht noch gar nicht fest, ob das Krankengeld tatsächlich in die PKV verlagert wird. Möglich ist auch, dass es bei den gesetzlichen Krankenkassen bleibt, die Arbeitnehmer aber künftig allein Beiträge dafür zahlen sollen.

Für Leienbach steht außer Frage, dass alle Formen der Zusatzversicherung ausschließlich in die Hände der Privaten gehören. Nur sie hätten die Instrumente, um angemessene Tarife zu kalkulieren. Mit dem Umstieg in die kapitalgedeckte Versicherung schaffe die PKV vor allem eine größere Demographiesicherheit, ist das Branchencredo.

Vorschläge der Krankenkassen, auch ihnen den Verkauf von umlagefinanzierten Zusatzversicherungen zu ermöglichen, machten keinen Sinn. „Man könnte der Bevölkerung schwer erklären, warum Bereiche, die nicht in die gesetzliche Krankenversicherung gehören, Tochterunternehmen der Krankenkassen überlassen werden“, sagte er.

Mit Sorge betrachtet die PKV die Ausgabenentwicklung. Seit Jahren steigen bei den Privaten die Kosten deutlich stärker als im gesetzlich budgetierten Kassensektor. Im vergangenen Jahr nahmen die Leistungsausgaben um 5,5 Prozent auf 15,2 Mrd. Euro zu. Besonders zu schaffen macht der Branche der starke Anstieg bei den Kosten für Arzneimittel und die ambulante ärztliche Behandlung. „Wir brauchen unbedingt eine neue Gebührenordnung für Ärzte“, sagte Leienbach. Obwohl sich die Bewertung der einzelnen ärztlichen Leistungen länger nicht verändert hat, verzeichnen die Versicherer ständig steigende Kosten. „Es gibt hier eine deutliche Mengenausweitung.“ Schon lange ärgert sich die Branche darüber, dass die Ärzte versuchen, Einnahmerückgänge bei den Kassenpatienten über ihre private Klientel zu kompensieren. „Wir brauchen ein Instrumentarium, um in diesem Bereich zu verbindlichen Vereinbarungen mit den Leistungserbringern kommen zu können.“

Bild(er):

Wartezimmerschild in der Arztpraxis. Die privaten Versicherer wollen nicht länger die Zahlmeister sein – FTD.

Quelle: Financial Times Deutschland

Dieser Beitrag ist nur für Premium-Abonnenten vom Versicherungsmonitor persönlich bestimmt. Das Weiterleiten der Inhalte – auch an Kollegen – ist nicht gestattet. Bitte bedenken Sie: Mit einer von uns nicht autorisierten Weitergabe brechen Sie nicht nur das Gesetz, sondern sehr wahrscheinlich auch Compliance-Vorschriften Ihres Unternehmens.

Diskutieren Sie mit