Versicherer fürchten Milliardenschäden

Spezialisten erwarten enorme Belastung durch Orkan „Kyrill“ · Öffentliche Schadensregulierer am stärksten betroffen · Branche erwägt Preiserhöhungen

VON Herbert Fromme und Patrick Hagen, Köln D er Wintersturm „Kyrill“ wird die Versicherungswirtschaft in Europa zwischen 4 und 8 Mrd. Euro kosten. Diese Spanne nannte Applied Insurance Research (AIR) in Boston, eine von weltweit drei führenden Spezialfirmen für Katastrophenmodellierungen. „,Kyrill ist der schlimmste Sturm in Europa seit acht Jahren'“, sagte Peter Dailey, Chef der Abteilung Atmospheric Science bei AIR. Am Freitag hatte der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft die versicherten Schäden nur für Deutschland auf rund 1 Mrd. Euro geschätzt. Der Rückversicherer Münchener Rück will erst in dieser Woche eine Schätzung wagen.

AIR berechnet auf Grundlage großer Datenbestände für Versicherer die Wahrscheinlichkeit von Stürmen und Erdbeben sowie deren Kosten. Groß geworden ist AIR wie sein Konkurrent Risk Management Solutions mit Hurrikanmodellen in den USA, hat aber in den vergangenen Jahren seine Präsenz in Europa stark ausgebaut.

Damit erreicht die Schadenbelastung durch „Kyrill“ die Größenordnungen von „Daria“ und „Lothar“. „Daria“ wütete 1990 und kostete die Versicherungswirtschaft damals 5,1 Mrd. $, indiziert auf heutige Preise rund 5,4 Mrd. Euro. „Lothar“ war 1999 aktiv und schlug mit 5,9 Mrd. $ zu Buche, umgerechnet und in heutigen Preisen nur knapp unter „Daria“. Die volkswirtschaftlichen Schäden lagen in beiden Fällen deutlich über den Zahlungen der Versicherer, bei „Lothar“ wurden sie auf 11,5 Mrd. $ geschätzt.

Allerdings ist die Schadenhöhe für „Kyrill“ immer noch weit entfernt von der großer Hurrikans in den USA. „Katrina“ kostete 2005 die Versicherungswirtschaft 45 Mrd. $, umgerechnet 35 Mrd. Euro.

Für „Kyrill“ müssen vor allem Gesellschaften zahlen, die Gebäude, Autos und Industrieanlagen sowie die Infrastruktur absichern. Der Großschaden erhöht den Druck auf die Versicherer, die Preise in der Gebäudeversicherung drastisch zu erhöhen. Ohnehin verdienten die meisten Gesellschaften in dieser Sparte in den vergangenen Jahren kaum Geld – stagnierende oder durch die Konkurrenz fallende Preise kamen zusammen mit höherem Schaden. Der entsprang aber nicht in erster Linie Stürmen, sondern korrodierenden Wasserleitungen. Jetzt kommt „Kyrill“ hinzu.

Auch die Rückversicherer wie Swiss Re, Münchener Rück oder Hannover Rück werden jetzt versuchen, deutliche Preiserhöhungen durchzusetzen. Die Großhändler des Risikoschutzes werden einen großen Teil der Sturmschäden tragen müssen. In der Regel kaufen Erstversicherer – wie Allianz, Axa, Provinzial oder Zürich – Schutzdeckungen für die Folgen einzelner Ereignisse. Wenn ein Sturm für eine einzelne Gesellschaft den Wert X überschreitet – das können 10 Mio. Euro, 50 Mio. Euro oder jeder andere Wert sein – zahlt der Rückversicherer die oberhalb der Schwelle liegenden Schäden.

Nach den hohen Belastungen durch die Hurrikans in den USA hatten die Rückversicherer 2006 versucht, nicht nur für US-Risiken, sondern auch für europäische Deckungen deutliche Preiserhöhungen durchzusetzen – weitgehend ohne Erfolg. Das dürfte sich jetzt ändern, wenn auch der allgemeine Trend zu fallenden Rückversicherungspreisen kaum gebrochen sein wird.

Unter den Erstversicherern, die mit Endkunden Geschäfte machen, sind die zum Sparkassenlager gehörenden öffentlichen Versicherer besonders betroffen. Sie sind in vielen Regionen die führenden Gebäudeversicherer. Die Versicherungskammer Bayern verzeichnete bis Freitag 4500 Schadensmeldungen. Davon betreffen 90 Prozent die Gebäudeversicherung. Der öffentliche Versicherer ist in Bayern und der Pfalz führend in der Gebäudeversicherung. Konkrete Zahlen wollte das Unternehmen noch nicht nennen. „Wir gehen aber davon aus, dass die Schäden die Größenordnung von ,Lothar‘ erreichen könnten“, sagte eine Sprecherin. Damals musste die Gesellschaft 40 Mio. Euro zahlen.

Mit einer Schadenhöhe von 40 Mio. Euro rechnet auch die Sparkassenversicherung (SV) in Stuttgart. Die SV ist nach eigenen Angaben der größte Gebäudeversicherer in Deutschland und Marktführer in Baden-Württemberg und Hessen. Dem Unternehmen wurden Schäden an etwa 30 000 Gebäuden gemeldet. Deutlich stärker betroffen war die Westfälische Provinzial in Münster. Die Westfalen rechnen mit über 150 000 Schäden und einem Aufwand von 70 Mio. Euro bis 100 Mio. Euro

Die Provinzial Nord in Kiel, seit 2005 in einer Gruppe mit Münster, hatte am Freitag etwa 4000 meist kleinere Schäden und rechnet mit nur 3 Mio. Euro. Dazu kommen noch 2 Mio. Euro bei der zur Gruppe gehörenden Hamburger Feuerkasse.

Deutschlands größter Versicherer Allianz wollte keine Angaben machen. „Es ist noch zu früh für Schadenprognosen“, sagte ein Sprecher. Über Unternehmen, die schon jetzt Schadenzahlen bekannt geben, wunderte er sich. „Das ist mutig.“

Zitat:

“ „,Kyrill‘ ist der schlimmste Sturm in Europa seitacht Jahren““ – Peter Dailey, Chef der AbteilungAtmospheric Research, AIR –

Bild(er):

Dächer, Strommasten, Bahnhöfe: Kyrill richtete auf seinem Weg durchs Land schwere Schäden an. Elf Menschen starben. Am meisten Aufmerksamkeit jedoch bekam der abgestürzte Träger am Berliner Hauptbahnhof – AP/Franka Bruhns; ddp/Ronny Hartmann; ddp/Stefan Kiefer

www.FTD.de/debatte/70

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Quelle: Financial Times Deutschland

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