Mehr Krach um die Privatrente

Viele Lebensversicherer zahlen dem Kunden weniger als versprochen. Immer mehr Verbraucher wehren sich dagegen. Das neue Recht stärkt ihre Position

Von Herbert Fromme D ie deutschen Lebensversicherer und ihre Kunden treffen sich immer öfter vor Gericht. Das neue Versicherungsvertragsgesetz (VVG), das zum 1. Januar 2008 in Kraft tritt, wird diesen Trend noch verschärfen. „Wir haben schon jetzt einen deutlichen Zuwachs von Fällen in der Personenversicherung, dabei geht es um Lebensversicherungen, die Altersvorsorge und die Krankenversicherung“, sagt der Kölner Fachanwalt Hubert van Bühren, der auch Präsident der Rechtsanwaltskammer Köln ist. „Es gibt zum Teil böse Streitigkeiten mit Versicherern, weil die erwartete Leistung der Gesellschaft in der Privatrente nicht erbracht wird.“

Die Versicherer unterscheiden zwischen garantierten Renten und einem zusätzlichen Teil, der aus der Überschussbeteiligung stammt. Diese schwankt aber mit den Erträgen, die der Versicherer am Kapitalmarkt erzielt. Kunden sei der Unterschied oft nicht klar, beklagt van Bühren, Vertreter argumentierten im Verkaufsgespräch oft mit dem höheren, nicht garantierten Wert.

Deshalb kam es im Gefolge der Kapitalmarktkrise der Jahre 2000 bis 2003 bei den meisten privaten Rentenversicherungen zu drastischen Kürzungen. Wer sich im Jahre 2000 eine Rente gegen Einmalzahlung kaufte, musste seither bei vielen Gesellschaften mit Reduzierungen der monatlichen Zahlungen rechnen. Rund 20 Prozent waren keine Seltenheit. „Die tatsächlichen Leistungen fallen erheblich zurück“, sagt van Bühren. „Viele Versicherungsnehmer klagen, weil die in Aussicht gestellte Rente gekürzt wurde.“

Die Materie sei äußerst kompliziert, so van Bühren. „Nicht alle Fachanwälte können die Berechnungen überprüfen“, gibt er zu. Zwar hätten alle das in ihrer Zusatzausbildung gelernt, aber wenn man sich nicht täglich damit beschäftige, komme man schnell raus. „Bei uns werden diese Berechnungen durch meine Kollegin in meinem Münchner Büro vorgenommen.“ Es handele sich um komplexe Berechnungen auf Grundlage umfangreichen Materials, das vom Versicherer angefordert werden müsse.

Jahrzehntelang war die Lebensversicherung in Deutschland in erster Linie ein steuerbegünstigtes Sparangebot. Kleine monatliche Beiträge reichten aus, und wer zu den rund 50 Prozent der Kunden gehörte, die den Vertrag zwölf Jahre durchhielten, konnte sich über einen steuerfreien Ertrag freuen. Die Policen waren zugleich äußerst wichtig für die Verkäufer der Assekuranz. Nur ihre vergleichsweise hohen Provisionen hielten die Vertriebe bei Laune.

Die Folge: Zahlreiche Bundesbürger besitz mehrere Verträge, oft mit kleinen Summen. 80 Millionen Einwohner halten insgesamt 96 Millionen Lebensversicherungsverträge, davon etwa 65 Millionen Kapitallebensversicherungen. Jährlich zahlen sie dafür mehr als 78 Mrd. Euro als Beiträge.

Obwohl die Versicherungsbranche seit Jahrzehnten ihre Kampagnen für Steuervorteile und staatliche Zuschüsse mit der wichtigen Rolle der Assekuranz in der privaten Altersversorgung begründet, spielt die Lebensversicherung dort bisher eine sehr kleine Rolle. „Erstaunlich gering ist mit drei Prozent der Anteil derjenigen Senioren, die Renten aus privaten Lebens- oder Rentenversicherungen beziehen“, stellte die Bundesregierung in ihrem Rentenbericht 2005 fest. Aber dieser Wert wird kräftig ansteigen und damit auch das Konfliktpotenzial.

Die Fachanwälte erwarten außerdem, dass die Zahl der gerichtlichen Streitfälle zwischen Lebensversicherern und ihren Kunden nach Einführung des VVG 2008 weiter zunimmt. „Neue Gesetze müssen zunächst einmal ausgefüllt werden“, sagt van Bühren. An der grundlegenden Richtung ändere sich nichts. Schon jetzt gilt: „Fast alle BGH-Entscheidungen sind verbraucherfreundlich.“ In das neue Recht fließen viele dieser Urteile ein. Die Anbieter müssen nach dem neuen VVG deutlich mehr Informationen preisgeben. Dazu gehört, dass Gesellschaften ihre Kunden stärker als bisher an den Gewinnen beteiligen, die mit ihren Beiträgen erwirtschaftet werden, und einen festen Wert der Police bei Kündigung – den sogenannten Rückkaufswert – garantieren müssen.

Erstmals erhalten Versicherungsnehmer auch einen individuellen Anspruch auf Beteiligung an den stillen Reserven. Das sind noch nicht realisierte Gewinne aus Kapitalanlagen. Kunden, auch die mit älteren Verträgen, sollen ab 2008 mindestens zu 50 Prozent an den stillen Reserven beteiligt werden, wenn der Vertrag zur Auszahlung kommt.

Gerade in diesen Punkten bleibt die Assekuranz skeptisch. „Für die Lebensversicherung wird die Realisierung des Gesetzentwurfs gravierende Änderungen zur Folge haben“, sagt Maximilian Zimmerer, Chef der Allianz Lebensversicherung und des GDV-Hauptausschusses Lebensversicherung. Die Branche begrüße die Modernisierung der Kundenbeziehungen und werde sich den gewaltigen verwaltungstechnischen Umstellungen stellen. Es gebe aber auch große Probleme mit dem Gesetz, die auch die Interessen der Kunden negativ beeinflussen würden. „Dazu gehörten die garantierten Rückkaufswerte.“

Mit anderen Punkten im Gesetz hat sich die Branche abgefunden. Dazu gehört, dass die Versicherer in Zukunft die Abschlusskosten für Lebensversicherungen, das sind vor allem Provisionen für Vermittler, auf mindestens fünf Jahre verteilen. Bisher ziehen viele Anbieter diese Kosten von den Beiträgen ab, die der Kunde zu Beginn des Vertrags zahlt. Kündigt er früh, bekommt er heute nur wenig von seinem Geld zurück.

Zitat:

“ „Neue Gesetze müssen ausgefüllt werden“ “ – Hubert van Bühren,Anwaltskammer Köln –

Bild(er):

Gegenangriff im Sprung : Der Fechter hat den Angriff seines Gegners erfolgreich pariert und reagiert unmittelbar mit einer Riposte. Er nutzt dabei die Lücke in der Deckung seines Kontrahenten, die durch dessen Attacke entstanden ist – Getty Images/Mike Powell

Quelle: Financial Times Deutschland

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