Koalition streitet über Einheitskasse

SPD fühlt sich durch Ideen der Wirtschaft bei Bürgerversicherung bestätigt · Union sieht Gefahr für private Krankenversicherer

Von Claudia Kade, Berlin,und Herbert Fromme, Köln Die Überlegungen aus der Versicherungswirtschaft für eine einheitliche Grundversorgung in der Krankenversicherung haben den Streit in der Großen Koalition über die Zukunft des Gesundheitssystems neu entfacht. Die SPD sah sich in ihrer Forderung nach einer Bürgerversicherung bestärkt, in die auch Beamte und Selbstständige einzahlen sollen. „Wenn die Privaten jetzt einen Zugang für alle schaffen wollen, finde ich das richtig“, sagte die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Carola Reimann, gestern der FTD. Dagegen warnte der CDU-Gesundheitspolitiker Jens Spahn die Privaten davor, ihre Existenz selbst zu gefährden.

Die von mehreren Versicherungskonzernen angestoßene Debatte über einen radikalen Umbau der Krankenversicherung fällt in eine heikle Phase der Verhandlungen über den ab 2009 geplanten Gesundheitsfonds. Hier ringen CDU, CSU und SPD noch um die Steuerung der Geldströme aus den Ländern, bevor in einigen Monaten der neue einheitliche Kassenbeitrag festgelegt werden soll. Im Unionslager wird befürchtet, dass die SPD die Überlegungen aus der Versicherungswirtschaft zum Anlass nehmen könnte, ihr Modell einer Bürgerversicherung doch noch voranzutreiben und damit die schwierigen Gespräche über den Fonds zusätzlich zu belasten.

Bundeskanzlerin Angela Merkel bekräftigte ausdrücklich den Zeitplan für den vereinbarten Finanzpool. „Der Gesundheitsfonds kommt zum 1. Januar 2009“, sagte die CDU-Vorsitzende. In den Gesprächen zeichneten sich Fortschritte ab. Auch künftig solle den Menschen die Teilhabe am medizinischen Fortschritt gewährleistet werden.

Bei den Überlegungen der Unternehmen geht es im Kern darum, die Trennung zwischen privater und gesetzlicher Krankenversicherung in ihrer bisherigen Form aufzugeben. Langfristig soll die gesamte Deckung beim Grundschutz wie auch bei Zusatzversicherungen privatisiert werden. In Teilen der Versicherungsbranche gibt es gegen die Pläne erheblichen Widerstand.

„Wir wollten, dass mehr Wettbewerb entsteht und dass sich etwas verändert im System“, sagte die SPD-Politikerin Reimann. Sie wandte sich aber gegen die Einheitsprämie. Sie soll unabhängig von Alter und Geschlecht – dem bisherigen Kalkulationsprinzip der Privaten – oder vom Einkommen gelten, nach dem bislang der Beitrag bei den gesetzlichen Kassen bemessen wird. „Ich kann mich mit der Pauschale nicht anfreunden. Es besteht die Gefahr, dass die Privatversicherer die Pauschale sehr klein halten könnten und der damit abgedeckte Grundschutz unzureichend ist“, sagte Reimann. Dann könnten die Unternehmen versuchen, über Zusatzversicherungen ihr Geschäft zu retten. Der Wirtschaftsweise Bert Rürup nannte die Gedanken der Versicherer einen „großen Schritt in die richtige Richtung“. „Ein einheitlicher Versicherungsmarkt, auf dem private und gesetzliche Versicherer mit gleichlangen Spießen konkurrieren, ist erstrebenswert“, sagte er dem „Tagesspiegel“.

Der CDU-Gesundheitspolitiker Spahn reagierte mit Skepsis. „Ich bin irritiert über die Pläne. Ich finde es bedauerlich, wenn die Private Krankenversicherung ihre Kapitalrücklage und damit ihre letzte Legitimation infrage stellt.“ Die Gesundheitsreform werde aber nicht wieder aufgeschnürt.

Der Ärzteverband Hartmannbund warnte vor negativen Folgen für die Patienten. „Die Patientenversorgung und die Finanzlage der Ärzteschaft werden sich verschlechtern“, sagte Verbandschef Kuno Winn der FTD. Dadurch könne sich der ohnehin schon alarmierende Ärztemangel noch weiter verschärfen. Winn verwies außerdem darauf, dass die PKV bisher in hohem Maße innovative Therapien und neue Verfahren mitfinanziert habe, die später auch in der gesetzlichen Krankenversicherung Einzug gehalten hätten.

Eine vom Präsidium des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft Ende 2006 eingesetzte Arbeitsgruppe zur Zukunft der Sozialen Sicherungssysteme hatte die brisanten Vorschläge in einem Papier mit Stand 1. April niedergelegt. Auf Druck des Verbands der privaten Krankenversicherer (PKV) wurden die zehn Seiten mit den Vorschlägen dann aber entfernt. Schon im Oktober 2007 hatte Arbeitsgruppenleiter und Axa-Vorstandsmitglied Heinz Peter Roß vor dem Präsidium erklärt: „Die heutige Dualität von umlagefinanziertem System mit einkommensbezogenen Beiträgen, die gesetzliche Krankenversicherung, und kapitalgedeckter privater Krankenversicherung mit risikoentsprechenden Beiträgen ist in Zukunft politisch kaum haltbar.“ Das System leide unter Inkonsistenzen sowie Vorwürfen von Zweiklassenmedizin und Rosinenpickerei. „Es gibt keine überzeugende ökonomische Rechtfertigung für den Status quo“, sagte Roß im Namen der Arbeitsgruppe. Der Reformdruck werde zunehmen. „Ohne zukunftsweisende Gegenvorschläge der privaten Versicherungswirtschaft ist der Weg zur Bürgerversicherung in der GKV vorgezeichnet.“

Der GDV versuchte gestern, nicht direkt an dem Streit beteiligte Mitgliedsunternehmen zu beruhigen. Es gebe ein vorläufiges Diskussionspapier, das aber nicht die Position des Verbandes darstelle, erklärte der GDV in einem Schreiben an die Mitgliedsunternehmen. In der Berichterstattung über das Arbeitspapier sei unzutreffend, dass dort gefordert werde, die private Krankenversicherung abzuschaffen. „Alle Überlegungen im Verband zielen im Gegenteil darauf, den Anteil der privaten Krankenversicherung an der Gesundheitsversorgung zu stärken“, so der GDV. Im Sinne der größeren Nachhaltigkeit der sozialen Sicherung gelte es, „der Zukunftsvorsorge über kapitalgedeckte Systeme mehr Raum zu geben“.

Bild(er):

Die Reformideen aus der Wirtschaft für die private Krankenversicherung lösen eine Kraftprobe zwischen Union und SPD aus – FTD-Infografik/Klaas Neumann

Quelle: Financial Times Deutschland

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