Kassen wittern privates Zusatzgeschäft

Karlsruher Urteilsspruch beflügelt die gesetzliche Krankenversicherung ·Politiker zufrieden mit dem gewonnenen Spielraum

VON Ilse Schlingensiepen, Köln,

und Herbert Fromme, Karlsruhe

Die gesetzlichen Krankenkassen sehen sich nach dem Scheitern der privaten Konkurrenz vor dem Bundesverfassungsgericht in der Offensive. „Wir werden unsere Zusatztarife jetzt aktiv und intensiv bewerben“, sagte Wilfried Jacobs, Chef der AOK Rheinland/Hamburg, der FTD.

Die Bundesregierung hatte in der jüngsten Gesundheitsreform den gesetzlichen Krankenkassen (GKV) ausdrücklich erlaubt, selbst Wahl- und Zusatztarife anzubieten. Sie konkurrieren dabei direkt mit Zusatzangeboten der privaten Krankenversicherer (PKV). Auch dagegen hatten die Privatversicherer in Karlsruhe Beschwerde eingelegt.

Doch das Gericht wies gestern diesen Teil der Beschwerde als unzulässig zurück. „Die bloße Ermächtigung zur Einführung von Wahltarifen durch die gesetzlichen Krankenversicherungen kann die privaten Krankenversicherungen noch nicht unmittelbar in Grundrechten betreffen“, sagte Verfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier.

Die AOK Rheinland/Hamburg ist Vorreiter bei den Wahltarifen. Seit April 2007 bietet sie ihren Versicherten Zusatzdeckungen für Zahnersatz, bessere Unterbringung im Krankenhaus oder medizinische Versorgung im Ausland an. Das war bis dahin ausschließliches Geschäftsfeld der privaten Anbieter. Bislang hat die Kasse rund 68 000 Policen verkauft.

Die Entscheidung der Karlsruher Richter zeige, dass solche Klagen der falsche Weg seien, sagte Jacobs. „Das Urteil sollte die immer schon klagewütige PKV zum Nachdenken über ihre Geschäftspolitik anregen. Kooperation ist oftmals besser.“ Johannes Vöcking, Vorstandsvorsitzender der Barmer Ersatzkasse, stieß in dasselbe Horn. „An den Klagen aus dem Bereich der PKV kann man erkennen, dass die Versicherer schon bei den kleinsten Wettbewerbselementen zu lamentieren anfangen“, sagte er.

Im selben Atemzug begrüßt Vöcking allerdings, dass die Karlsruher Richter die Möglichkeit der PKV begrenzt haben, Versicherte aus der GKV abzuwerben. Sie hatten die dreijährige Wechselsperre bei gut verdienenden Angestellten durchgewunken. „Das ist eine Stärkung der Solidarität“, betonte Vöcking.

Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) zeigte sich zufrieden damit, dass Karlsruhe die Handlungsmöglichkeiten des Parlaments nur gering einschränkte. Auf die Frage, ob das Urteil ein Punktsieg für die von der SPD angestrebte Bürgerversicherung auch für Beamte und Selbstständige sei, antwortete sie: „Es sagt auf jeden Fall, dass der Gesetzgeber großen Handlungsspielraum hat, wenn er dafür sorgen will, dass alle Menschen in diesem Land bezahlbaren Krankenversicherungsschutz haben.“ Auch CDU-Gesundheitspolitikerin Annette Widmann-Mauz begrüßte den Richterspruch. „Die Kernelemente der Reform bedeuten mehr Transparenz, Wettbewerb und Versichertenorientierung auch für das private Krankenversicherungssystem“, teilte sie mit.

Doris Pfeiffer, Vorsitzende des GKV-Spitzenverbands, forderte sogar weitere Gesetzesänderungen. Zwar könnten privat Versicherte ihre Alterungsrückstellung mitnehmen, wenn sie zu einem anderen PKV-Unternehmen wechselten. Wechseln sie aber zwangsweise in eine Kasse, weil sie wieder weniger verdienen, gehen ihnen die Alterungsrückstellungen verloren. „Hier besteht noch Reformbedarf“, sagte Pfeiffer.

Quelle: Financial Times Deutschland

Dieser Beitrag ist nur für Premium-Abonnenten vom Versicherungsmonitor persönlich bestimmt. Das Weiterleiten der Inhalte – auch an Kollegen – ist nicht gestattet. Bitte bedenken Sie: Mit einer von uns nicht autorisierten Weitergabe brechen Sie nicht nur das Gesetz, sondern sehr wahrscheinlich auch Compliance-Vorschriften Ihres Unternehmens.

Diskutieren Sie mit