Jetzt aber freundlich

Mit Macht drängen Klinikkonzerne in den ambulanten Markt – aber nicht mehr um jeden Preis. Statt Ärzten nur für viel Geld ihre Praxis abzukaufen, loten sie neue Modelle aus Ilse Schlingensiepen und Elke Spanner

In Miltenberg am Untermain ist es schiefgegangen. Da steht Front gegen Front. Auf der einen Seite der Rhön-Klinikkonzern, der freiwerdende Arztpraxen aufgekauft hat und auch weiterhin Kassenarztsitze für Medizinische Versorgungszentren (MVZ) erwerben will. Und auf der anderen die niedergelassenen Ärzte: 113 der 136 ortsansässigen Mediziner haben sich im Ärztenetz Untermain zusammengeschlossen – gegen Rhön.

Nicht nur in Miltenberg gelten Kliniken, die auf den ambulanten Markt drängen, bei niedergelassenen Ärzten als Invasoren, die gewachsene Strukturen zerschlagen. In Berlin etwa formieren sich zurzeit Mediziner gegen ein MVZ am städtischen Klinikum Bogenhausen, das kommendes Jahr eröffnet werden soll. Nur Ärzte, die ihre Praxis aufgeben wollen, haben sich bislang über das Vordringen kapitalkräftiger Unternehmen gefreut: Denn die, heisst es, seien an den Praxen so stark interessiert, dass sie dafür hohe Summen auf den Tisch legen.

Diese Sicht aber, sagen Branchenkenner, hinkt der Zeit hinterher. Zwar brauchen die Klinikunternehmen Kassenarztsitze, um MVZ aufbauen zu können. Über die ambulanten Ärztehäuser wiederum wollen sie Patienten in ihre Kliniken lotsen. Dafür haben sie in der Vergangenheit in etlichen Fällen tatsächlich viel Geld bezahlt. „In der Zwischenzeit sind die Beteiligten vorsichtiger geworden“, sagt Reinhard Wichels, Partner im Münchner Büro des Beratungsunternehmens McKinsey. „Wir laufen nicht mit dem Geldkoffer in der Hand durch die Gegend und versuchen, Ärzte dazu zu überreden, uns ihre Praxis zu verkaufen“, sagt auch Franzel Simon, Regionalgeschäftsführer Nord der Klinikkette Helios.

Viele Unternehmen haben gemerkt, dass ein allzu offensives Auftreten im ambulanten Sektor die übrigen Niedergelassenen vergrätzt. Die aber sind als Einweiser von großer Bedeutung. „Ohne die Ärzte geht es nicht“, hat Wolfgang Pföhler erkannt, Vorstandschef von Rhön. Deshalb verlegen sich die Konzerne auf neue Strategien. Seit 2007 gibt es neue rechtliche Möglichkeiten der Kooperation, und die testen die Klinikketten zunehmend aus.

Bislang betreibt Helios 23 MVZ, Rhön 21, Sana 14 und Asklepios 23. „Die Zahl ist derzeit noch überschaubar“, sagt McKinsey-Berater Wichels. Ende März 2009 gab es 1257 Versorgungszentren: 52,3 Prozent in Trägerschaft von Ärzten und 38,6 Prozent von Kliniken. Das sind nicht nur private Anbieter, sondern auch kommunale oder kirchliche Träger. Um im MVZ Leistungen abrechnen zu können, braucht es mindestens zwei Vertragsarztsitze.

Üblicherweise wird für die Übernahme einer Praxis die Hälfte bis drei Viertel eines Jahresumsatzes gezahlt. Sana-Vorstandschef Michael Philippi und Helios-Regionalgeschäftsführer Simon beziffern die Preisspanne auf 50 000 Euro bis 500 000 Euro.

Für junge Ärzte ist es wegen der hohen finanziellen Belastung schwer, eine Praxis zu kaufen oder zu eröffnen. Für die älteren Ärzte bedeutet das umgekehrt, dass sie nur schwer Interessenten für ihre Praxis finden. Seit Jahren gingen die Preise deshalb steil nach unten – bis plötzlich die Krankenhausunternehmen als Käufer ins Spiel kamen. Die dürfen seit 2004 MVZs eröffnen. In den vergangenen drei Jahren seien überhöhte Preise für Praxissitze gezahlt worden, berichtet Wichels. In Köln beispielsweise: Dort soll die Uniklinik 120 Prozent geboten haben.

„Die Kölner Universitätsklinik ist sehr aggressiv an das Thema herangegangen“, sagt Frank Bausch, Geschäftsführer der KVNo Consult, Beratungstochter der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNo). Weit gekommen ist sie damit allerdings nicht. Nicht nur brachte sie die niedergelassenen Ärzte gegen sich auf – die prompt weniger Patienten in die Uniklinik einwiesen. Auch wollte diese die Praxen dort belassen, wo sie waren, und nur auf dem Schild die Zugehörigkeit zum MVZ dokumentieren. „Die Zulassungsverordnung aber verlangt, dass der Sitz in das MVZ verlegt wird“, sagt Bausch. Die KVNo überwies dem MVZ kein Honorar.

Dabei verdienen die Unternehmen mit den Versorgungszentren nicht einmal Geld. „Viele Häuser haben Schwierigkeiten, die MVZ ökonomisch zu betreiben, schon die Kapitalkosten zu erwirtschaften fällt schwer“, sagt Wichels. Den großen Konzernen aber geht es auch um etwas anderes: „Unser Ziel ist es, Patienten an die Kliniken zu binden und eine gute Nachsorge zu gewährleisten“, sagt Simon.

Vor allem Rhön hatte voriges Frühjahr für Aufregung unter den Ärzten gesorgt, als Vorstand Wolfgang Pföhler ankündigte, verstärkt in den ambulanten Sektor vorzudringen. 78 Kassenarztsitze hat der Konzern bereits aufgekauft, 200 sollen es perspektivisch werden. Inzwischen setzt Pföhler auf Diplomatie. Ende vorigen Jahres hat er Christoph Straub in den Vorstand geholt, zuvor Vize der Techniker Krankenkasse, der gemeinhin als kompetenter und fairer Verhandler gilt. „Die Konfrontation der vergangenen Jahre spielt kaum noch eine Rolle“, sagt Straub heute. Da sich die niedergelassenen Ärzte individuell in sehr unterschiedlichen Situationen befänden, setze der Konzern auf verschiedene Formen der Kooperation. „Wir werden schauen, welches Angebot Sinn macht, und flexibel vorgehen.“

Inzwischen bietet Rhön Niedergelassenen nicht nur einen Kaufpreis für die Praxis an. Sie können auch mit ihrer Praxis auf das Gelände der Klinik ziehen und weiter selbstständig arbeiten. Der Konzern vermietet auch Praxen in MVZ auf dem Krankenhausgelände. Zurzeit testet Rhön zudem ein ganz neues Modell: Niedergelassene Ärzte können Gesellschafter der Klinik werden.

Beim Kauf orientiert Rhön sich an der Bewertungsmethode der Bundesärztekammer. Sie veranschlagt den ideellen Wert einer Praxis mit einem Drittel des durchschnittlichen Umsatzes der letzten drei Jahre abzüglich des „kalkulatorischen Arztlohns“ – ein Bruttojahresgehalt eines Oberarztes. Konkurrent Helios geht ähnlich vor und nutzt Bewertungsmethoden der Kassenärztlichen Vereinigungen. „Wenn die Ärzte das merken, haben wir kaum Diskussionen darüber, dass wir mehr als das Übliche zahlen sollen“, sagt Simon.

Sana-Chef Philippi aber sieht durchaus ein Ringen um den fairen Preis. „Er hängt ab von der Fachrichtung des Arztes, dem Standort der Praxis, dem Entwicklungspotenzial des Leistungsangebots und der Zukunftsfähigkeit“, sagt er. Der Standort sei ein zentraler Faktor. „Ein orthopädischer Arztsitz in München und eine Hausarztpraxis in der Eifel haben ökonomisch völlig unterschiedliche Rahmenbedingungen.“

Auf dem Land sind Ärzte zum Teil froh, wenn sie überhaupt einen Nachfolger finden. In mittelgroßen Städten und ländlichen Regionen, in denen die Rhön-Gruppe vor allem aktiv ist, gäbe es weniger Aufregung, bestätigt Straub. „Auf der anderen Seite“, so Sana-Chef Philippi, „gibt es Regionen, in denen ein Klinik-MVZ heute und auf absehbare Zeit den Konflikt um die gewachsenen Strukturen schürt.“ Dort versuche Sana, mit Ärzten zu kooperieren.

Angesichts der knappen Mittel im Gesundheitswesen müssten sich Krankenhäuser und Niedergelassene auf jeden Fall zusammenraufen. „In Zukunft werden wir eine viel größere Vielfalt der Versorgungsformen sehen“, erwartet Philippi. Ambulante Leistungserbringer werden sich zunehmend im stationären Bereich engagieren und Kliniken im ambulanten, sagt auch McKinsey-Berater Wichels. „Die Integration wird von beiden Seiten betrieben.“ Der absolute Anteil der Krankenhäuser an der ambulanten Versorgung werde aber beschränkt bleiben. „Das Kerngeschäft bleibt die stationäre Versorgung.“

Quelle: Financial Times Deutschland

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