Wie Versicherungsschutz für Missbrauchsopfer aussieht

Schadensersatzansprüche in Deutschland bleiben bislang gering. In den USAmuss die Assekuranz dagegen viele Millionen Dollar zahlen

Die Wellen der öffentlichen Empörung und Wut schlugen hoch. Anfang des Jahres kamen Hunderte Fälle ans Licht, in denen Lehrer in privaten und kirchlichen Schulen Kinder sexuell missbraucht hatten. Die Opfer fordern Anerkennung ihres Leids und materielle Wiedergutmachung. In den USA zahlte die Assekuranz, in Deutschland wird sie sich künftig auch beteiligen müssen.

Für Versicherer und Rückversicherer zeigt sich erneut, dass Schadenswellen aus den unterschiedlichsten Bereichen des gesellschaftlichen Lebens kommen können – auch mit langer Verzögerung. Sie versichern Gebäude gegen Stürme und Autobesitzer gegen Unfälle, aber auch Pharmahersteller gegen tödliche Nebenwirkungen, Manager gegen Kidnapping – und Kinderheime gegen gewalttätige Mitarbeiter.

Deren Betriebshaftpflicht deckt zwar keine Ansprüche gegen den einzelnen Beschäftigten ab, der ein Kind missbraucht hat. Sie zahlt aber bei durchgesetzten Forderungen gegen die Einrichtung, vor allem bei der Verletzung der Aufsichtspflichten.

Ein großes Problem sind die Verjährungsfristen. Denn kaum ein Betroffener der zuletzt bekannt gewordenen Fälle hätte nach heutiger Rechtslage noch Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld.

Doch auf eine gerichtliche Auseinandersetzung darüber, ob noch ein Anspruch gegen die Schule besteht, werden es Träger und Versicherung bei einem solch sensiblen Thema wohl kaum ankommen lassen, zumal es um eine große Zahl von Opfern geht. Dabei droht ein beträchtlicher Imageverlust. Deshalb sind außergerichtliche Einigungen die Regel.

Jetzt plant die Bundesregierung die Verlängerung der Verjährungsfrist. Künftig werden wohl mehr Opfer innerhalb der Frist Ansprüche anmelden. „Auch die Versicherer werden da eine Rolle spielen“, prognostiziert Ina Ebert, Haftpflichtexpertin bei der Munich Re.

Für die meisten Opfer seien 5000 bis 10 000 Euro Schmerzensgeld realistisch, sagt Ebert. „Die Schmerzensgeldbeträge sind in Deutschland überschaubar.“ Damit hielte sich die finanzielle Belastung für Versicherer in Grenzen. Schulen und Heime werden sich deshalb weiter gegen das Risiko versichern können, dass Mitarbeiter Schutzbefohlenen Gewalt antun, sagt sie.

In den USA mussten sich Versicherer bereits mit viel Geld an der Wiedergutmachung für Missbrauchsopfer beteiligen. Zu der bislang teuersten Einigung zwischen Betroffenen und der katholischen Kirche 2007 steuerten die Versicherungsunternehmen 227 Mio. Dollar bei, auch Munich Re und Allianz mussten zahlen.

Die meisten Fälle von sexueller Gewalt landen nie vor Gericht, wie man beim amerikanischen Versicherer Church Mutual erfährt. „Typischer sind niedrige Zahlungen nach außergerichtlichen Vergleichen“, sagt Sprecher Patrick Moreland. Church Mutual ist nach eigenen Angaben der größte Versicherer kirchlicher Einrichtungen in den USA und zählt mehr als 100 000 Kunden. Fast alle hätten zumindest eine Basisdeckung für Ansprüche aus sexuellem Missbrauch und sexueller Belästigung, sagt Moreland.

Das Unternehmen befasste sich schon 1986 mit dem Thema Missbrauch. „Wir haben im Laufe der Jahre ein wachsendes Problembewusstsein bei unseren Kunden wahrgenommen“, sagt Moreland. „Viele erkennen das potenzielle Risiko und ergreifen Maßnahmen zur Vorsorge.“ Dazu gehört die Regel, dass immer zwei Erwachsene bei der Betreuung von Minderjährigen anwesend sein müssen. „Es gibt jedoch immer noch eine Minderheit, die fälschlicherweise glaubt, dass bei ihnen nichts passieren kann.“

Weil Entschädigungen in den USA höher sind, wittern deutsche Anwälte ein Geschäft. So verkündete Rechtsanwalt Lukas Kawka, er prüfe, ob für Betroffene des Berliner Canisius-Gymnasiums eine Sammelklage in den USA möglich sei, wenn ein Betroffener die amerikanische Staatsangehörigkeit besitzt. Mittlerweile ist er zurückgerudert. Der dortige Jesuiten-Orden hat nämlich längst Insolvenz angemeldet.

Katrin Berkenkopf

Quelle: Financial Times Deutschland

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