Todesmelodie

Lebensversicherer kämpfen mit Wachstumsproblemen im Kerngeschäft. Viele werden die kommenden rauen Zeiten nicht überleben

So viel demonstrative politische Unterstützung hätten die Manager jeder Branche wohl gerne. Die Assekuranz solle sich mal nicht allzu viel Sorgen um die neuen Eigenkapitalregeln machen, sagte niemand Geringeres als Bundeskanzlerin Angela Merkel. Und: „Sie dürfen auch davon ausgehen, dass wir die Lebensversicherung für ein ganz wesentliches Element der langfristigen Vorsorge halten und deshalb alles dafür tun wollen, dass dieses Produkt weiter ein attraktives Produkt bleibt“, erklärte sie den führenden Köpfen der deutschen Assekuranz beim Branchentreffen im November.

Doch die politische Unterstützung für ihr wichtigstes Produkt hatten sich die Manager wohl anders vorgestellt als das, was nur wenige Wochen später geschah: Seit Menschengedenken ist die Bundesregierung den Vorschlägen der Deutschen Aktuarvereinigung für die Beibehaltung, Anhebung oder Senkung des Garantiezinses in der kapitalbildenden Lebensversicherung gefolgt. Doch ausgerechnet in der turbulenten Zeit nach der gerade überstanden geglaubten Finanzkrise verweigert sie sich dem Vorschlag des Versicherungsmathematiker-Verbands, dessen Mitglieder fast alle direkt oder indirekt auf den Gehaltslisten der Assekuranz stehen. Statt den Garantiezins wie vorgeschlagen von 2,25 Prozent auf 2 Prozent zu senken, hält das Bundesfinanzministerium eine Senkung auf 1,75 Prozent für erforderlich.

Dieser Zinssatz legt fest, welche Verzinsung die Versicherer den Kunden höchstens als garantierte Leistung versprechen dürfen. Der Garantiezins gilt für die gesamte Laufzeit des Vertrags, hinzu kommt die jährlich neu festgelegte Überschussbeteiligung. Verzinst wird allerdings nur der Sparanteil der gezahlten Prämie, dessen Höhe ein gut gehütetes Geheimnis der Versicherer ist. Oft liegt er bei nur 80 Prozent des gezahlten Beitrags. Garantie und Überschussbeteiligung sind für den Vertrieb wichtige Verkaufsargumente. Die meisten Versicherer wollen unbedingt an der magischen Zwei für den Garantiezins festhalten – damit läuft der Vertrieb besser, glauben sie. Wie auch immer die täglich erwartete Entscheidung des Bundesfinanzministeriums ausfällt, der Imageschaden für die Versicherer ist so oder so groß. Verbraucherschützer plädieren für die weitergehende Senkung, und zwar zum schnellstmöglichen Zeitpunkt. „Dann haben die Versicherer nicht so viel Zeit für einen Schlussverkauf“, sagt Thorsten Rudnik vom Bund der Versicherten. Seit Jahren hacken die Verbraucherschützer auf der Kapitallebensversicherung herum – sie ist ihnen zu teuer, zu unflexibel und vor allem zu intransparent. So ist es auch kein Wunder, dass die Verbraucherschützer die Pläne der Bundesregierung begrüßen, neben Rentenversicherungen auch Fondssparpläne steuerlich zu begünstigen, die für die Altersvorsorge gedacht sind. Werden diese Pläne Wirklichkeit, wird der Gegenwind für die Versicherer noch schärfer.

Schon jetzt sieht es, genau betrachtet, nicht allzu rosig aus. „Die Branche hat ein großes Wachstums und Ertragsproblem, das sich noch verschärfen wird“, sagt Stephan Maier, Versicherungsexperte beim Unternehmensberater Schickler. Die Zahlen spiegeln das nicht wider, denn die Anbieter haben nur dank des Einmalbeitragsgeschäfts Zuwächse. Im Kerngeschäft bei den Policen gegen laufenden Beitrag stagnieren die Einnahmen bestenfalls.

Die Branche leidet unter chronischen und akuten Beschwerden. Zu den aktuellen Problemen gehören die niedrigen Zinsen, die zu geringeren Kapitalerträgen führen. Die Anbieter müssen die Gesamtverzinsung für die Kunden zurückfahren. Vor allem haben sie noch immer keinen Ersatz für den einstigen Verkaufshit, die steuerbefreite Kapitallebensversicherung. Früher mussten Kunden auf die Erträge keine Abgaben leisten und nutzten sie zum steuerlich günstigen Vermögensaufbau. Das geht seit 2005 nicht mehr. Es gibt nur noch für Altersvorsorgepolicen gewisse Steuervorteile. Angesichts der Kürzung der künftigen gesetzlichen Renten müsste die Nachfrage nach privaten Vorsorgeprodukten hoch sein. Dass sie es nicht ist, liegt nach Auffassung von Achim Schlichting vom Maklerhaus Funk nicht an der Konstruktion der Verträge. „Die deutsche Rentenversicherung mit ihren lebenslangen Garantien ist ein attraktives Produkt“, sagt er. Schlichting sagt, dass die hohe Verunsicherung der Kunden die Nachfrage drossele – sie sind irritiert aufgrund der Krise, aber auch angesichts des für Laien kaum zu durchschauenden Wirrwarrs an Angeboten. Außerdem machen die immer strengeren Aufsichtsregeln den Unternehmen zu schaffen. „Die Regulierung zwingt die Versicherer in ein Korsett, aus dem sie nicht herauskommen“, sagt Schlichting. So wird der Aufwand für die Kapitalanlagen immer größer. „Kleinere Versicherer könnten dadurch Probleme bekommen“, sagt er.

SchrumpfkurNoch gibt es knapp 100 Lebensversicherer in Deutschland. „Es wird eine Schrumpfkur geben“, ist Unternehmensberater Maier überzeugt. Gesellschaften werden im Konzern konsolidiert oder an andere Unternehmen verkauft. Nicht wenige werden das Neugeschäft einstellen, weil sie nicht mehr konkurrenzfähig sind und in den sogenannten Run-off gehen. Sieben Lebensversicherer haben diesen Weg bereits eingeschlagen.

Die Schwergewichte der Branche haben eine Menge unternommen, um sich für die Turbulenzen der kommenden Jahre zu rüsten. Allianz, Ergo, Talanx und andere haben mehr oder weniger erfolgreich und brachial umgebaut, Kosten gesenkt und neue Strategien ausprobiert. Sie haben vor allem eins: bekannte Namen. Das fehlt dem Gros der Anbieter. Haben Unternehmen aber weder eine starke Marke oder ein starkes Produkt noch eine Strategie zum Füllen dieser Leerstellen, werden sie in wenigen Jahren in massive Schwierigkeiten geraten. „Diese Versicherer sitzen zwischen allen Stühlen“, sagt Maier. Sie müssen sich etwas einfallen lassen, was sie von anderen unterscheidet. „Allen alles anzubieten, wird in Zukunft nicht mehr funktionieren“, sagt er. Schon heute stehen Versicherer gut da, die sich auf klar abgrenzbare Zielgruppen, ein flexibles Produkt- und Serviceangebot oder besondere Vertriebswege konzentrieren.

Anja Krüger

Quelle: Financial Times Deutschland

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