Haniels Risiko aus Bröselbausteinen wächst

Kauf von Billigmaterial durch frühere Tochter Xella rächt sich //Prozesswelle läuft // Hunderte Häuser werden renoviert

Michael Gassmann, Düsseldorf,

und Herbert Fromme, Köln

Den Mischkonzern Haniel holen alte Fehler ein. Eine riskante Einkaufspolitik der früheren Baustoffsparte könnte zu Verlusten führen, die den Versicherungssschutz weit übersteigen. Hunderte Hausbesitzer haben sich allein in den vergangenen zwei Wochen gemeldet, um Schäden durch bröselnde Kalksandsteine geltend zu machen. Rund 160 Häuser hat das Unternehmen bereits auf eigene Kosten saniert oder gekauft und pro Fall im Schnitt 175 000 Euro ausgegeben. 382 Fälle seien bisher bekannt. „Wir werden auch weiterhin kulant sanieren“, sagte ein Sprecher gestern.

Die Schadenswelle verlängert eine Liste von Negativnachrichten für den Duisburger Familienkonzern. Ein Machtkampf zwischen Haniel-Chef Jürgen Kluge und dem Chef der Handelsbeteiligung Metro, Eckhard Cordes, hat beide zum Rückzug gezwungen. Zu allem Überfluss kündigte die Ratingagentur S&P eine Herabstufung an.

Nun rächt sich der Versuch der früheren Haniel-Baustoffwerke, bei der Rezeptur für Kalksandsteine Branntkalk durch billigen Kalk aus Entschwefelungsanlagen von Steinkohlekraftwerken zu ersetzen. Das Ergebnis war fatal: Die Steine tendieren unter Feuchtigkeitseinfluss dazu, komplett zu zerbröseln – oft erst Jahre nach dem Einbau. Millionen dieser Problemsteine wurden zwischen 1987 und 1996 in drei Werken produziert. Schäden treten vor allem in Duisburg und am linken Niederrhein auf.

Konkrete Angaben über den Schadensumfang wollten die Unternehmen nicht machen. Ein Sprecher spielte das mögliche Volumen herunter: „Ich glaube nicht, dass es eine gefährliche Größenordnung erreicht.“ Seit Ende November hätten sich rund 500 besorgte Hausbesitzer gemeldet, nachdem mehrere Medienberichte erschienen waren. Bei mehreren seien Schäden durch den Schwefelkalk von vornherein auszuschließen.

Dagegen rechnet der Duisburger Rechtsanwalt Stefan Kortenkamp mit stark steigenden Schadenssummen. Er vertritt inzwischen nach eigenen Angaben deutlich über 30 Geschädigte. „Bei uns steht das Telefon nicht mehr still“, sagte Kortenkamp gestern. Der erste Prozess begann am vorigen Donnerstag vor dem Landgericht Duisburg und blieb zunächst ohne konkretes Ergebnis.

Frühere Hochrechnungen, wonach bis zu 40 000 Häuser betroffen und der Schaden in die Milliarden gehen könnte, wies Haniel zurück. Jede Zahl sei spekulativ. Die zuständige Versicherung, der Hannoveraner Talanx-Konzern, nahm zu dem Fall nicht Stellung. Die Talanx-Tochter HDI-Gerling Industrie hatte die Produkthaftpflichtrisiken aus der Zeit der Produktion der mangelhaften Steine gedeckt. In Branchenkreisen hieß es, Talanx rechne wohl kaum mit einem Schaden im dreistelligen Millionenbereich. „Das wird eher im unteren zweistelligen Bereich sein“, sagte ein Manager. Hauptgrund: Haniel rechnete damals nicht mit Belastungen aus der Produkthaftpflicht und kaufte entsprechend niedrige Versicherungssummen. Kommt es jetzt doch zu einem deutlich höheren Schaden, bleibt Haniel darauf sitzen. Sollte sich herausstellen, dass Haniel damals vorliegende negative Gutachten zur Qualität der Baustoffe ignoriert habe, könnte der Versicherer die Zahlung auch ganz verweigern, so Branchenkreise.

Haniel hat die Baustoffsparte inzwischen unter dem Namen Xella an die Finanzinvestoren Goldman Sachs und PAI Partners verkauft. Die Käufer hatten die Risiken aus dem Problembaustoff aber in den Verträgen ausgeschlossen. Xella wickelt die Haussanierungen ab und fürchtet Schäden für den eigenen Markenwert: „Für uns stellt sich die Frage der Reputation“, sagte ein Sprecher.

Quelle: Financial Times Deutschland

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