Exitstrategie dringend gesucht

Die Debatte um die Lebensversicherung schlägt Wogen. Aber das Hauptproblem wird nicht erörtert, weder von Anbietern noch von Kritikern der Lebensversicherer.

Verbraucherschützer sorgen sich um die Sicherheit der Lebensversicherer und der Zinsgarantien für Kunden. Vorstände und Verbandslobbyisten beeilen sich, herauszustellen, dass Kundengelder und Garantieverzinsung sicher sind. Im selben Atemzug beschwören sie die sozialpolitische Bedeutung ihrer Branche und verlangen erfolgreich von der Regierung Erleichterungen, um mit den Folgen der niedrigen Zinsen besser fertig zu werden.

Dabei ist der Zustand der Branche offensichtlich. Es gibt ein sicheres Indiz: Fast alle Versicherungskonzerne mit großen Umsatzanteilen aus der Lebens- und Krankenversicherung sind unverkäuflich. Es gibt schlicht niemanden, der für eine Lebensversicherung Geld bezahlen würde. Der Talanx-Börsengang und das Angebot der Allianz für die Provinzial Nordwest sind Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Bei Talanx macht die Lebensversicherung nur einen kleinen Teil Umsatzes aus, die Rück- und Industrieversicherung dominieren. Deshalb haben Investoren sich beteiligt. Die Allianz hat für die Provinzial Nordwest einen politischen Preis geboten, um das Lager der Sparkassenversicherer aufzubrechen.

Gesellschaften mit hohem Anteil an Lebensgeschäft, die ohne vergleichbare strategische Bedeutung sind, haben zurzeit null Chancen, einen Käufer oder auch nur einen starken Fusionspartner zu finden.

Was aber an einer Branche gesund sein soll, die nicht einmal untereinander Vertrauen in die Gewinnhaltigkeit ihres Geschäftsmodells hat, bleibt ihr Geheimnis. In Wirklichkeit müssen die deutschen Versicherer rasch eine Strategie für ihre Lebensversicherer mit klassischen Kapital- und Rentenverträgen finden, wenn sie nicht in den Strudel der Niedrigzinsen hineingezogen werden wollen – denn mittelfristig wirkt sich die Schere zwischen vergleichsweise hohen Garantien und mickrigen Marktzinsen verheerend auf ihre Finanzkraft aus.

Strategie eins: Augen zu und durch. Mit möglichst viel Neugeschäft, für das nur die heute geltende Garantie von 1,75 Prozent gewährt wird, kann ein Versicherer die Last aus den Verträgen der „Generation vier Prozent“ rasch abmildern und damit auch den Kapitalbedarf senken. Aber diese Art von Quersubventionierung klappt nur, wenn ordentlich Neugeschäft hereinkommt. Allerdings verkauft sich die klassische Lebensversicherung im heutigen Marktumfeld nur mühselig.

Strategie zwei führen Ergo und die Bayerische, vormals Bayerische Beamtenversicherung, vor: Beide schließen einen bestehenden Versicherer für das Neugeschäft, zahlen dort vergleichsweise niedrige Überschussbeteiligungen und können mit einem neuen oder anderen Versicherer befreit am Markt antreten, denn diese Gesellschaft hat keine Altlasten aus Hochzins-Garantien. Der Nachteil: eine so stillgelegte Gesellschaft ist immer noch Teil des Konzerns, mit allen Risiken für dessen Bilanz.

Nur der Verkauf, selbst zum Nulltarif, an einen externen Abwickler würde dieses Problem lösen. Aber bislang sperrt sich die Finanzaufsicht Bafin gegen eine solche Lösung. Sonst würden deutsche Versicherer schon lange ihren britischen und amerikanischen Kollegen nacheifern, bei denen die Abwicklung, der Runoff, durch Externe eine lange Tradition hat.

Strategie drei ist aus Sicht der Mehrheit der deutschen Versicherer die pure Häresie, wird aber in einigen Gesellschaften ernsthaft diskutiert: Die Assekuranz könnte eine kluge Kampagne für die Flexibilisierung der bestehenden Garantien aus Altverträgen führen, heißt es dort. Die starren Garantien mit jährlichen Mindestzuschreibungen müssten ausgetauscht werden gegen Garantiesysteme, die in schweren Zeiten die Last für die Versicherer einschränken, aber dem Kunden eine Art Besserungszusage geben – wenn die Zinsen steigen, holt der Versicherer die Leistung nach.

Doch es ist unwahrscheinlich, dass die Branche sich auf diesen Kurs einigt. Dafür ist sie zu zerstritten, und viele Versicherer und Verbandsfunktionäre glauben immer noch, dass nicht sein kann, was nicht sein darf.

Dann passiert das, was immer in solchen latenten Krisenlagen passiert: In drei, vier Jahren geraten einige Gesellschaften in Schwierigkeiten, sie müssen von der Branche aufgefangen werden, und eine Debatte über die nötigen Schritte zum Erhalt der Gelder von Lebensversicherten beginnt. Wetten, dass die Garantien dann als erstes zur Disposition gestellt werden?

Quelle: Capital.de

 

 

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