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Brustkrebsskandal geht in weitere Runde vor Gericht

Posted By Ilse Schlingensiepen On 27. Dezember 2001 In Archiv,RTF Import | No Comments | Drucken

Von Ilse Schlingensiepen und Anja Krüger, Köln Ein außergewöhnlicher Arzthaftungsfall bereitet der Deutschen Ärzteversicherung (DÄV) Kopfschmerzen. Der Versicherer, ein Unternehmen der Axa-Gruppe, wird das Urteil in der zweiten Instanz, das im Musterprozess zum so genannten Essener Brustkrebsskandal gefällt wurde, nicht anerkennen und nach Vorliegen der schriftlichen Urteilsbegründung in Revision beim Bundesgerichtshof (BGH) gehen. „Ein Urteil, das auf einer falschen juristischen Basis gesprochen wurde, können wir nicht akzeptieren“, sagte der DÄV-Vorstandsvorsitzende Gernot Schlösser.

Mitte der 90er Jahre hatten rund 160 Frauen Strafanzeige gegen den Essener Pathologen Professor Josef Kemnitz gestellt. Kollegen des Mediziners war aufgefallen, dass er ungewöhnlich häufig bei Patientinnen Brustkrebs diagnostizierte. Während der Ermittlungen brannte es im Institut von Kemnitz, ein großer Teil der beweisfähigen Gewebeproben wurde vernichtet. Bei einem zweiten Feuer starb Kemnitz. Anfang 2000 kam ein wissenschaftliches Gutachten zu dem Schluss, dass die Diagnosen des Mediziners höchstwahrscheinlich fehlerhaft waren.

Zur Durchsetzung ihrer Interessen nutzt das Gutachten den Frauen wenig, denn auf Einzelfälle geht es nicht ein. Klagen ehemaliger Kemnitz-Patientinnen, die Schmerzensgeld und Schadensersatz verlangen, richten sich gegen den Nachlasskonkursverwalter. Er kann für die Entschädigungen ausschließlich die Leistungen der Haftpflichtversicherung des Arztes verwenden, der Axa-Tochter DÄV.

Der Pathologe hatte eine Haftpflichtversicherung mit einer Deckung von 6 Mio. DM pro Jahr abgeschlossen. Der DÄV sind Ansprüche von 170 Frauen aus vier Jahren bekannt. „Wir müssen maximal 24 Mio. DM zahlen“, sagte Schlösser.

Am 12. Dezember 2001 hat das Oberlandesgericht Hamm einer Patientin wegen der Amputation beider Brüste ein Schmerzensgeld von 250 000 DM zugesprochen (Az. 3 U 119/00). Die mangelnde Möglichkeit, einen Behandlungsfehler nachzuweisen, dürfe nicht zu Lasten der Frau gehen, entschieden die Richter. Kemnitz habe sowohl gegen die Aufbewahrungs-als auch gegen die Befundsicherungspflicht von Ärzten verstoßen. Deshalb hat das OLG die Beweislast umgekehrt: nicht die Patientin muss nachweisen, dass der Arzt eine falsche Diagnose gestellt hat, sondern er beziehungsweise der Nachlasskonkursverwalter muss das Gegenteil beweisen.

Nach Überzeugung Schlössers ist dem Gericht ein „strenger formaler Fehler“ unterlaufen. Schließlich gebe es noch einige wenige Gewebeproben, und jede Frau könne über eine DNA-Analyse nachweisen, ob ihre darunter ist oder nicht. Diesen Nachweis habe die Patientin nicht geführt. „Es muss aber völlig abgesichert sein, dass keine Beweismöglichkeit mehr besteht“, sagte Schlösser. Klären lassen will die DÄV auch die Frage, ob bei derart grobem Fehlverhalten des Arztes überhaupt eine Leistungspflicht des Versicherers besteht.

Zitat:

„Wir müssen maximal 24 Mio. Mark zahlen“ – DÄV-Chef Schlösser.

Quelle: Financial Times Deutschland


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