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Versicherer müssen für Asbest zahlen

Posted By Herbert Fromme On 8. Januar 2002 In Archiv,RTF Import | No Comments | Drucken

Von Herbert Fromme, Köln Eine einzige Meldung reichte am 7. Dezember aus, um den Aktienkurs des US-Ölkonzerns Halliburton um 45 Prozent einbrechen zu lassen. Ein US-Gericht hatte die Halliburton-Tochter Dresser Industries zur Zahlung von 30 Mio. $ als Entschädigung für die Opfer von Krankheiten verurteilt, die durch Asbest verursacht wurden. Dresser hatte vor mehr als 30 Jahren asbesthaltige Baumaterialien hergestellt.

Die Asbestkrise in den USA erreicht einen neuen Höhepunkt, nachdem Industrie und Versicherer schon glaubten, das Schlimmste sei vorüber. Das neueste Opfer: Gestern gab RHI, der österreichische Hersteller von feuerfesten Materialien, den Konkurs seiner US-Tochter Narco bekannt. Als Grund nannte RHI die steigenden Asbestansprüche.

Das Beratungsunternehmen Tillinghast-Towers Perrin schätzt, dass sich die gesamten Schadenersatzzahlungen wegen Asbesterkrankungen auf 200 Mrd. $ belaufen werden. Davon, so rechnet Tillinghast, muss die Versicherungsbranche rund 130 Mrd. $ zahlen, der Rest entfällt direkt auf die Industriebetriebe.

Asbest wurde von den 40er bis in die 70er Jahre in großem Stil als feuerhemmendes Material genutzt, vor allem in Gebäuden und Schiffen. Das Einatmen von Asbestfasern kann mit Latenzzeiten von mehreren Jahrzehnten zu schwerwiegenden Erkrankungen führen, vor allem Asbestose, einer meist bösartigen Form der Staublunge, und Krebserkrankungen. Auch in Deutschland ist Asbest die häufigste Todesursache bei Berufskrankheiten, 2000 gab es 957 Opfer. Aber in der Bundesrepublik sind Berufskrankheiten per Gesetz Angelegenheit der Berufsgenossenschaften. Die betroffenen Unternehmen selbst sind – jedenfalls bisher – nicht zu Schadenersatz verurteilt worden, die Versicherer nicht beteiligt.

Anders in den USA. „Wir erleben in den letzten beiden Jahren einen heftigen Anstieg der Anspruchszahlen“, sagt Nicholas Roenneberg, Leiter der Schadenabteilung bei der Münchener Rück. Ähnliche Erfahrungen hat John Dattner gemacht, Vice President in der Schadenabteilung der General Cologne Re in den USA. „In den achtziger Jahren ging man von 200 bis 300 betroffenen Unternehmen aus. Inzwischen sind es rund 2500 bis 3000.“ Entsprechend steil steigt die Zahl der Anspruchsteller. Im Jahr 1999 gab es 35 000 neue Ansprüche, in 2001 knapp 85 000. Bisher melden mehr als 500 000 Betroffene Forderungen an.

Für den Anstieg gibt es mehrere Gründe. Einmal stellt sich heraus, dass die Latenzzeit für Asbestose in vielen Fällen länger ist als angenommen. Selbst nach 40 Jahren treten noch Erkrankungen auf.

Eine wichtige Rolle spielen auch Urteile des obersten US-Gerichts von 1997 und 1999, die Sammelklagen in diesen Fällen untersagten und zu mehr Einzelklagen führen. Schließlich sind geschäftstüchtige Anwälte bemüht, vor der geplanten Reform des Schadenersatzrechts möglichst viele Verfahren zu beginnen. „Dabei bündeln sie oft die Fälle von sehr kranken Anspruchsstellern mit solchen, bei denen die Kläger zwar Asbest ausgesetzt waren, aber nicht krank sind“, berichtet Dattner.

Ursprünglich richteten sich die Ansprüche gegen die Hersteller von Asbest – fast alle sind inzwischen bankrott. Jetzt finden sich auch asbestverarbeitende Betriebe oder Hausbesitzer im Visier der Anwälte. Damit erweitert sich die Haftung der Versicherer. „Die Produkthaftpflichtpolicen der Hersteller hatten eine Jahresobergrenze und sind zunehmend erschöpft“, so Roenneberg. Jetzt werden zusätzlich Ansprüche aus der allgemeinen Betriebshaftpflicht gestellt.

Industrieunternehmen, die mit Asbestansprüchen konfrontiert werden, sind in der Regel innerhalb von zwei Jahren bankrott. Auch für die Versicherer wird die Asbestrechnung teuer – wie teuer, wissen sie nicht. Die Münchener-Rück-Gruppe hat bisher 1,2 Mrd. $ gezahlt und weitere 1,26 Mrd. $ zurückgestellt. Auch Allianz, Gerling Globale Rück und andere sind mit hohen Millionenbeträgen betroffen und haben reserviert. Aber gerade die US-Versicherer seien insgesamt „ernsthaft unterreserviert“, so Tillinghast-Towers Perrin.

Bei den kranken Anspruchstellern kommt dabei nach Schätzungen Dattners weniger als ein Drittel der Zahlungen an. Der Rest geht für Anwalts-und Gerichtskosten der Prozessgegner drauf. Viel Geld können die meisten Antragsteller ohnehin nicht erwarten, bisher gab es im Durchschnitt 1900 bis 5500 $. Bankrotte Unternehmen zahlen nur einen kleinen Prozentsatz, der größte Asbesthersteller Johns-Manville etwa fünf Prozent. Da wird aus einer Verurteilung zu 200 000 $ Schadenersatz wegen Lungenkrebs eine Auszahlung von gerade mal 10 000 $.

Quelle: Financial Times Deutschland


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