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Lebensversicherern droht radikale Auslese

Posted By Herbert Fromme On 11. November 2002 In Archiv,RTF Import | No Comments | Drucken

Von Günter Heismann, Frankfurt, und Herbert Fromme, Köln Den deutschen Lebensversicherern steht ein dramatischer Konzentrationsprozess bevor. Von den derzeit noch etwa 118 Gesellschaften werden in den kommenden drei bis fünf Jahren rund 30 Prozent vom Markt verschwinden, prognostiziert die amerikanische Investmentbank Goldman Sachs in einer Studie. Derzeit hätten rund zwei Dutzend Anbieter Schwierigkeiten, die gesetzlich geforderten Reserven auszuweisen, sagte Dirk Popielas, Leiter der Pension and Insurance Services Group bei Goldman Sachs Deutschland.

Der Börsencrash hat die Reserven vieler Versicherer offenbar stärker angegriffen als bisher bekannt. Nach einer bisher unveröffentlichten Studie der Rating-Agentur Fitch, die in der jüngsten Ausgabe des Nachrichtenmagazins „Spiegel“ zitiert wird, waren bei 18 Lebensversicherern die Reserven schon Ende 2001 so weit zusammengeschmolzen, dass sie einen weiteren Crash ohne Zufuhr von frischem Kapital kaum mehr bestehen können. Fitch hat mehreren Versicherungen das Urteil „schwach“ zuteil werden lassen. Zu diesen Kandidaten gehören die Mannheimer Lebensversicherung, die Familienfürsorge, die inzwischen von der HUK Coburg übernommen wurde, sowie die Öffentliche Versicherung Braunschweig.

Die Stellungnahmen von Goldman Sachs und Fitch verstärken den Druck auf die Finanzaufsicht BAFin und die Branche, Klarheit über die tatsächliche Lage der Lebensversicherer zu schaffen, die mit rund 65,2 Mrd. Euro Prämieneinnahmen 2002 einen Großteil der Spargroschen der Deutschen kassieren. Seit Monaten wird über die Schwierigkeiten der Branche diskutiert. Im Oktober haben Wirtschaftsprüfer und BAFin den Unternehmen durch großzügige Abschreibungsregeln für die stark entwerteten Aktienbestände etwas Luft verschafft. Trotzdem werden viele Gesellschaften zum Bilanzstichtag in Schwierigkeiten kommen.

Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) sieht trotzdem keine ernsthaften Probleme. „Von einer Krise der Lebensversicherung kann keine Rede sein“, heißt es im Jahresbericht 2002 über die Branche, den der GDV am Mittwoch vorlegen will. Auch Berichte über eine Insolvenzwelle entbehrten jeder Grundlage. Es gebe Sicherheitsmechanismen, vor allem Instrumente der BAFin, aber auch die von den GDV-Unternehmen neu gegründete Firma Protector, die Kundenverträge Not leidender Lebensversicherer übernehmen soll, wenn sich keine andere Lösung findet.

Goldman Sachs erwartet, dass die angeschlagenen Versicherer versuchen, durch Übernahmen und Fusionen ihre Probleme zu lösen. Darin schwingt auch die Hoffnung der Investmentbanker mit: Die riesigen Abteilungen für Mergers & Acquisitions sind seit Monaten weitgehend arbeitslos, eine Konsolidierungswelle im deutschen Versicherungsmarkt käme da gerade recht. Mit den jetzt veröffentlichten Studien über die deutschen Lebensversicherer wollen Banker und Berater das ihre dazu beitragen, den Markt in Bewegung zu bringen.

Die Versicherer haben Goldman Sachs zufolge ihre Schwierigkeiten großenteils selbst verschuldet: Nur die wenigsten haben ein angemessenes Risikomanagement. Nach dem Sinken der Zinskurve in den 90er Jahren ließen sich die Versicherer dazu verleiten, ihren Kunden überhöhte Überschussbeteiligungen gut zu schreiben. Schließlich erhöhten viele ihre Aktienquote zum falschen Zeitpunkt. „Die Versicherer haben großenteils noch 1999 und 2000, auf dem Höhepunkt des Börsenbooms, massiv Aktien gekauft“, sagte Popielas.

Gestärkt aus der Krise hervorgehen werden Goldman Sachs zufolge Unternehmen, die sich auf Kernkompetenzen wie etwa die betriebliche Altersversorgung konzentrieren und die erforderliche kritische Masse aufweisen. Dazu zählt Versicherungsexperte Popielas insbesondere Allianz und Ergo. Zusammenschlüsse erwartet Goldman Sachs vor allem innerhalb der Lager in der deutschen Assekuranz – öffentliche Versicherer, Vereine auf Gegenseitigkeit und Aktiengesellschaften.

Zitat:

„Die Versicherer haben großenteils noch 1999 und 2000 massiv Aktien gekauft“ – Dirk Popielas, Goldman Sachs

Quelle: Financial Times Deutschland


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