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Die Assekuranz spielt mit dem Vertrauen der Kunden

Posted By Herbert Fromme On 11. Dezember 2002 In Archiv,RTF Import | No Comments | Drucken

Artikelfolge: Lebensversicherungen in der Krise / Teil 1 / Die deutschen Lebensversicherer haben sich in eine gefährliche Lage manövriert. Sie verkaufen Produkte, die oft Laufzeiten von 20 bis 30 Jahren haben. Die Branche lebt vom Vertrauen der Kunden – doch damit geht sie geradezu fahrlässig um. Der erste Teil der FTD-Artikelfolge zur Lebensversicherung beschäftigt sich mit der Problemverdrängung in der Assekuranz.

Von Herbert Fromme, Köln Jedes einzelne Ereignis hätte noch vor wenigen Jahren für große Aufregung in der Assekuranz gesorgt. Erst entmachtet die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BAFin) den Vorstand einer Lebensversicherung, der Detmolder Familienfürsorge, dann muss auf Drängen der BAFin der Vorstand der Hannoverschen Leben gehen. Die Versicherungsgruppe Mannheimer stellt das Geschäft mit Kapitallebensversicherungen auf eigene Rechnung praktisch ein. Schließlich gibt die Branche die Gründung der Auffanggesellschaft „Protektor“ für in Not geratene Lebensversicherer bekannt – Jahrzehnte hatte sie behauptet, dass so etwas nicht nötig sei.

Statt Alarm lösen diese Ereignisse bei den Versicherern Zweckoptimismus aus. „Wir haben die schwierigste Lage der Branche seit dem Zweiten Weltkrieg“, sagt zwar der Präsident des Gesamtverbands der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) Bernd Michaels – fügt aber gleich hinzu, dass von einer Krise nicht die Rede sein könne. Ähnlich reagieren fast alle führenden Manager der Branche. „Der Dax steht auch mal wieder bei 5000 Punkten“, wiederholen sie gebetsmühlenartig.

Tatsache ist: Die deutschen Lebensversicherer sind in einer schweren Krise, die für viele der 120 Unternehmen das Aus bedeuten könnte, ob der Dax nun steigt oder nicht. Denn das Aktiendebakel ist nur eines ihrer großen Probleme.

Sorgenkind Kapitalmarkt

Die Lebensversicherer gehören zu den größten Kapitalsammlern der Nation. Von den 2002 eingenommenen 65,2 Mrd. Euro legen sie das meiste Geld für ihre Kunden gewinnbringend an. Ihr wichtigstes Instrument im Wettbewerb ist die Verzinsung dieses Geldes, die so genannte Überschussbeteiligung. In 2002 zahlt die Branche ihren Kunden im Schnitt mehr als sechs Prozent, erst jetzt haben die Kapitalmärkte die Versicherer gezwungen, diesen Wert auf rund fünf Prozent für 2003 zu senken.

Auch fünf Prozent sind nicht leicht zu verdienen. Seit Anfang des letzten Jahrzehnts sinken die Zinsen. Das trifft die Versicherer besonders, weil mehr als 80 Prozent ihrer Kapitalanlagen von 571 Mrd. Euro in festverzinslichen Papieren stecken. Seit Mitte der 90-er Jahre versuchten sie, mit Aktienkäufen gegenzusteuern. Die Assekuranz war mit ihrer Anlagemasse einer der großen Treiber für den Höhenflug des Dax. Aber seit Anfang 2000 fallen die Aktienpreise. Beim Abwärtstrend wirkt dieselbe Mechanik, nur in die andere Richtung: Als alle verkauften, verkauften erst recht die Versicherer ihre Aktien.

Der Fachdienst Map-Report hat berechnet, dass die Branche Ende 2000 Bewertungsreserven, also nicht realisierte Kursgewinne, von 60 Mrd. Euro aufwies. Da stand der Dax bei 6300 Punkten. EuroHeute liegen sie fast überall bei null. Jetzt fehlt den Gesellschaften nicht nur der Ertrag – viele müssen ihre Papiere sogar abschreiben. Das belastet die Bilanzen.

Die Versicherer sollten sich aus einem weiteren Grund Sorgen machen: Der Markt verändert sich, von den privaten Verträgen hin zur betrieblichen Altersversorgung. Noch spüren die Unternehmen das nicht. Das Neugeschäft im klassischen Markt boomt, die Branche meldet Zuwachszahlen von 15 bis 30 Prozent. Noch sind die betrieblichen Systeme kaum installiert, aber das wird sich bald ändern. Das große Geschäft mit der betrieblichen Altersversorgung macht nur eine Hand voll Versicherer. Die Mehrzahl kann nicht mithalten. Für ihre Vertriebe, die von den hohen Provisionen für Lebenspolicen abhängen, kann der Wechsel katastrophale Auswirkungen haben.

Von den 120 Lebensversicherern haben 90 einen Marktanteil von weniger als einem Prozent. Damit ist es schwer genug, einen vernünftigen Vertrieb aufrechtzuerhalten. Muss ein kleiner Versicherer die Kosten für EDV-Systeme zur Bewältigung der Riester-Rente schultern, bringt das ernste Probleme.

Alles dringt auf Veränderungen in der Branche, eine Konsolidierung der fragmentierten Strukturen. Aber solange die meisten Manager hoffen, dass bei einem Dax-Stand von 5000 Punkten die Probleme schon irgendwie verschwinden, kommt die Bereinigung nicht in Gang. Sie wird erst von den Realitäten erzwungen. Schon an den Zahlen des Bilanzstichtages 31. Dezember 2002 dürfte manche Hoffnung zerbrechen.

Nächsten Freitag lesen Sie in der Artikelfolge zur Krise der Lebensversicherung, wieso die Unternehmen immer noch zu hohe Renditen versprechen.

Zitat:

„Wir haben die schwierigste Lage seit dem Zweiten Weltkrieg“ – GDV-Präsident Michaels

Bild(er):

Eine Auffanggesellschaft könnte für viele Anbieter der letzte Halt sein – GettImages.

Quelle: Financial Times Deutschland


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