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Versicherer müssen Milliarden abschreiben

Posted By Herbert Fromme On 27. Dezember 2002 In Archiv,RTF Import | No Comments | Drucken

Aktienbaisse trifft Assekuranz mit Verzögerung “ Jüngster Dax-Anstieg hilft nur wenig “ Banken dagegen kaum betroffen

Von Herbert Fromme, Köln, und Claudia Wanner, Frankfurt Obwohl der Dax zum Jahresende rund neun Prozent über dem Stand vom Ende des dritten Quartals am 30. September notiert, geben die Bilanzabteilungen der großen Versicherungskonzerne keine Entwarnung. Auch im vierten Quartal dieses Jahres müssen die meisten von ihnen mit kräftigen Abschreibungen auf ihre Aktienbestände rechnen.

Selbst im ersten Quartal 2003 stehen noch einmal Wertberichtigungen an, sofern sich die Weltbörsen nicht kräftig nach oben bewegen.

Allein die Münchner Allianz-Gruppe musste im dritten Quartal 1,7 Mrd. Euro auf Wertpapiere abschreiben. Im vierten Quartal dürfte es sich immer noch um einen bedeutenden dreistelligen Millionenbetrag handeln, schätzen Beobachter.

Rückversicherer Swiss Re nahm im ersten Halbjahr Abschreibungen von 917 Mio. Schweizer Franken vor – für das zweite Halbjahr hatten die Schweizer schon im August mindestens weitere 500 Mio. Franken Abschreibungen angekündigt. Der tatsächliche Bedarf wird wohl deutlich darüber liegen.

Auch die Münchener Rück, die in den ersten drei Quartalen bereits 4,3 Mrd.Euro auf Wertpapiere abgeschrieben hatte, wird bis Jahresende um weitere Maßnahmen nicht herumkommen – und dies selbst dann, wenn der Dax nicht weiter fällt.

Ähnliches gilt für alle Versicherungskonzerne mit Jahresabschlüssen nach den International Accounting Standards (IAS) oder den allgemein anerkannten US-Bilanzregeln Generally Accepted Accounting Principles (US-Gaap).

Nach den Gaap-Regeln, die US-börsennotierte Gesellschaften auch in ihre IAS-Bilanz übernehmen, muss ein Unternehmen ein Papier dann abschreiben, wenn es permanent sechs Monate vor dem Stichtag um 20 Prozent unter dem Einstandspreis notierte.

Der Wertverfall der Aktien wirkt sich also mit einer Verzögerung aus, die scharfen Einbrüche der Märkte Mitte dieses Jahres konnten sich deshalb im dritten Quartal zunächst noch nicht zeigen.

Die Systematik gilt für die nach internationalen Standards bilanzierenden Banken genauso. Analysten rechnen dennoch nicht mit Abschreibungen in großem Stil, denn Banken halten deutlich geringere Aktienbestände für die eigene Rechnung als Versicherer.

„Leichte Anpassungen sind schon möglich, aber ich erwarte keine große Abschreibungsrunde“, sagte ein Bankanalyst einer Frankfurter Privatbank. „Ich erwarte zum Ende dieses Quartals praktisch keine Auswirkungen“, pflichtete ihm ein Kollege einer Großbank bei.

Von den drei Großen hat im laufenden Jahr nur die Commerzbank nach einem so genannten Impairment-Test den Wert ihres Beteiligungsportfolios angepasst. Um 545 Mio. Euro wurde der Wert in der Bilanz zum dritten Quartal reduziert. Zum größten Teil wurde der Anpassungsbedarf durch eine zweiprozentige Beteiligung an T-Online verursacht.

HypoVereinsbank und Deutsche Bank hatten im laufenden Jahr noch keine Veranlassung für ein Impairment. Bei der Deutschen nimmt die Bedeutung der Beteiligungen ohnehin ab.

Anders als für die Bank-und Versicherungskonzerne ist die Lage für die Mehrzahl der Versicherer, die nach dem deutschen Handelsgesetzbuch (HGB) bilanziert. Für sie haben Gesetzgeber, Wirtschaftsprüfer und die Finanzaufsicht BAFin die Lage etwas gemildert.

Sie dürfen Abschreibungen auf Aktien, von denen sie überzeugt sind, nach dem 2001 eingeführten Paragrafen 341b HGB aufschieben. Allerdings hat das Spätfolgen: „Wir gehen davon aus, dass ein Großteil der (2001) vermiedenen Abschreibungen (…) in 2002 nachgeholt werden müssen“, schreiben die Analysten der WestLB.

Wenn die nach HGB bilanzierenden Versicherer abschreiben müssen, weil die Aktie (ähnlich wie unter US-Gaap) sechs Monate um 20 Prozent „unter Wasser“ stand oder über zwölf Monate im Durchschnitt zehn Prozent, gilt für sie eine weitere Erleichterung: Die Unternehmen müssen nicht den Stichtagkurs verwenden.

Für den Wertpapierbesitz gilt die Regel, dass nur auf den Kurs wertberichtigt werden muss, der nach nachvollziehbaren Kriterien dauerhaft ist. Dafür kann ein Unternehmen die Konsenseinschätzung von unabhängigen Analysten heranziehen oder selbst Untersuchungen anstellen.

Fehlen solche Annahmen, darf der HGB-bilanzierende Versicherer den Durchschnittskurs einer Aktie über die vergangenen zwölf Monate plus zehn Prozent verwenden.

Demnach müssen diese Firmen Ende 2002 ihre betroffenen Aktien im Schnitt auf einen Wert abschreiben, der einem Dax-Stand von 4600 entspricht.

Das wird zwar immer noch zu einem gewaltigen Abschreibungsbedarf führen, aber die Branche gegenüber dem bis 2000 geltenden strengen Niederstwertprinzip deutlich entlasten. Danach hätte sie auf den Stichtagkurs vom Jahresende wertberichtigen müssen.

Zitat:

„Ein Großteil der 2001 vermiedenen Abschreibungen muss 2002 nachgeholt werden“ – Analysten, WestLB.

Quelle: Financial Times Deutschland


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