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Die Börsenkrise hat die Assekuranz weiter im Griff

Posted By Herbert Fromme On 25. März 2003 In Archiv,RTF Import | No Comments | Drucken

Die Marktkonsolidierung kommt “ Wer überlebt, profitiert von großen Chancen

Von Herbert Fromme Die deutsche Versicherungswirtschaft erwartet erneut Wachstumszahlen, die manche andere Branche neidisch machen. 2003 sollen die Beitragseinnahmen um rund drei Prozent steigen, erwartet der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Rund 145 Mrd. Euro Prämienvolumen werden die Versicherer dieses Jahr verbuchen.

Die Stimmung ist dennoch nicht gut. Im Gegenteil: So angespannt wie in den letzten Monaten war die Situation der Assekuranz seit langem nicht. Die Branche ist in ihrer tiefsten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg – aber kaum jemand will das zugeben.

Die größten Probleme stammen aus den Aktienpaketen der Versicherer, die in den vergangenen drei Jahren rapide an Wert verloren haben. Die eigentlich nötigen Abschreibungen haben sie in den letzten zwei Jahren zum Teil verschoben. Für 2001 bedeutete das „stille Lasten“ von rund 2,5 Mrd. Euro, die sich dann verzögert in den Bilanzen für das Jahr 2002 auswirken. Im Jahr 2002, in dem die Börsen weiter kräftig nachgaben, war dieser Betrag wesentlich höher. „Der massive Einbruch der Kurse hat in 2002 zu Verlusten bei den Aktienanlagen geführt und die Jahresabschlüsse der Unternehmen belastet“, so GDV-Präsident Bernd Michaels.

Die Rating-Agentur Fitch schätzt die stillen Lasten und Abschreibungen der deutschen Assekuranz für 2002 auf insgesamt 45 bis 50 Mrd. Euro – eine Zahl, die von der Branche vehement bestritten wird. Der GDV geht auf Grund einer Umfrage bei Mitgliedsunternehmen von 15 bis 20 Mrd. Euro aus.

Aber selbst die GDV-Zahl repräsentiert eine gewaltige Hypothek auf die Zukunft. Wenn sich die Aktienkurse im laufenden Jahr nicht dramatisch verbessern, müssen die Gesellschaften die meisten dieser Lasten im Abschluss 2003 mit allen Konsequenzen für ihre Ergebnisse aufdecken – es sei denn, es kommt zu erneuten Gesetzesänderungen, die Versicherern ein weiteres Verschieben der Belastung erlauben.

Das ist durchaus möglich: Vor zwei Jahren setzte die Assekuranz die bestehenden Regelungen durch. Damals glaubten die Unternehmen noch, bei den Kursverlusten handele sich um ein kurzfristiges Phänomen. Auf Druck der Versicherer änderte der Bundestag den Paragrafen 341b des Handelsgesetzbuchs. Seitdem müssen Versicherer wie die Banken auch einen Wertverfall auf Aktien dann nicht mehr sofort in ihrer Bilanz zeigen, wenn sie von einer vorübergehenden Wertminderung ausgehen.

Aber nach drei Jahren Wertverfall kommt die Stunde der Wahrheit, spätestens Ende 2003. Bei den großen Gruppen wie Allianz oder AMB, die ihre Ergebnisse nach den internationalen Standards IAS oder US-Gaap vorlegen, ist der hohe Abschreibungsbedarf bereits Realität. Der Allianz-Konzern musste allein 2002 auf Aktien 5,5 Mrd. Euro abschreiben, die AMB beziffert ihren Abschreibungsbedarf insgesamt auf 4 Mrd. Euro.

Verschärft wird das Problem dadurch, dass Steuer-und Handelsbilanz auseinanderfallen. Verluste auf Aktien, die ein Unternehmen in der Handelsbilanz zeigen muss, werden steuerlich nicht anerkannt. Die Konsequenz: Versicherer zahlen Steuern auf Verluste oder nutzen die Möglichkeiten des Paragrafen 341b nicht aus wirtschaftlichen, sondern allein aus steuerlichen Gründen.

Die Aktienkrise und die hohe Schadenbelastung der letzten Jahre führen zusammen mit unternehmerischen Fehlentscheidungen zu deutlichen Krisensymptomen in der Assekuranz. Der Gerling-Konzern, zu dem der zweitgrößte Industrieversicherer im Lande ebenso gehört wie der sechstgrößte Rückversicherer der Welt, ist in ernsthaften Schwierigkeiten.

Traditionsreiche Gesellschaften wie die Mannheimer stehen zum Verkauf, weil sie sich mit ihren Aktienanlagen verhoben haben. Andere müssen sich von Konkurrenten übernehmen lassen, weil sie die staatlich geforderten Eigenkapitalanforderungen nicht erfüllen. Dazu gehören die Familienfürsorge in Detmold, die von der HUK Coburg gekauft wurde, und die A&O Autoversicherung in Oldenburg, die jetzt zur Gothaer gehört.

Der Marktführer Allianz schließlich, unbestrittenes Vorbild für die deutsche Assekuranz, produziert zum ersten Mal seit dem zweiten Weltkrieg einen Verlust, der mit 1,2 Mrd. Euro nicht gerade klein ausfällt.

Hoffnung machen der Branche die hohen Wachstumsraten gerade in der Lebensversicherung. Statt in Aktien oder Aktienfonds zu investieren, suchen Sparer Zuflucht bei Lebensversicherern, von denen die meisten immer noch vier Prozent und mehr Rendite auf den Sparanteil der Prämie bieten. Auch Riester-Rente und betriebliche Altersversorgung bringen Wachstum.

In den vergangenen 12 Jahren haben sich viele Versicherer vor allem als Kapitalanleger versucht und ihre Kernkompetenz, das Übernehmen von Risiken, vernachlässigt. Das Geschäftsmodell ist offensichtlich für die meisten gescheitert. „Back to basics“ heißt jetzt der Schlachtruf. Viele Unternehmen prüfen, ob sie ihre Vermögensanlage an Profis übertragen oder zumindest mit anderen Versicherern bündeln. Erfolgreich werden Kostensenkungsprogramme angeschoben.

Die Richtung stimmt. An den akuten Problemen kann das zwar nichts mehr ändern. Zahlreiche Gesellschaften werden aufgeben müssen, der stark fragmentierte deutsche Markt wird sich konsolidieren. Aber das verbessert die guten Aussichten der Assekuranz, von der für sie günstigen politischen Großwetterlage wirklich zu profitieren. Private Vorsorge ist so populär wie nie zuvor. Wer den gegenwärtigen Sturm überlebt, hat gute Zukunftsaussichten.

Zitat:

„Der massive Einbruch der Kurse hat die Bilanzen belastet“ – GDV-Präsident Michaels

Bild(er):

Viele Versicherer sind mit ihren Aktienbeständen tief unter Wasser und suchen nach einem Rettungsring – jalens / joachim affeldt.

Quelle: Financial Times Deutschland


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