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Sanio macht Versicherern Hoffnung

Posted By Herbert Fromme On 6. Mai 2003 In Archiv,RTF Import | No Comments | Drucken

Chef der deutschen Allfinanzaufsicht BaFin zeigt sich im FTD-Interview offen für weichere Abschreibungsregeln

Von Herbert Fromme, Sven Clausen und Patrick Jenkins, Bonn Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) schließt weitere Bilanzerleichterungen für die Versicherungsbranche nicht aus, hält die Diskussion darüber aber für verfrüht. „Ich sehe keinen Anlass, schon jetzt für den Bilanzstichtag 2003 über weitere Erleichterungen bei den Abschreibungsregeln für Versicherer zu entscheiden“, sagte BaFin-Präsident Jochen Sanio im Interview mit der FTD. Aus heutiger Sicht glaubt er, dass die deutschen Versicherer wahrscheinlich mit ihren Abschreibungsproblemen fertig werden und nicht in existenzielle Not kommen.

Sanio weiter: „Sollte sich die Kapitalmarktsituation in den nächsten Monaten für die Branche insgesamt stark negativ entwickeln, hielte ich es durchaus für vertretbar, den Abbau stiller Lasten über das Jahr 2003 hinaus zu strecken. Es müsste dann aber sehr genau darüber nachgedacht werden, welche Bilanzregeln hierzu von wem geändert werden müssten.“

Die Versicherer hatten in den letzten Wochen auf weitere Modifikationen gedrungen, um den hohen aufgestauten Abschreibungsbedarf weiter zu strecken. Dafür würden Änderungen in den Regeln ausreichen, die von den Wirtschaftsprüfern bei ihren Prüfungen angewendet werden, glauben die Versicherer. Zwar ist die BaFin nicht direkt für die Regeln der Wirtschaftsprüfer zuständig. Aber Sanio und seine Mitarbeiter müssen die so aufgestellten Bilanzen für ihre Untersuchung der finanziellen Stabilität der Assekuranz akzeptieren. Deshalb legen die Wirtschaftsprüfer großen Wert darauf, Änderungen vorab mit der BaFin zu klären.

Durch den Absturz der Börsen in den letzten drei Jahren sind viele Lebensversicherer unter erheblichen Druck geraten. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) schätzt die Summe der aufgeschobenen Abschreibungen auf rund 20 Mrd. Euro.

Direkt nach dem 11. September 2002 hatte der Bundestag das Handelsgesetzbuch geändert. Der neue Paragraf 341b erlaubt Versicherern, Abschreibungen auf Aktien dann nicht vorzunehmen, wenn der Rückgang des Aktienkurses nicht dauerhaft ist. „Man wollte auf die drastischen Kurseinbrüche nach den Terroranschlägen reagieren, von denen alle meinten, dass sie nur von kurzer Dauer seien“, sagte Sanio.

Als der Börsenverfall weiterging, stellte sich die Frage, wann Kursverluste als dauerhaft angesehen werden müssen. Das Institut der Wirtschaftsprüfer hatte dazu Regeln vorgelegt, zum Beispiel ein Wertverlust von 20 Prozent über sechs Monate.

Damit ist aber noch nicht gesagt, auf welchen Wert abgeschrieben werden muss. Das Gesetz gibt weiten Spielraum. Damit nicht für dieselbe Aktie unterschiedliche Wertansätze bei verschiedenen Versicherern verwendet werden, einigten sich die Wirtschaftsprüfer informell auf eine Faustformel: Den Dax-Durchschnitt der letzten zwölf Monate plus zehn Prozent akzeptieren sie. Diese Richtlinie, so spekulieren die Versicherer, könnte bei den Bilanzen 2003 weiter gemildert werden.

Der Ansatz Dax-Schnitt plus zehn Prozent ist auch der BaFin im vergangenen Jahr präsentiert worden. „Wir haben diese Initiative sehr begrüßt, da sie sicherstellt, dass branchenweit vernünftige Bewertungsmaßstäbe angewandt werden. Mir ist bisher nicht bekannt, dass die Wirtschaftsprüfer von den Bewertungsgrundsätzen, die sie erst kürzlich selbst aufgestellt haben, wieder abweichen wollen“, sagte Sanio.

Die der BaFin vorliegenden Zahlen deuteten darauf hin, dass die Versicherer mit der Abschreibungsproblematik fertig werden können, sagte Thomas Steffen, Chef der Versicherungsaufsicht der BaFin. „Wir sind über die Finanzlage der Unternehmen sehr zeitnah unterrichtet.“ Es sei nach heutigem Stand nicht ausgemacht, dass Protektor tätig werden müsse. Der Spezialversicherer wurde von der Branche auf Druck der BaFin gegründet, um Kundenverträge von Not leidenden Lebensversicherern zu übernehmen. Beim aktuellen Zustand der deutschen Lebensversicherer bestehe für die Versicherten kein Grund zur Besorgnis. Klar sei, dass die Versicherungswirtschaft, vor allem die Lebensversicherer, in einer schwierigeren Situation sind als früher. „Wir achten immer sehr genau darauf, dass alle Lebensversicherer unter unserer Aufsicht ihre Verpflichtungen erfüllen können – heute und in Zukunft.“ Sanio weiter: „Abgesehen von einem Lebensversicherer, dessen Situation in der Presse genannt wird, gibt es aktuell keinen weiteren Fall, der uns auf den Nägeln brennt.“

Mit den öffentlich stark beachteten Stresstests habe die BaFin vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft ein Instrument übernommen, das die Widerstandsfähigkeit eines Versicherers gegen extreme Negativentwicklungen misst, sagte Steffen. Wer ihn nicht bestehe, müsse deshalb nicht in Schwierigkeiten sein.

Die Stresstestergebnisse dienten bei der BaFin nur der internen Informationsgewinnung. Beim Stresstest wird die Erfüllbarkeit der Verpflichtungen des Versicherers gegenüber seinen Kunden unter Ex-trembedingungen auf den Kapitalmärkten getestet. „Ich kann mir durchaus vorstellen, dass der Stresstest in Zukunft modifiziert wird, indem wir das ihm zu Grunde liegende Szenario realitätsnäher gestalten“, sagte Sanio.

Zitat:

„Wir achten genau darauf, dass Lebensversicherer ihre Verpflichtungen erfüllen können“ – BaFin-Chef Sanio

Bild(er):

BaFin-Präsident Jochen Sanio ist nicht gegen eine Milderung der Abschreibungsregeln für Versicherer, wenn sich die Kapitalmärkte negativ entwickeln – Dietmar Gust.

Quelle: Financial Times Deutschland


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