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Von Anja Krüger und Ilse Schlingensiepen Nicht nur Autobahnen,

Posted By Ilse Schlingensiepen On 2. Dezember 2003 In Archiv,RTF Import | No Comments | Drucken

Von Anja Krüger und Ilse Schlingensiepen Nicht nur Autobahnen, Eisenbahnschienen, der Rhein und der Konrad-Adenauer-Flughafen machen Köln zu einem Verkehrsknotenpunkt, der für die wirtschaftliche Entwicklung der Region unverzichtbar ist. Auch unter der Erde besitzt der Kölner Raum ein dichtes Wegenetz – für Flüssigkeiten. Viele Pipelines sorgen dafür, dass vor allem die Unternehmen der chemischen Industrie an die Märkte angebunden sind.

Um Köln herum liegt der genannte Chemiegürtel. Er zieht sich von Sürth im Süden, wo die großen Raffinerien sitzen, bis hinauf zu den Bayer-Werken im nördlich angrenzenden Leverkusen. Die 70 Chemie- und Pharmaunternehmen erwirtschafteten im letzten Jahr 43 Prozent des gesamten Industrieumsatzes im Bezirk der Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Köln. Zu diesem gehören neben der Domstadt und Leverkusen auch die drei Kreise Oberbergisches Land, Rhein-Sieg und Rhein-Erft.

Mit 40 800 direkt Beschäftigten hat die Branche die meisten Arbeitnehmer; in der Fahrzeugindustrie sind 28 000 direkt Beschäftigte tätig. „Die Chemieindustrie ist ein großer Beschäftigungsmultiplikator“, sagt Lutz Klewer, Dezernent der IHK Köln. Über die gesamte Wertschöpfungskette sorgt sie für 150 000 Arbeitsplätze im Kammerbezirk. Im Großraum Köln beschäftigen insgesamt 150 Chemieunternehmen inklusive der Pharmafirmen 70 000 Arbeitnehmer direkt und mehr als 200 000 indirekt.

Die chemische Industrie in der Region ist deutlich stärker als das verarbeitende Gewerbe. Im Regierungsbezirk Köln brachte sie es im vergangenen Jahr auf einen Umsatz von fast 19 Mrd. Euro, das sind 14 Prozent des gesamten Umsatzes der Chemieindustrie in der Bundesrepublik. Der durchschnittliche Umsatz pro Großbetrieb liegt bei 147 Mio. Euro, damit ist er dreimal so hoch wie im verarbeitenden Gewerbe. Dort beträgt er 34 Mio. Euro.

Von einem vertrauten Namen muss sich die Chemieregion Köln verabschieden. Der Konzern Bayer gliedert sein Chemie- und Kunststoffgeschäft aus und macht daraus eine eigene Gesellschaft. Das neue Unternehmen, das zurzeit unter dem Arbeitstitel „NewCo“ firmiert, soll bis 2005 an die Börse gebracht werden. Bayer sieht den Chemiesektor nicht mehr als Kerngeschäft. Das bilden jetzt die Bereiche Gesundheit, Ernährung und hochwertige Materialien.

Für viele ist der Name Bayer untrennbar mit der Marke Aspirin verbunden. Das Schmerzmittel gehört zu den frei verkäuflichen Arzneien, bei denen Bayer nach eigenen Angaben weltweit die Nummer sechs ist. Bei den verschreibungspflichtigen Medikamenten steht Bayer weniger gut da. Hier erreicht der Konzern auf dem Weltmarkt gerade mal Platz 19. Man wolle Bayer künftig als „mittelgroßes europäisches Pharmaunternehmen“ positionieren, lautet die bescheidene Devise von Vorstandschef Werner Wenning. Der Pharma-Forschungsetat wird in Zukunft gekürzt. Das Headquarter für die Pharmaaktivitäten wandert von der Leverkusener Konzernzentrale zum Wuppertaler Bayer-Werk.

Nach Angaben der Kölner IHK arbeiten zurzeit in ihrem Kammerbezirk 35 Pharmaunternehmen verschiedenster Größenordnung, darunter bekannte Namen wie Aventis, Klosterfrau oder Madaus.

Hoffnungsträger in Köln wie in anderen Regionen ist die Biotechnologie. „Die Biotechnologie ist eine Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts“, sagt Friedel Breuer von der IHK Köln. Seit den frühen 90er Jahren setzt die Stadt auf die Ansiedlung von Unternehmen der jungen Branche. Von den bundesweit etwa 360 Firmen sind heute 40 im Kammerbezirk ansässig, von denen mehr als die Hälfte jünger sind als zehn Jahre. Sie beschäftigen etwa 1800 Mitarbeiter und erwirtschafteten – ausgenommen Großunternehmen wie Bayer – 2002 einen Umsatz von 175 Mio. Euro.

Die Konkurrenz für den Biotechnologie-Standort Köln befindet sich nicht nur in München oder Berlin, sondern auch in nächster Nähe – in Düsseldorf, Aachen und Bonn. „Die einzelnen Standorte sind zu klein, um es alleine mit Konkurrenten wie München aufzunehmen“, sagt Breuer. Deshalb hat sich Köln mit den drei benachbarten Biotechnologie-Zentren zusammengeschlossen. Unter dem gemeinsamen Dach „BioRiver“ versuchen sich die Standorte national und international zu vermarkten.

In allen rheinischen Biotechnologiezentren gibt es mehr als genug Platz für neue Unternehmen. In den Boomzeiten der Biotechnologie haben die Standorte in die Infrastruktur für die Branche investiert. Jetzt gibt es ein Überangebot an Büro- und Laborflächen. In der Region gibt es zehn Technologieparks, vom BioCampus Cologne über das CellCenter Cologne bis zum TechnologiePark Köln. Zusammen verfügen sie über eine Fläche von mehr als 160 000 Quadratmetern. Weitere 95 700 Quadratmeter Labor-, Produktions- und Bürofläche sollen in naher Zukunft hinzukommen. Doch schon jetzt steht ein Teil der Parks leer.

Ein Grund: Existenzgründer und junge Firmen haben große Schwierigkeiten, Kapital zu bekommen. Mit der Krise der Biotechnologie versiegte nämlich auch der Strom des so genannten Venture-Capital (VC). Deshalb können viele Unternehmensideen nicht realisiert werden. „Für bestehende Unternehmen wird die Nachfolgefinanzierung immer schwieriger“, sagt Breuer. „Wir brauchen einen VC-Fonds für NRW.“

Bild(er):

In der chemischen Industrie in Hürth bei Köln qualmen die Schlote. John-Werner Madaus ist Aufsichtsratsvorsitzender des Pharmaherstellers Madaus – Argus/Raupach; Laif/Oliver Schmauch; ddp; Rainer Weisflog; Bayer

Quelle: Financial Times Deutschland


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