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Deutschlands Demokraten zerstritten über Erfolge der NPD

Posted By Redaktion On 10. Februar 2005 In Archiv,RTF Import | No Comments | Drucken

Kanzler attackiert Stoiber beim politischen Aschermittwoch · CSU-Chef fordert angesichts hoher Arbeitslosigkeit Rücktritt Schröders

Der Streit zwischen Kanzler Gerhard Schröder (SPD) und CSU-Chef Edmund Stoiber über die Gründe für das Erstarken der NPD hat gestern den politischen Aschermittwoch beherrscht. Als Grund für die „Orgie der Beschimpfungen“ von Seiten Stoibers machte Schröder die Enttäuschung des einstigen Kanzlerkandidaten darüber aus, dass er wohl nie Kanzler werde. Bayerns Ministerpräsident verhalte sich wie ein kleiner Junge, „der beim Gang in den Kohlenkeller laut pfeift, um böse Geister zu vertreiben“, so Schröder bei seinem Aufritt in Köln.

Der CSU-Vorsitzende hatte zuvor den Vorwurf des Realitätsverlusts vom Dienstag an Bundeskanzler zurückgegeben und damit den polemischen Schlagabtausch zwischen Union und SPD fortgesetzt. Beim traditionellen Aschermittwoch der CSU in Passau sagte der bayerische Ministerpräsident, Schröder ignoriere das Problem der „Massenarbeitslosigkeit“. „Wer in diesem Land an Realitätsverlust leidet, das ist Schröder. Er nimmt die Realität von fünf Millionen Arbeitslosen nicht zur Kenntnis“, rief Stoiber 8000 Zuhörern zu.

Trotz der Bekenntnisse zum gemeinsamen Kampf gegen Rechtsextreme nutzen die Spitzenpolitiker ihre Aschermittwochsauftritte, um einander auf niedrigem Niveau anzugreifen. „Die Herausforderungen international, aber auch in Deutschland sind so groß, dass wir Beschimpfungen unter Demokraten unterlassen und an die Arbeit gehen sollten“, sagte Schröder zwar. Doch nur Minuten später griff er Stoiber an, und freute sich über den „innerparteilichen Ringkampf“ der Union.

Als Pendant zur riesigen Messehalle in Passau musste der im Vergleich eher gemütliche Kölner Festsaal Gürzenich herhalten, bei dem zum Kölsch die Lokalmatadoren von Brings aufspielten. Bis zum Einzug von Schröder mit dem nordrhein-westfälischen Regierungschef Peer Steinbrück und dem Chef der Landes-SPD, Harald Schartau, hatten sich dann alle warmgeklatscht. Neben seinen deftigen Sätzen über Stoiber setzte der Kanzler auf sein Image als Staatsmann und sprach über die Flutkatastrophe in Asien und über Iran.

In seiner ungewöhnlich kurzen Rede von knapp zwei Stunden griff Stoiber die rot-grüne Koalition in gewohnter Manier auf breiter Front an. Er ließ kein Ressort und keinen Minister ungeschoren. Dennoch brauchten die Zuhörer in der neuen Messehalle 90 Minuten, um zum ersten Mal in Jubel auszubrechen. Erst mit einer Attacke auf die bayerischen Grünen und ihre angebliche Forderung, in Bayern bis zu fünf islamische Feiertage einzuführen, traf Stoiber die Bedürfnisse seiner Anhänger.

„Menschen, die keine Perspektive mehr sehen, sind anfällig für Parolen von Rechts und Links“, so Stoiber. Auch er betonte, alle demokratischen Parteien sollten gemeinsam gegen Rechtsextreme vorgehen. Daher stehe er einem erneuten Verbotsantrag gegen die NPD „nicht im Wege“. Allerdings müssten jenseits des Parteienverbots die Gründe für die Erfolge der NPD bekämpft werden: „Die Massenarbeitslosigkeit ist die Wurzel allen Übels.“ Rot-Grün solle die „Koffer packen“.

Verbraucherschutzministerin Renate Künast forderte beim Aschermittwoch der Grünen Stoiber zu einem Zeichen gegen die NPD auf.

Umfragen zeigen allerdings, dass die Wähler auf die Debatte um die Arbeitslosigkeit stark reagieren. In einer Forsa-Umfrage für den „Stern“ konnte die Union drei Prozentpunkte auf jetzt 40 Prozent zulegen. Zusammen mit der FDP käme sie auf 47 Prozent. SPD und Grüne rutschen auf 44 Prozent ab. FDP-Chef Guido Westerwelle warf Rot-Grün vor, den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit aufgegeben zu haben.

Bild(er):

Ein Prosit auf die ewige Wiederkehr: Am Aschermittwoch machen sich Renate Künast, Edmund Stoiber, Guido Westerwelle und Gerhard Schröder für Grün, Schwarz, Gelb oder Rot stark – und die politischen Gegner nieder – ddp/J. Koch; ddp/J. Simon; AP/T. Scholz; AP/F. Augstein

Leitartikel Seite 27

Katrin Berkenkopf, Köln, und Timo Pache , Berlin

Quelle: Financial Times Deutschland


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