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Kartellamt kritisiert Versicherer scharf

Posted By Herbert Fromme On 24. März 2005 In Archiv | No Comments | Drucken

Gegen zehn Industrieversicherer und einzelne Vorstandsmitglieder hat das Bundeskartellamt Bußgelder von zusammen 130 Mio. Euro verhängt. Sein Präsident Ulf Böge warf den Unternehmen vor, bewusst gegen das Kartellverbot verstoßen zu haben. Es sei nicht um die klassische Absprache über Preise gegangen. „Einheitliche Preise wären angesichts der Komplexität der Verträge und der individuellen Risiken der Industriekunden vermutlich auch nicht durchsetzbar gewesen“, sagte Böge gestern vor Journalisten. Stattdessen hätten die Unternehmen sich darauf verständigt, einfach keine Angebote bei Risiken abzugeben, bei denen ein Konkurrent die Preise erhöhen wollte. Dadurch sei der Wettbewerb ausgeschaltet worden.
Bußgeldbescheide erhielten Allianz, Axa, Gerling, HDI/Talanx, Aachen Münchener (Generali-Konzern), Gothaer, Mannheimer (Uniqa-Gruppe), Victoria (Münchener Rück) und Württembergische.
Böge sagte, gegen weitere Versicherer würden im Sommer Bußgeldbescheide folgen. Insgesamt hat das Kartellamt gegen 18 Unternehmen ermittelt. Das Amt habe auch die Rolle der Rückversicherer betrachtet, sagte Berichterstatterin Karin Kölzow. Für die Rückversicherer gelte ein „Freispruch aus Mangel an Beweisen“.
Weder die Behörde noch die einzelnen Unternehmen wollten die Höhe der individuellen Bußgelder nennen. Nach FTD-Informationen verhängte das Amt gegen die Allianz und deren Manager insgesamt 33,85 Mio. Euro, gegen HDI/Talanx 26 Mio. Euro, gegen Axa zwischen 25 Mio. Euro und 30 Mio.Euro, gegen Gerling 19 Mio. Euro und gegen die Gothaer 6,4 Mio. Euro. Die Victoria soll bei rund 5 Mio. Euro liegen, im einstelligen Millionenbereich auch die übrigen Versicherer.
Gegen die Bußgeldbescheide können die Betroffenen innerhalb von zwei Wochen Einspruch einlegen. Dann muss das Oberlandesgericht Düsseldorf entscheiden. Allianz, Axa und Victoria haben bereits erklärt, den Rechtsweg beschreiten zu wollen. Andere Versicherer prüfen das noch. Die Gesellschaften bestreiten illegales Handeln.
Industrieversicherer decken Großbetriebe gegen Schäden an Maschinen und Gebäuden sowie gegen Ansprüche von Dritten. Von Mitte der 90er Jahre bis 2001 machten fast alle Unternehmen hohe Verluste in diesem Bereich. Inzwischen ist er wieder gewinnbringend, nicht zuletzt auf Grund des starken Drucks der Rückversicherer. Sie decken bei den Erstversicherern mehr als die Hälfte der Industrierisiken ab.
Ab Ende 2001 kam es zu drastischen Preisanhebungen mit teilweise rüden Methoden, die bei Versicherungseinkäufern der Großunternehmen auf scharfe Kritik stießen. Die Vorgänge seien bedauerlich, sagte Ralf Oelßner, Versicherungschef der Lufthansa und Vorsitzender der Versicherungseinkäufer-Lobbyorganisation Deutscher Versicherungs-Schutzverband, der FTD. „Die Befürchtungen oder Annahmen, die Versicherungskunden immer wieder hatten, sind jetzt durch Herrn Böge bestätigt worden.“ Außerdem habe es fragwürdige Praktiken wie die Zahlung von Sonderprovisionen an Makler zu Lasten der Kunden und die Angebotsfälschung durch Makler und Versicherer in den USA gegeben. „Das Vertrauen in die Versicherungsbranche ist schwer beschädigt“, sagte Oelßner. Er wollte Schadensersatzansprüche großer Versicherungskunden nicht ausschließen. „Das Problem wird sein, den genauen Schaden festzustellen.“
Kartellamtspräsident Böge sagte, das eigentliche Gremium für die Absprachen sei der Fachausschuss industrielle Sachversicherung im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft gewesen. Allianz, Axa, Gerling und HDI/Talanx hätten die größte Bedeutung gehabt. Umgesetzt worden sei die Kartellvereinbarung durch regionale Treffen wie den „Frankfurter Kreis“, den „Westdeutschen Feuerkreis“, den „VR-Stammtisch Stuttgart“ oder den „Süddeutschen Arbeitskreis“. Hauptmittel sei die Anfrage beim vorherigen Versicherer gewesen. So hieß es in einem Protokoll vom März 2001: „Bei Neugeschäft Anfrage beim Vorversicherer. Wenn Makler Angabe nicht liefert, keine Angebotsabgabe.“
Die Versicherer hätten abgesprochen, sich bei Sanierungsmaßnahmen „gegenseitig nicht zu stören“. „Kam es dennoch zu einem Abwerbeversuch, wurde der Sanierungsstörer zur Rede gestellt, um so Marktgeschlossenheit zu erreichen“, sagte Böge.
Der Kartellamtspräsident wollte nicht sagen, ob seine Behörde die Versicherungsbranche auch in anderen Feldern im Visier hat.

Quelle: Financial Times Deutschland


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