Abo

Qualitätsjournalismus kostet Geld. Mit Ihrem Abo sorgen Sie dafür, dass unsere Berichterstattung unabhängig bleibt.


Masse kommt vor Klasse

Posted By Friederike Krieger On 20. Mai 2005 In Archiv | No Comments | Drucken

Während seiner ersten Wochen in Köln glaubte Borris Brandt, Chef von Endemol Deutschland, kaum, dass er es lange in der Stadt aushalten würde. „Ich fand Köln einfach nur enorm hässlich, aber schon nach drei Monaten war ich vom Flair der Stadt und der Mentalität der Menschen begeistert“, sagte er.
Gerhard Schmidt, Geschäftsführer des mittelständischen Fernseh- und Filmproduktionsunternehmens Cologne Gemini, geht es ähnlich: „Die Kölner amüsieren sich gern und sind stets gut gelaunt und optimistisch. So eine Einstellung kommt der Fernsehbranche sehr entgegen.“ Aus diesem Grund würden auch so viele Comedy-Shows und Serien in Köln gedreht.
Das mag eine verkürzte Sicht der Standortqualitäten sein. Tatsache ist: Zahlreiche bekannte Fernsehformate, die über Deutschlands Mattscheiben flimmern, entstehen in Köln, von „Big Brother“ über „Verbotene Liebe“ bis zum hochgelobten Fernsehfilm „Stauffenberg“. Rund 30 Prozent des deutschen Fernsehprogramms stammen von hier. Mit WDR und RTL sitzen der größte deutsche öffentlich-rechtliche Sender sowie der umsatzstärkste Privatsender Europas in der Stadt. Hinzu kommen Vox, Super RTL, RTL Shop, Deutsche Welle TV, Viva 2 und Terra Nova.
Drehen wie am Fließband
Rund 600 Produktionsfirmen zählt die Kölner Film- und Fernsehbranche. Viele davon sind kleine und mittelständische Unternehmen. Ein ganzes Netz von Studios überzieht die Stadt: In Köln-Ossendorf befindet sich mit dem Coloneum die größte Studiolandschaft Europas, und auf dem Campus in der Nachbarstadt Hürth oder im Medienzentrum Schanzenstraße in Köln-Mülheim drehen die Film- und Fernsehmacher wie am Fließband. Auch die Domstadt selbst muss regelmäßig als Kulisse für Aufnahmen aller Art herhalten: Rund 1300 Drehgenehmigungen erteilt die Stadt im Jahr.
Obwohl in Köln jährlich mehr als 500 Mio. Euro für Dreharbeiten ausgegeben werden, steht für die Branche längst nicht alles zum Besten: „Die Sender sparen zunehmend auf Kosten des Produktionsbudgets, aber auf Produktionsseite gibt es langsam keinen Spielraum mehr“, sagt Rafaela Wilde. Sie ist Geschäftsführerin des Film- und Fernsehproduzentenverbands. Die Produzenten müssten immer mehr Vorkosten übernehmen, sagt Wilde, zum Beipsiel auch das Casting der Schauspieler. Das schmälere ihre Margen.
Wilde zufolge liegen die Rechte an den produzierten Formaten zudem bei den Sendern. Deshalb bringt selbst eine besonders erfolgreiche TV-Show dem Produzenten kein zusätzliches Geld. Hinzu kommt, dass es für die kleinen und mittelständischen Produktionsfirmen in Köln immer schwerer wird, einen Bankkredit zu bekommen. „Wenn Omas Häuschen dann schon mit drei Hypotheken belastet ist, fällt es schwer, neue kreative Formate zu entwickeln“, sagt Wilde.
Folglich fällt die Wahl zwischen Klasse und Masse oft zu Gunsten der Masse aus. „Wir versuchen, so viel wie möglich zu produzieren und Förderungen zu ergattern, um den Verlust auszugleichen“, sagt Cologne-Gemini-Chef Schmidt. Als Folge davon bleibt die Qualität auf der Strecke.
Technische Entwicklungen wie etwa das digitale Fernsehen könnten Produzenten in Zukunft jedoch neue Einnahmemöglichkeiten bringen. Mit den analogen Sendefrequenzen konnten bislang aus technischen Gründen nur eine begrenzte Anzahl an Fernsehsendern ihre Programma ausstrahlen. Beim digitalen Fernsehen hingegen gibt es weitere Spartenkanäle. „Mehr Spartensender bedeuten auch einen größeren Markt für die Produzenten“, sagt Verbandsgeschäftsführerin Wilde.
Auch das Internet könnte für mehr Abwechslung im Fernsehen sorgen. Zwar sind heute erst 360 000 deutsche Haushalte entsprechend ausgestattet, um Fernsehinhalte aus dem Netz zu laden, doch ihre Zahl wächst im Jahr um rund 30 Prozent. „Die Fernsehsender werden dadurch ihre Alleinstellung im Wohnzimmer verlieren“, sagt Jörg Wildt vom Medienberatungsunternehmen Pixelpark. So könnten Telekommunikationsunternehmen bald zu den Auftraggebern jener Produzenten zählen, die mit eigenen Programmen den Verkauf ihrer Internetverbindungen ankurbeln wollen.
Das Herz der Kölner erreichen
Internetfernsehen könnte den Produktionsfirmen auch völlig neue Geschäftsfelder eröffnen: So betätigt sich die AZ Media, die normalerweise Magazine wie „Money Trend“ für RTL herstellt, seit Anfang Mai übers Internet als Kölner Lokalsender Center TV. AZ-Media-Chef Andre Zalbertus will 24 Stunden Lokales senden und den kriselnden Regionalsender TV NRW ersetzen. Der steht mangels Programmen mit regionalem Bezug kurz vor dem Entzug seiner Sendelizenz. Ende Mai plant TV NRW seinen Betrieb einzustellen.
„Wir wollen das Herz der Kölner erreichen“, sagt Zalbertus. Er stattet seine 30 Mitarbeiter mit preisgünstigen Digitalkameras aus, schickt sie durch die Stadt und lässt sie über Sportvereine, Hundezüchter, Jubiläen und lokale Größen berichten.
Das Lokalprogramm von Center TV soll – je nach Tageszeit – auf jene Zielgruppen abgestimmt sein, die gerade zuschauen: Morgens gibt es ein Kirchenprogramm für ältere Frühaufsteher und Einkaufstipps für Hausfrauen. Nachmittags stehen Themen wie Computer und Musik für die heimkehrenden Schüler im Vordergrund, abends wird das Feuilleton-Publikum bedient.
Eine minimalistische Studioausstattung und günstige Werbeplätze für den Mittelstand sollen den Sender wirtschaftlich machen. Noch in diesem Jahr sollen Ableger von Center TV auch in Berlin, Hamburg, Stuttgart, Hannover und München entstehen. Dass Köln der Ausgangspunkt von Center TV sein werde, war für Zalbertus von vornherein klar. „Köln ist die emotionalste Stadt Deutschlands“, sagt er. Wenn das Konzept irgendwo funktioniere, dann hier.

Quelle: Financial Times Deutschland


Article printed from Versicherungsmonitor: https://versicherungsmonitor.de

URL to article: https://versicherungsmonitor.de/2005/05/20/masse-kommt-vor-klasse/