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Politik verunsichert die Versicherer

Posted By Anja Krüger und Herbert Fromme On 15. Juni 2005 In Archiv | No Comments | Drucken

Die Freude ist verhalten bei den privaten Krankenversicherern (PKV). Die Aussichten auf eine vorgezogene Bundestagswahl mit einer CDU-geführten Bundesregierung als Ergebnis werden prinzipiell von der Branche begrüßt. „Mit einer CDU-FDP-Regierung kann man wohl besser reden als mit der jetzigen Regierung“, sagte Uwe Laue, Vorstandschef des größten privaten Krankenversicherers, der Debeka aus Koblenz. Sorgen machen sich Laue und die gesamte Branche über die Pläne der großen Parteien – auch die der CDU/CSU.
Schon jetzt führt die allgemeine Unsicherheit über den künftigen Kurs der Gesundheitspolitik zu deutlicher Zurückhaltung bei den Kunden. „Unser Neugeschäft in der privaten Krankenversicherung liegt 2005 um 40 Prozent unter dem Vorjahr“, berichtete Gerhard Bilsing, Chef des Verbunds Alte Leipziger – Hallesche.
Einig sind sich die Manager in der Ablehnung der von der SPD favorisierten Bürgerversicherung. „Das würde uns in unserem Kerngeschäft, der Krankheitskostenvollversicherung, und der Pflegeversicherung die Geschäftsgrundlage entziehen“, beklagte Günter Dibbern, Chef des zur Münchener Rück gehörenden Marktzweiten Deutsche Krankenversicherung (DKV). Bisher sind 8,26 Millionen Personen nicht in den gesetzlichen Krankenkassen, sondern privat gegen Krankheitskosten versichert – rund die Hälfte davon Beamte, die einen Teil ihrer Behandlungskosten vom Dienstherren erstattet bekommen und sich für den anderen Teil privat versichern müssen. Das Kerngeschäft Vollversicherung würde der PKV bei einer Bürgerversicherung wegbrechen.
Furcht vor der Kopfpauschale
Aber auch die Kopfpauschale oder Gesundheitsprämie der CDU, eines der Lieblingsprojekte ihrer Vorsitzenden Angela Merkel, macht die Assekuranz nicht glücklich. Die Kopfpauschale führt ebenfalls zu einer deutlichen Beschneidung des bisherigen PKV-Geschäfts. Denn die Kopfpauschale würde so niedrig angesetzt, dass die privaten Krankenversicherer gegenüber den gesetzlichen nicht mehr konkurrenzfähig wären. „Wir setzten auf die FDP“, sagte Barmenia-Chef Josef Beutelmann. Da der mögliche Koalitionspartner der Union eine Privatisierung der Krankenkassen verlange, könne die Branche dort auf Gehör hoffen – wenn es denn zu einer schwarz-gelben Koalition kommt und nicht zu anderen Konstellationen, etwa einer absoluten Mehrheit von CDU/CSU.
Bisher waren die Versicherungschefs davon ausgegangen, dass CDU und CSU vor dem für 2006 erwarteten Wahlkampf ihr Konzept noch einmal überarbeiten. In den Konzernzentralen hoffte man im Stillen, die Partei ließe sich durch Lobbyarbeit noch von der Kopfpauschale abbringen. Davon ist jetzt nicht mehr die Rede. Wie die Zukunft der Krankenversicherung in Deutschland aussieht und welche Rollen private Versicherer und gesetzliche Kassen spielen, ist weiter offen. „Positiv ist nur, dass diese Unsicherheit bald ein Ende haben wird“, sagte ein Manager. „Zurzeit ist keine Versicherungsgruppe verkaufbar, die einen größeren privaten Krankenversicherer hat“, urteilt das Vorstandsmitglied einer der größten zehn Versicherungskonzerne in Deutschland. Die Risiken aus der privaten Krankenversicherung seien einfach nicht kalkulierbar.
Jetzt versuchen die privaten Krankenversicherer, durch eine Presse-und Lobbykampagne in Berlin in die Offensive zu kommen. „Wir brauchen mehr wirklichen Wettbewerb zwischen GKV und PKV, mehr Wahlfreiheiten und mehr Kapitaldeckung“, sagte Bilsing. „Ein Bedarf an Radikalreformen besteht bei objektiver Betrachtung nicht.“ Der PKV-Verband hat unter dem Druck der möglichen Abschaffung seines Hauptgeschäftsfelds durch die Politik Vorschläge vorgelegt, die unter anderem für künftige Versichertengenerationen die Mitnahme der Alterungsrückstellungen ermöglichen. Bisher ist diese Mitnahme nicht möglich, das behindert die Konkurrenz besonders bei älteren Versicherten.
Wachstumsimpulse gehemmt
Sicher ist, dass auch nach dem nächsten Reformprojekt, gleich unter welcher Regierung, Krankenversicherer und Krankenkassen im Zentrum politischer Aufmerksamkeit stehen. Dabei suchen die Politiker vor allem nach Möglichkeiten zur Kostensenkung. Die Unternehmen im Gesundheitswesen versuchen dagegen mit Recht, ihre Branche als gewaltigen Wachstumsmarkt darzustellen.
Tatsächlich führen steigende Lebenserwartung und wissenschaftlicher Fortschritt dazu, dass der Bedarf an medizinischen Dienstleistungen, Arzneimitteln und anderen Produkten rund um die Gesundheit rasant zunehmen wird. Aber die Gesellschaft ist immer weniger dazu bereit, die Kosten dafür auf der heutigen Geschäftsgrundlage zu tragen. Die Politik reagiert auf steigende Kassenbeiträge seit Jahrzehnten mit Kostendämpfungsgesetzen – was Wachstumsimpulse hemmt. Die rot-grüne Bundesregierung hat erstmals mit neuen Vertragsfreiheiten für Kassen, Ärzte und Patienten neue Wege beschritten. Tatsächlich sanken die Ausgaben der Kassen 2004 zum ersten Mal seit Jahren. Den Preis dafür zahlten die Versicherten mit Praxisgebühr und anderen Zuzahlungen. Bei den privaten Versicherern ist dieser Trend nicht sichtbar. Ihnen fehlen die entsprechenden Instrumente zur Kostendämpfung, die sie jetzt von der Politik einfordern.
Mit der jüngsten Gesundheitsreform sind die strikten Grenzen zwischen den Systemen durchlässig geworden. Gesetzliche Krankenkassen können Ergänzungspolicen der Privaten verkaufen. Ende 2004 gab es 16,2 Millionen private Zusatzversicherungen von gesetzlich Versicherten, ein Jahr vorher waren es nur 14,7 Millionen. Die rasante Steigerung verdankt die Branche einerseits dem Wegfall vieler ehemals staatlicher Leistungen, andererseits der Kooperation der privaten Anbieter mit den gesetzlichen Krankenkassen auf diesem Gebiet.
Ein von beiden Seiten oft mit Erstaunen zur Kenntnis genommener Nebeneffekt: Die Kooperation zwischen den so verschiedenen Partnern klappt besser als erwartet. Auch das werden die Konstrukteure der nächsten und übernächsten Gesundheitsreform in Berlin mit Interesse zur Kenntnis nehmen – wer auch immer das sein mag. Man darf gespannt sein.

Quelle: Financial Times Deutschland


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