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Die Rückversicherer fühlen sich nicht überflüssig

Posted By Herbert Fromme On 1. Juli 2005 In Archiv,RTF Import | No Comments | Drucken

Kölner Rückversicherungs-Symposium diskutiert die Zwänge durch Aufsicht, Kapitalmarkt und Zyklen

 

In den USA werden inzwischen Produkte der Worker’s compensation angeboten, die trotz ihres lang laufenden Risikos automatisch nach 7 Jahren abgelöst werden. In Deutschland liegen im Bereich Chemie/Pharma die Deckungswünsche und das -angebot soweit auseinander, dass einige Unternehmen der Branche sich selbst versichern. Die Rückversicherung steht unter vielfachem Druck und reagiert kurzfristig: Manövriert sie sich so in die Bedeutungslosigkeit, fragte Stefan Materne, Prof. für Rückversicherung der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften an der FH Köln. Zum 2. Kölner Rückversicherungs-Symposium des Instituts für Versicherungswesen der Fachhochschule Köln hatte er provokant mit „Die Rückversicherer tun das Richtige – und marginalisieren sich dabei?“ eingeladen. In der zurückliegenden Erneuerung hätten die Rückversicherer ein „Aufweichen“ der Marktbedingungen noch weit gehend verhindert. Aber sie spürten zunehmend den Druck ihrer Kunden, die mehrheitlich das gegenwärtige Ratenniveau und die geltenden Bedingungen für problematisch hielten. Insbesondere pochten die Zedenten auf die Erfüllung der originären Funktion von Rückversicherung: den Transfer von Risiko und Portfeuille-Volatilität sowie den langfristigen Ausgleich von Ergebnisschwankungen. Für die Rückversicherer verschärften sich die Rahmenbedingungen aufgrund geänderter und gestiegener Anforderungen u.a. durch Aktionäre, Rating-Agenturen, Berichtspflichten, neuen Eigenkapitalanforderungen und die Aufsicht.

 

Am Anfang ist der Ausschluss

 

Ralf Oelßner (Director Insurance bei der Lufthansa und Vorsitzender des Deutschen Versicherungs-Schutzverbands) wünscht sich von der Assekuranz weniger die Fixierung auf den Preis als vielmehr Kreativität bei den Deckungen. Bei Haftpflicht gelte inzwischen die Maxime: Am Anfang ist der Ausschluss, beklagte Oelßner. So seien nach Einschätzung der Versicherer einige Risiken – etwa im Bereich des Produktrückrufs und der D&O – nicht mehr versicherbar. Nach dem Verfahren des Kartellamts gegen die Industrieversicherer und Vorgängen um Finanzrückversicherung und Provisionen der US-Maklerschaft sei es „höchste Eisenbahn, dass sich alle Marktteilnehmer bemühen, das Vertrauen wieder herzustellen“.

 

Dr. Hermann Jörissen, Vorstandsvorsitzender der Gerling-Konzern Allgemeine Versicherungs-AG, sagte, dass die Angst und Irritation bei den Marktteilnehmern inzwischen überwiege. Angesichts des unsicheren Umfelds fürchtet er, dass sich dies in einer Rückversicherungspolitik äußern könnte, die auf den Einstieg in den Ausstieg abzielt. Er hält es für ein „Armutszeugnis“, wenn die Erstversicherer bei Chemie und Pharma keine Kapazitäten von 5 oder 10 Mrd Euro zusammenbekommen, sondern nur 1 bis 2 Mrd Euro und sich bei den Rückversicherern keine Kapazitäten generieren ließen. Diese wollten stattdessen bessere Erstversicherer werden, dabei mangele es ihnen am Underwriting, an der Schadenabwicklung, am Risikomanagement und an der Kundennähe. Die Rückversicherer sollten sich lieber ihre Risiken ansehen: die Qualitäten ihrer Erstversicherer und die Höhe ihrer Selbstbehalte.

 

Ein „hoch brisantes Risiko“ sei die Pharmahaftung, sagte Dr. Ludger Arnoldussen, Vorstandsvorsitzender der Swiss Re Germany. Man könne dieser Branche keine „Blankoschecks“ ausstellen, wenn sie für die so genannten Blockbuster-Medikamente, mit denen 9 oder 10 Mrd Euro Umsatz gemacht werde, nur ein Deckungsschutz bis zu einer Mrd Euro eingekauft werde. Hier handele es sich klar um einen Fall asymmetrischer Information für in der zweiten Reihe sitzende Rückversicherer.

 

Wenn die Preise nicht stimmten, gebe es eben keine Kapazitäten für Pharma-Risiken, sagte Wilhelm Zeller, Vorstandsvorsitzender der Hannover Rückversicherung AG. Er hofft, dass die Rückversicherer Disziplin entfalten und „wir hier erst am Anfang stehen“. Er gab ein klares Bekenntnis zu opportunistischen Kapazitäten ab: „Wenn wir satte Margen zeichnen, machen wir das, wenn sich diese normalisieren oder gar nicht mehr auskömmlich sind, steigen wir wieder aus.“ Dies funktioniere allerdings nur am Londoner Markt oder in den USA. Der deutsche Markt sei hinsichtlich seiner Preise und Konditionen nicht so volatil.

 

Kaum Vorschriften für Risikotransfer

 

Ausgiebig berichtete Zeller über die von der Hannover Rück seit rund 25 Jahren betriebene Finanzrückversicherung. Im Zusammenhang mit dem Missbrauch dieses Instruments werde die Hannover Rück von niemandem verdächtigt oder beschuldigt. Ein Auskunftsbegehren des New Yorker Generalstaatsanwalts Eliot Spitzer gebe es nicht, wohl aber von der Börsenaufsicht SEC, obwohl die Hannover Rück in New York nicht gelistet sei, von den Bundesstaaten Florida und Georgia – für die man keine Lizenz hat –, Irland, Singapur und Australien sowie im Rahmen einer Routineprüfung von der BaFin Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. Man arbeite mit allen Behörden freiwillig zusammen, auch wenn das drei bis fünf hochkarätige Mitarbeiter beschäftige. Die Hannover Rück weise ihre Finanzrückversicherung separat aus. Seit 1992 fordere die US-Bilanzierung GAAP einen Risikotransfer – nach HGB oder anderen Rechtsnormen sei dies bislang nicht notwendig. Rund 300 Mio Euro Finanzrückversicherung seien 2004 ohne Risikotransfer geschlossen worden. Dieses Volumen sei dementsprechend im Depot ausgewiesen worden, ebenso wie die Marge gesondert gezeigt würde. Man habe zudem Vorsorge getroffen, dass keine Nebenabreden getroffen oder Vordatierungen gemacht würden.

 

Konzentration auf Profitabilität

 

Breiten Raum nahmen die Preisgestaltung und implizit die Preisentwicklung ein. Man tue alles, um Informationsdefizite nicht aufkommen zu lassen bzw. abzubauen, berichtete Dr. Arno Junke, Vorstandsmitglied der Kölnischen Rückversicherungs-Gesellschaft AG. Es werde nur Geschäft gezeichnet, dass in sich profitabel sei, entgegnete er auf die Frage des Moderators Herbert Fromme von der Financial Times Deutschland, ob Firmeneigentümer Warren Buffet wirklich nur am Jahresgewinn interessiert sei und angeordnet habe, sich lieber mit der halben Prämie zufrieden zu geben, wenn nur keine schlechten Risiken gezeichnet würden.

 

Dr. Hermann Geiger, Vorstandsmitglied GE Insurance Solutions, berichtete, dass sich sein Haus auf profitable Sparten und Märkte konzentriere. Im Übrigen sei das Hauptstichwort für ihn „Transparenz“, und zwar zwischen Erst- und Rückversicherer sowie Versicherungsnehmer und Erstversicherer im Rahmen von Compliance und IFRS/Solvency ll.

 

Jan Störmann, Geschäftsführer von Guy Carpenter, beklagte die mangelnde Flexibilität deutscher Rückversicherer. Nach dem 11. September habe die Rückversicherung hier 2 Monate brachgelegen, während auf den Bermuda zur gleichen Zeit Kapazitäten aufgebaut worden seien. Im Hinblick auf die hohen Volatilitäten am Ende der Wertschöpfungskette bräuchten die Rückversicherer überdurchschnittliche Rendite, meinte er im Weiteren.

 

Kapitalmarkt treibt

 

Kontrovers wurde diskutiert, ob die Branche inzwischen vom Kapitalmarkt getrieben werde und wenn ja, ob dies positiv sei. Fromme hatte als Beispiel die Reaktion von Allianz-Chef Michael Dieckmann auf der diesjährigen Bilanzpressekonferenz angeführt. Dieser habe sich enttäuscht über den Aktienkurs gezeigt und darauf hingewiesen, dass der Konzern alles unternommen habe, was der Kapitalmarkt gefordert habe. Junke meinte, dass man die Erwartungshaltung des Kapitalmarkts verstehen müsse. Mit einer offenen Politik könne man vermeiden, riskante Erwartungshaltungen zu züchten. Geiger befürwortete es, sich dem Kapitalmarkt zu stellen. Er beklagte aber, dass die Regulierungen durch die BaFin Selbstzwecke erfüllten und über das Ziel hinausschössen. Die Rückversicherer betrieben internationales Geschäft und müssten sich dem globalen Wettbewerb stellen, daher machten beispielsweise Eigenkapitalanforderungen keinen Sinn, die anderswo so nicht verlangt würden.

 

Arnoldussen will die Kapitalmarktorientierung als Chance sehen, eigene Strategien und Zieleformulieren zu müssen und regelmäßig zu überprüfen. Natürlich machten Quartals- oder Halbjahresberichte bei lang laufenden Risiken keinen Sinn, seien aber nicht schwieriger als die Berichterstattung auf Jahresbasis, so der Deutschland-Chef der Swiss Re. Quartalsberichte seien nicht aussagefähig, brächten aber kostenlose Werbung, weil die Zeitungen sie aufgriffen, witzelte Zeller. Ansonsten befürwortet er die Kapitalmarktorientierung, da sie die Rückversicherer zwinge, Rendite über den Sparbuchzinsen von 3 oder 4 Prozent zu erwirtschaften. So dürften sie sich „dauernd verzetteln“ und müssten Disziplin beim Underwriting und beim Pricing walten lassen. Das „ABC“ der Profitabilität lasse sich leider nur dank des Kapitalmarkts vermitteln, so Zeller.

 

Verbriefte Risiken für den Kapitalmarkt

 

Arnoldussen berichtete, dass die Swiss Re bis 2015 rund 30 Prozent ihrer Prämien im Wege der Securitization an den Kapitalmarkt bringen werde. Man verspricht sich davon günstigere Kapitalkosten. Preisermäßigungen würden in den Produkten weitergegeben, so Arnoldussen. Dass die Rückversicherer sich damit überflüssig machen könnten, fürchtet er nicht. Schließlich brächten seine Erstversicherungskunden in der Breite nicht die kritische Masse für die Securitization auf. Zeller wies darauf hin, dass die Hannover Rück Transaktionen dieser Art als erste und inzwischen schon rund zehnmal gemacht habe.

 

Solvency ll als Entschuldigung

 

Solvency ll sei auf dem besten Weg, für alles zur Entschuldigung zu werden, meinte Oelßner. Er fürchte, dass viele Versicherer eine dynamische Finanzanalyse nicht leisten könnten und es daher zu Konsolidierungen kommen wird. Die Erfahrungen des Londoner Markts nach den ersten 18 Monaten mit Transparenz fördernden Maßnahmen seien nicht ermutigend. Dort hätten die aufsichtsrechtlichen Zwänge die Versicherer inzwischen an den Rand des geschäftlichen Stillstands gebracht. Er sei aber zuversichtlich, dass in Kontinentaleuropa Lehren aus dem derzeitigen „Krieg“ zwischen der FSA, dem Versichererverband ABI und Premierminister Blair gezogen würden.

 

Rationale Einsicht herrscht

 

Von den Teilnehmern wurde auch die Diskussion um die Zyklen geführt. Zeller sagte, dass man sich zurzeit in einer besonderen Situation befinde. Der harte Markt werde nicht von Angebot und Nachfrage bestimmt und über den Preis geregelt, sondern von der rationalen Einsicht. Im Fokus stünde nun die Eigenkapitalrendite und nicht mehr Größen wie Bruttoprämien und Marktanteile. Wenn der Preis sinke, nehme man auch Verluste des Marktanteils hin, betonte Zeller. Geiger betonte, dass man sich von den Zyklen abkoppeln wolle und sich nur an Ergebniszielen ausrichte. Auch bei Swiss Re will man sich nicht unter Zugzwang setzen, so Arnoldussen. Weltweit würden Kapazitäten gesucht. Auch die Gen Re werde global eher wachsen als schrumpfen, stimmte Junke ein. Man kümmere sich um die Kernkompetenzen wie Risikotransfer und Underwriting. Dies sei nicht mit Marginalisierung gleichzusetzen. Wenn alle die Zyklen managen, dann steigen die Preise. Jörissen glaubt nicht daran, dass das Zyklusmanagement funktioniere. Dies zeige aktuell das „Allianz-Spielchen“ in der Kraftfahrtversicherung.

 

Monika Lier

 

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Dokument VVW0000020050706e1710001j

Quelle: Financial Times Deutschland


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