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Callcenter verärgert Gothaer-Kunden

Posted By Herbert Fromme On 20. Februar 2006 In Archiv 2006-2012 | No Comments | Drucken

Große Schwierigkeiten durch Auslagerung · 150 000 unerledigte Vorgänge · Unmut bei Vertretern

Von Herbert Fromme, Köln D ie Gothaer Versicherungsgruppe stößt beim grundlegenden Umbau ihrer Arbeitsabläufe nach Informationen der FTD auf große Schwierigkeiten. Zahlreiche Tätigkeiten wurden auf ein Kunden-Callcenter verlagert, das aber mit dem Arbeitsanfall hoffnungslos überfordert ist.

Zum Jahresende schob das Unternehmen 200 000 unerledigte Geschäftsvorgänge vor sich her. Ein Unternehmenssprecher bestätigte die Zahl und sagte, zur Zeit seien es rund 150 000 – doppelt so viel wie normal. Bei Kunden, Vertretern und Maklern regt sich erheblicher Unmut, berichteten Mitarbeiter. „Einem Kunden wurde der Wagen stillgelegt, weil der Antrag nicht bearbeitet wurde“, sagte ein Mitarbeiter. „Er teilte uns mit, Nichtbearbeitung könne er auch bei anderen Unternehmen haben, nur billiger.“ Vertreter, die wegen der schleppenden Bearbeitung von Anträgen Provisionsausfälle erleiden, drohten bereits mit Klagen gegen das Unternehmen. Makler kündigten an, bei Fortdauer der Schwierigkeiten Bestände abzuziehen.

Die Gothaer-Gruppe gesteht Schwierigkeiten ein, sieht sie aber als typische Übergangsprobleme. „Das hatten wir 1999 auch, als wir unser neues Schadenzentrum bei Berlin einrichteten“, sagte ein Manager. „Inzwischen läuft das gut.“ Kenner der Zustände in der Kölner Konzernzentrale glauben dagegen, dass die Probleme diesmal sehr viel gravierender sind.

Gegen erheblichen Widerstand der Belegschaft hatte Konzernchef Werner Görg drei Niederlassungen in Frankfurt, Berlin und Dortmund geschlossen. Gleichzeitig wurde in Köln-Mülheim – außerhalb des Konzernsitzes – ein neues Gothaer Kundencenter (GKC) gegründet, das seit September einen Teil der Arbeiten der Niederlassungen erledigen soll. Hier beschäftigt der Konzern rund 100 neu eingestellte Mitarbeiter ohne Tarifvertrag zu deutlich niedrigeren Gehältern.

Die Grundidee: Rund 70 Prozent aller Geschäftsvorfälle – Anträge, Adressenänderungen, Kündigungen und vieles mehr – sollten nicht mehr von den Niederlassungen, sondern abschließend von dem neuen GKC erledigt werden. Für die übrigen 30 Prozent, in der Regel die komplizierteren Fälle, richtete das Unternehmen das Gothaer Beratungs-Center (GBC) am Konzernsitz mit rund 110 Mitarbeitern ein. Bisher funktioniert diese Arbeitsteilung jedoch nicht. „Die Mitarbeiter des GKC sind hoffnungslos überfordert“, sagte ein Manager. Deshalb sei es zu der gewaltigen Rückstandswelle gekommen.

Vorstand Helmut Söhler versuchte, mit Überstunden die Last abzubauen. In den letzten Monaten des Jahres 2005 hatten Mitarbeiter des GBC an zehn Samstagen gearbeitet. Angestellte, die dabei komplett anwesend waren, erhielten zu den saftigen Tarifzuschlägen 2200 Euro als Bonus. Trotzdem ging die Zahl der unerledigten Vorfälle nur unwesentlich zurück. Erneute Samstagsarbeit, die der Vorstand jetzt durchsetzen wollte, lehnten Belegschaft und Betriebsrat ab. Inzwischen hat das Unternehmen Mitarbeiter von Zeitarbeitsfirmen angeheuert.

Mit der Rationalisierung der Geschäftsabläufe steht die Gothaer in einer Reihe mit großen Konzernen wie Allianz, Axa, Ergo oder Zurich. Die Unternehmen reagieren auf die heftige Konkurrenz in der Branche, die durch niedrige Zinsen für Kapitalanlagen noch verschärft wird. Görg, dessen Unternehmen ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit ohne Aktionäre und Konzernzugehörigkeit ist, war bei der Rationalisierung sogar ein Vorreiter. Die Gothaer hat zur Zeit eine Kostenquote von rund 30 Prozent der Prämieneinnahmen, rund fünf Prozentpunkte über der Allianz.

Es scheint, als habe er aber die Leistungskraft von schlechter bezahlten Mitarbeitern in einem Callcenter über- und die Umbauschwierigkeiten unterschätzt.

Görg kommt besonders der Ärger der Vertreter ungelegen. Zurzeit bauen Rivalen wie Axa und Zurich ihre Vertreterbestände aus und machen attraktive Angebote. Görg hat deshalb dem Außendienst ein „Service-Versprechen“ gegeben. Spätestens bis Mai sollen die meisten Schwierigkeiten beseitigt sein. „Wir sind sehr offen mit den Problemen umgegangen“, sagte der Sprecher.

Zitat:

„Wir sind sehr offen mit den Problemen umgegangen“ – Gothaer-Sprecher –

Bild(er):

Hoffnungslos überfordert : So ähnlich wie diesem Büroangestellten soll es auch den Mitarbeitern in dem Kundenzentraum der Gothaer Versicherungsgruppe gehen – Getty Images

Quelle: Financial Times Deutschland


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