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Fluch der Gerechtigkeit

Posted By Herbert Fromme On 18. April 2006 In Archiv 2006-2012 | No Comments | Drucken

Deutsche Firmen mit Tochtergesellschaften in den USA kennen die Risiken der Produkthaftung. Sie unterschätzen jedoch die Klagen wegen Diskriminierung am Arbeitsplatz

Von Herbert Fromme, New York V orurteile und mangelnde Information können teuer werden. Das gilt für nichts so sehr wie für Unternehmen, die Tochtergesellschaften oder Niederlassungen in den USA haben. Die Risiken der amerikanischer Produkthaftung und entsprechender Rechtsprechung haben sich längst in Deutschland herumgesprochen. Dazu trugen Horrorgeschichten bei wie die vom Pudel in der Mikrowelle, dessen Frauchen wegen des fehlenden Warnhinweises Schadensersatz verlangte. Während diese Geschichte ins Fabelreich gehört, sind hingegen Fälle von Diskriminierung am Arbeitsplatz sehr real. Doch viele deutsche Manager rechnen nicht mit solchen Unwägbarkeiten im US-Arbeitsrecht. Ein Fehler, der teuer werden kann.

„Es gibt Hunderte von Gesetzen und Vorschriften zur Diskriminierung. Wir haben Vorschriften auf Gemeindeebene, wir haben Gesetze auf Einzelstaats- und Bundesebene“, sagt Linda Soughan, Spezialistin beim Versicherer Arch Insurance. „Es gibt ein separates Gesetz zur Altersdiskriminierung, eines für behinderte Menschen, ein drittes für das Verhalten in der Schwangerschaft.““Kaum jemand nimmt eine Entlassung einfach hin“, sagt Susan Friedman, Senior Vice President beim weltgrößten Versicherungsmakler Marsh. „Viele Leute meinen, da muss Diskriminierung der einen oder anderen Art im Spiel sein.“

Die Summen können in die Millionen gehen. 508 Mio. $ zahlte der Radiosender Voice of America in einem Vergleich, weil das Management Frauen bei der Einstellung und Beförderung benachteiligt hatte. IBM zahlte 320 Mio. $ wegen der Diskriminierung älterer Mitarbeiter. Aus demselben Grund musste der Pensionsfonds Calpers 250 Mio. $ aufbringen. Ein durchschnittlicher außergerichtlicher Vergleich wegen unrechtmäßiger Entlassung oder „wrongful termination“ koste 778 000 $, so Fachanwalt Thomas Cherry von der Kanzlei Wilson Elser, bei Diskriminierung aus Altersgründen seien es im Schnitt 2,6 Mio. $. „Dazu kommen noch die Anwaltskosten, die können bei einem einfachen Fall 75 000 $ betragen, bei einem nur leicht komplizierten Fall geht es schnell auf 200 000 $ und mehr“, sagt Versicherungsspezialistin Soughan.

Gegen solche Risiken sind große deutsche Konzerne überwiegend gut abgesichert. Kritischer sieht es nach Angaben von Anwalt Cherry bei kleineren und mittleren deutschen Unternehmen aus, „vielleicht ein Autozulieferer, der mit 150 bis 200 Leuten hier ist.“ Wenn diese Unternehmen von Deutschland aus gesteuert würden, sei es für einen Klägeranwalt einfach, diese Karte vor Gericht auszuspielen. „Da gibt es Firmenchefs in Deutschland, die sich zu sehr auf ihre Manager vor Ort verlassen.“ Deren Kenntnisstand werde von den deutschen Unternehmen oft überschätzt.

Cherry verweist auf Probleme japanischer Konzerne mit ihren amerikanischen Tochtergesellschaften: „Da konnten amerikanische Manager nachweisen, dass ihre japanischen Kollegen systematisch bevorzugt wurden, und gigantische Entschädigungen wegen Diskriminierung durchsetzen.“

Kein Wunder, dass in den USA eine spezielle Haftpflichtversicherung für Arbeitgeberhaftung Konjunktur hat, die Employment Practices Liability Insurance (EPLI). Die Mehrzahl der US-Firmen hat inzwischen eine solche Deckung. Billig ist sie nicht. „Eine Police, mit der ein Unternehmen mit rund 500 Mitarbeitern Schäden bis zu 1 Mio. $ abdeckt, kostet in Kaliforniern rund 10 000 $“, sagt Ralph Jones, Chef der New Yorker Arch. In manchen Staaten könne es billiger sein.

Auch Anwalt Cherry glaubt, dass eine Versicherung nötig ist. Noch viel wichtiger sei die gute Vorbereitung der Unternehmen. „Selbst wir in unserer Kanzlei führen einmal im Jahr ein Seminar durch, in dem wir über Arbeitgeberverhalten sprechen“, sagte Cherry. Ein Unternehmen müsse klar stellen, dass es „null Toleranz“ gegenüber allen Formen der Diskriminierung aufbringe, und jedem Mitarbeiter ein entsprechendes Handbuch geben.

Auch sonst gibt es einfache praktische Verhaltensregeln. So müssten beispielsweise Chefs viele Kandidaten und Kandidatinnen zu Vorstellungsgesprächen einladen, sonst droht der Diskriminierungsvorwurf. „Die sorgfältige Auswahl bei der Einstellung zahlt sich aus“, so Cherry. Der Anwalt erwartet auch für Deutschland künftig mehr Klagen auf Grund von Diskriminierung. Noch wird an dem umstrittenen Antidiskriminierungsgesetz gearbeitet. „Das ist wie bei der Managerhaftung“, sagte er. „Die Haftungswelle beginnt in den USA, überquert den Atlantik, stoppt kurz in Großbritannien und kommt dann nach Kontinentaleuropa.“

Zitat:

„Firmen verlassen sich zu sehr auf Manager vor Ort“ – Thomas Cherry,Fachanwalt –

Bild(er):

Gegen ihren Arbeitgeber Wal Mart haben diese vier Damen in San Francisco geklagt. Sie fühlten sich sexuell diskriminiert – AP/Noah Berger

Quelle: Financial Times Deutschland


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