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Aktuare wollen Kunden Geld abgeben

Posted By Anja Krüger On 28. April 2006 In Archiv 2006-2012 | No Comments | Drucken

Mit ihrem Vorschlag gehen Versicherungsmathematiker im Streit um stille Reserven auf Regierung zu

Die Deutsche Aktuarvereinigung (DAV) hat einen Kompromissvorschlag im Streit zwischen Assekuranz und Bundesregierung um die anstehende Novellierung des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) vorgelegt. Danach sollen Lebensversicherer Kunden künftig über die bisherige laufende, unwiderrufliche Gewinnbeteiligung hinaus weitere Beträge gutschreiben, deren Ausschüttung aber unter Vorbehalt steht. „Wir wollen, dass der Sicherheitspuffer für die Unternehmen erhalten bleibt“, sagte der stellvertretene DAV-Vorsitzende Kurt Wolfsdorf, künftig Chef von Hamburg-Mannheimer und Victoria Leben.

In der DAV sind 2600 Versicherungsmathematiker zusammengeschlossen, die fast alle bei deutschen Versicherern beschäftigt sind. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries hatte im März den Entwurf für die VVG-Novellierung vorgelegt. Er berücksichtigt die Vorgaben von Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht, die unter anderem eine stärkere Beteiligung der Kunden an den so genannten stillen Reserven anmahnen. Stille Reserven oder Bewertungsreserven entstehen etwa, wenn der Kurs gehaltener Aktien stark steigt. Heute beteiligen die Lebensversicherer Kunden nur an den stillen Reserven, wenn sie durch den Verkauf von Aktien oder anderen Anlagen auch tatsächlich realisiert werden. Ein großer Teil der Erlöse geht in die Schlussüberschussbeteiligung. Davon profitieren aber nur Kunden, die ihren Vertrag nicht vorzeitig aufgelöst haben. Das ist jedoch nur bei rund der Hälfte aller Verträge der Fall.

Um die Beteiligung der Kunden an den stillen Reserven zu sichern, sollen die Versicherer nach dem DAV-Modell neben der Gutschrift der Überschussbeteiligung ein separates Konto führen. Dort wird festgehalten, welcher Anteil den Kunden zusteht. Für die Berechnung werden nur die Bewertungsreserven herangezogen, die über die erforderlichen Sicherheitsmittel des Unternehmens hinaus zur Verfügung stehen. Die Versicherer müssten stille Reserven nicht realisieren. Von den Werten über der Sicherheitsmittel-Grenze sollen den Kunden 90 Prozent zufließen.

Werden aus stillen Reserven stille Lasten, etwa nach einem Aktiencrash, kann das Unternehmen die Beträge auf diesem Konto aber kürzen. Kündigt ein Kunde vorzeitig den Vertrag, erhält er die zu diesem Zeitpunkt auf dem Konto vorgesehenen Anteile an den stillen Reserven. Die Höhe der erforderlichen Sicherheitsmittel, ab deren Erreichen die Kundenkonten bedient werden, müsse die Politik festlegen, sagte der DAV-Vorsitzende und Chef der Gerling Leben Norbert Heinen. „Sinnvoll wäre, so viel zu erlauben, wie für das „A“-Rating durch eine Rating-Agentur erforderlich ist.“

Die Assekuranz übt harsche Kritik an dem VVG-Entwurf, weil die Umsetzung nach ihrer Auffassung das Geschäftsmodell der Lebensversicherer an seiner empfindlichsten Stelle trifft. Der Entwurf sieht vor, dass Versicherer Bewertungsreserven zu 50 Prozent binnen zwei Jahren ihren Kunden gutschreiben müssen. Das Problem: Sinkt der Kurs der Aktien, nachdem die Versicherer den Kunden die Wertsteigerung gutgeschrieben haben, können die Firmen den eingetretenen Verlust nicht zurückholen. Die Versicherer fürchten, keine hohen Aktienbestände mehr halten zu können. Denn sie nutzen die stillen Reserven als Puffer für Kapitalmarktschwankungen.

„Die Umsetzung des Entwurfs hätte verheerende Konsequenzen für Altersvorsorge-Produkte“, sagte Heinen. Ohne die erforderlichen Sicherheitsmittel seien die bei diesen Verträgen gewährten Garantien nicht möglich. Bereits zu Wochenanfang hatte der Referatsleiter für Versicherungsrecht im Bundesjustizministeriums, Volker Schöfisch, signalisiert, dass die Regierung der Assekuranz entgegenkommen will.

Bild(er):

Mit Zahlen kannte sich Albert Einstein wie die Versicherungsmathematiker bestens aus. Der Streit um das Versicherungsvertragsgesetz war zu seiner Zeit aber noch kein Thema – ullstein bild; FTD-Montage

Anja Krüger

Quelle: Financial Times Deutschland


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