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Papier plädiert für Veränderungen am Sozialstaat

Posted By Ilse Schlingensiepen On 1. Juni 2006 In Archiv 2006-2012 | No Comments | Drucken

Verfassungsrichter vermisst Generationengerechtigkeit · Krankenversicherer warnen vor Schwächung der Branche

Von Ilse Schlingensiepen, Berlin Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier fordert für die Renten- und die Krankenversicherung eine stärkere Ausrichtung an Generationengerechtigkeit und Eigenverantwortung. „Der Sozialstaat wird sich künftig nicht mehr nur um einen sozialen Ausgleich in der Gegenwart bemühen müssen, sondern auch um eine angemessene Lastenverteilung zwischen den Generationen“, sagte Papier auf der Jahrestagung des Verbands der privaten Krankenversicherung (PKV).

Der Erhalt des Sozialstaats setze Veränderungsbereitschaft voraus bis hin zur Neujustierung des Verhältnisses von Solidarität und Eigenverantwortung. „Die Werte des deutschen Sozialstaats können letztlich nur dann für die Zukunft bewahrt werden, wenn sich unser Gemeinwesen an den ökonomischen und den gesellschaftlichen Realitäten der Zeit orientiert und sich nicht hoffnungslos überfordert – gerade auch zu Lasten künftiger Generationen.“

Die PKV-Branche steht unter großem Druck. Die bisher diskutierten Reformmodelle für die Krankenversicherung würden das bisherige Geschäftsmodell gefährden. Den Auftritt des obersten Verfassungsrichters werten viele Versicherer als Stärkung für die PKV.

Konkret wollte sich Papier zur anstehenden Gesundheitsreform nicht äußern. In der Vergangenheit hätten die Verfassungshüter dem Gesetzgeber bei Reformen eine „weitgehende Gestaltungsfreiheit“ zugestanden, sagte er. Das gelte sowohl für die Definition des Leistungsumfangs der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) als auch für die des Personenkreises, der gesetzlich pflichtversichert ist.

Allerdings habe sich das Gericht bislang weder mit der Frage der vollständigen Einbeziehung aller Bürger in die gesetzliche Krankenversicherung noch mit einem erzwungenen Wechsel derzeit Privatversicherter in ein anderes System befassen müssen. Papier machte deutlich, dass die in der PKV angesammelten Alterungsrückstellungen dem Eigentumsschutz unterliegen. Sie bezeichnen den Teil der Prämie, den Versicherte ansparen, um die Beiträge im Alter bezahlbar zu halten. Die beliefen sich Ende 2005 auf 103 Mrd. Euro .

Die Schwächung der PKV löse kein einziges strukturelles Problem der GKV, sagte Reinhold Schulte, Vorsitzender des PKV-Verbands. An der Gesundheitsreform werde sich der Stellenwert der Leitlinie von Bundeskanzlerin Angela Merkel „Mehr Freiheit wagen“ zeigen, sagte Schulte. „Die Ausgestaltung der Gesundheitsreform wird Indiz dafür sein, ob der künftige Politikkurs noch mehr Staat oder ob er für die Menschen mehr Entscheidungsfreiheiten und mehr Eigenverantwortung bringen wird.“

Der Verbandschef forderte eine „neue Balance zwischen Umlageverfahren und Kapitaldeckung“. Dafür sei die Senkung der Versicherungspflichtgrenze nötig, also des Einkommens, ab dem sich ein Angestellter privat krankenversichern kann. Der Wert war am 1. Januar 2003 von 3375 Euro auf 3825 Euro monatlich erhöht worden. Das hatte der Branche einen empfindlichen Einbruch im Neugeschäft bei Angestellten beschert. Man müsse mindestens auf das Niveau von 2002 zurückkommen, sagte Schulte. „Eine noch höhere Versicherungspflichtgrenze würde die faktische Einführung der Bürgerversicherung im Angestelltenbereich bedeuten“, sagte er. „Sie würde den Systemwettbewerb zwischen GKV und PKV definitiv beenden.“

Zitat:

„Der Gesetzgeber hat weitreichende Gestaltungsfreiheit“ – Hans-Jürgen Papier –

Bild(er):

Verfechter von Solidarität und Eigenverantwortung: Hans-Jürgen Papier – Plambeck/ laif

Quelle: Financial Times Deutschland


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