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Ein Unikat kommt unter Druck

Posted By Herbert Fromme On 3. Juli 2006 In Archiv 2006-2012 | No Comments | Drucken

Die anstehende Gesundheitsreform bedroht das Geschäftsmodell der privaten Krankenversicherer. Die Branche kämpft mit Handicap: Sie ist in zentralen Fragen uneinig

VON Herbert Fromme Köln Für ihre Unterstützer ist ihr Geschäftsmodell die Rettung des Gesundheitswesens, für ihre Gegner ist sie eine elitäre Veranstaltung für Besserverdienende, die eigentlich abgeschafft gehört: die private Krankenversicherung. Sie steht im Feuer einer heftigen politischen Auseinandersetzung.

Für die Unternehmen, die sie betreiben, handelt es sich im Wesentlichen aber um ein Geschäft – das auch gut läuft. In Deutschland gibt es 53 private Krankenversicherer, von ihnen gehören 49 zum Verband der privaten Krankenversicherer (PKV). Zusammen erzielten sie 2005 27,3 Mrd. Euro Prämien.

Davon entfielen sieben Prozent auf die private Pflegepflichtversicherung, 21 Prozent auf Zusatzversicherungen – meistens für Kassenversicherte – und 72 Prozent auf das Kerngeschäft, die Krankheitsvollversicherung, die im Moment besonders umstritten ist. Die Branche zählte Ende 2005 8,4 Millionen Vollversicherte. Davon waren knapp die Hälfte Beamte und ihre Familienangehörigen.

Angestellte, die mehr als 3562 Euro im Monat verdienen, dürfen die gesetzlichen Kassen verlassen und sich privat versichern. Dasselbe gilt – unabhängig vom Einkommen – für Beamte und Selbstständige. Während die Krankenkassen grundsätzlich jeden aufnehmen, sind die Privaten wählerisch: Antragsteller mit chronischen Leiden werden nicht versichert oder mit horrenden Risikozuschlägen belegt. So entsteht die pikante Situation, dass mehrere prominente Assekuranzmanager und Experten keinen privaten Versicherungsschutz finden, weil sie Diabetiker sind. Sie sind in einer gesetzlichen Kasse versichert.

Die deutsche „Krankenversicherung nach Art der Lebensversicherung“ ist auch international ein Unikat. Die Unternehmen erheben für jüngere Kunden deutlich höhere Beiträge als eigentlich nötig, um die Behandlungskosten zu decken. Daraus bauen sie Alterungsrückstellungen auf, die später die nötigen Beiträge dämpfen sollen. In anderen Ländern kalkulieren private Krankenversicherer die Sparte wie eine Schadenversicherung, also ohne explizite Alterungsrückstellung.

Die Alterungsrückstellungen betragen mehr als 100 Mrd. Euro Euro. Damit sei die private Krankenversicherung wetterfest gegenüber demografischen Veränderungen, argumentiert die PKV. Allerdings beschert ihr dieses Instrument auch seit Jahren gehörigen Ärger.

Denn ihre Kunden können die Alterungsrückstellung nicht mitnehmen, wenn sie den privaten Versicherer wechseln. Sie bleibt beim Altunternehmen. Die Folge: Kunden, die wechseln, müssen beim neuen Versicherer erheblich mehr zahlen als dort versicherte Kunden gleichen Alters und Gesundheitszustands, die schon längere Zeit dort Kunde sind sind. Denn der Neuzugang muss die Alterungsrückstellung erst wieder aufbauen. Damit sind die privaten Krankenversicherer deutlich weniger wettbewerbsorientiert als die gesetzlichen Kassen.

Seit Jahren verlangen Politiker deshalb von der PKV, das Problem zu lösen. Bislang war das vergeblich, jedenfalls was die bestehenden Versicherten angeht. Die Branche war bislang nur bereit, für Neukunden in einem Basisschutz eine solche Mitnahme zu organisieren.

Umso befremdlicher für die meisten Manager, dass Ulrich Rumm, Chef der Allianz Privaten Krankenversicherung, in der vergangenen Woche vorpreschte und Gesundheitsministerin Ulla Schmidt einen Vorschlag unterbreitete. Neben dem für die meisten Versicherer ungeheuerlichen Vorschlag, die Beiträge für die privaten Krankenversicherer mit 9,5 Prozent Versicherungsteuer zu belegen, trat Rumm auch für die „Portabilität“ der Alterungsrückstellung bei bestehenden Verträgen ein. Später relativierte die Allianz den Vorschlag. Beim PKV-Verband blieb heftige Verärgerung.

Neben der Alterungsrückstellung zahlt jeder PKV-Kunde noch einen anderen ordentlichen Brocken, die Vertriebskosten. Von den 27,3 Mrd. Euro Prämieneinnahmen im Jahr 2005 entfielen 2,3 Mrd. Euro oder acht Prozent auf Provisionen und andere Verkaufsaufwendungen. Vertriebe wie AWD oder MLP erhalten heute mehr als zehn Monatsbeiträge als Provision für jeden vermittelten Krankenversicherungsvertrag. Die zahlt vollständig der Kunde. Daneben sind die ausgewiesenen Verwaltungskosten der PKV mit 790 Mio. Euro oder 2,9 Prozent eher niedrig. Allerdings sind dort die Kosten für die Schadenbearbeitung – Rechnungsprüfung, Kundenkommunikation, Kontakt mit Leistungserbringern, Überweisungen – nicht enthalten. Manager schätzen sie auf mindestens fünf Prozent der 17,3 Mrd. Euro Leistungen, die von den Gesellschaften ausgewiesen werden. Mit Gesamtkosten von rund 14 Prozent der Beiträge haben die privaten Anbieter also auch ein Kostenproblem.

Bild(er):

Hier werden ohnehin kurze Wartezeiten angenehm gemacht: Bequeme Sessel in einer Münchner Privatklinik – imago

Quelle: Financial Times Deutschland


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