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Im Tempo liegt die Suchtgefahr

Posted By Patrick Hagen On 7. Juli 2006 In Archiv 2006-2012 | No Comments | Drucken

Wer auf Sportereignisse wettet, meint meist, nicht aufs Glück zu setzen, sonder auf seine Expertise. Das aber schützt nicht davor, von Sportwetten abhängig zu werden dsfgsd fs

VON Patrick Hagen Ob im Büro oder unter Freunden – die Begeisterung für Sportwetten ist derzeit groß. Was als harmloser Freizeitspaß beginnt, kann aber schlimme Folgen haben. Im Tippen auf Weltmeister, Torschützenkönig oder Spielergebnis liegt nach Expertenansicht enormes Suchtpotenzial.

Sportwetten können genauso abhängig machen wie Glücksspiele. Verlässliche Angaben über die Zahl der Spielsüchtigen in Deutschland fehlen bislang. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen schätzt die Zahl der Glücksspielsüchtigen einschließlich der Wettspieler auf 110 000 bis 180 000, was einem Anteil von 0,1 bis 0,2 Prozent der Bevölkerung entspricht. Der Fachverband Glücksspielsucht geht sogar von bis zu 400 000 Glücksspielsüchtigen aus. „In Ländern, in denen es Untersuchungen gibt, liegt der Anteil der Spielsüchtigen deutlich höher“, sagt Psychologe Gerhard Meyer, der an der Universität Bremen zur Spielsucht forscht.

Der Großteil der Zocker verspielt sein Geld an Automaten. Noch stellen Wettabhängige einen kleinen Anteil. Von den Suchtkranken, die sich 2004 um eine Therapiegekümmert haben, waren rund 13 Prozent abhängig von Wetten. Suchtforscher erwarten, dass diese Zahl in den nächsten Jahren deutlich steigt. Bis eine Sucht sich entwickelt hat, dauert es in der Regel fünf bis acht Jahre. Die staatliche Sportwette Oddset gibt es seit 1999, private Anbieter zogen später nach. „Die richtige Welle steht uns erst noch bevor“, sagt Meyer.

Ob und wie schnell Glücksspiele süchtig machen, hängt vor allem von der Zeit zwischen Einsatz und Spielergebnis ab. Am kürzesten ist der Abstand bei Spielautomaten – nach dem Gesetzt darf er fünf Sekunden betragen. Durch Livewetten bei Sportereignissen verringert sich auch beim Tippen die Zeit bis zum nächsten Einsatz. Spieler können während eines Spiels auf das nächste Tor, die nächste gelbe Karte oder den nächsten Eckstoß setzen. „Damit bekommen auch Sportwetten ein hohes Suchtpotenzial“, sagt Jürgen Trümper, Geschäftsführer des Arbeitskreises gegen Spielsucht.

„Die Wetter landen schneller bei hohen Verlusten als Automatenspieler“, sagt Trümper. Der Spieler gerät rasch in den Teufelskreis, die Verluste durch Gewinne ausgleichen zu wollen. Wer aber immer nur auf Favoriten setzt, kann nur geringe Gewinne einstreichen. Die Spieler wetten also öfter, mit mehr Risiko oder setzen immer höhere Beträge – und vernachlässigen soziale Kontakte und andere Freizeitaktivitäten.

Vor allem eins macht Sportwetten gefährlich: „Die Teilnehmer fühlen sich nicht als Glücksspieler, sondern als Experten“, sagt Horst Witt, Therapeut für Suchtleiden an der Fachklinik Fredeburg im Sauerland. Sportwetten ziehen so auch Kunden an, die sich sonst nicht für Glücksspiele interessieren. Sie denken, sie könnten das Wettergebnis durch ihr Fachwissen beeinflussen, und setzen schnell höhere Summen. „Bei Sportwetten geht es auch immer um Männlichkeitsrituale wie Recht haben wollen“, sagt Witt. Sportwetten sind fast ausschließlich ein Phänomen bei Männern.

Auch die Richter am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe beschäftigten sich damit. Im März erklärten sie das staatliche Glücksspielmonopol für verfassungskonform, verlangten jedoch, dass die staatlichen Anbieter konsequent die Spielsucht bekämpfen müssen.

Nach dem Urteil überhäuften staatliche und private Anbieter einander mit Vorwürfen. „Wir wollen die Kunden nicht zum Spielen verführen, wir informieren nur“, beteuert Claudia Peschel, Sprecherin des Deutschen Lotto- und Totoblocks, der die Sportwette Oddset organisiert. „Die privaten und illegalen Anbieter haben die Spieler zum Wetten angeheizt.“ Die bestreiten das. „Unser Interesse ist, dass die Kunden nicht zu viel spielen“, sagt Jan Wabst, Sprecher von Sportwetten Gera. Angesichts des verführerischen Markts haben staatliche wie private Anbieter allen Anlass zu beweisen, dass ihnen Schutz vor Spielsucht wirklich wichtig ist. Beide stehen dabei vor einem Problem: „Je größer das Angebot, desto größer die Gefahr, spielsüchtig zu werden“, sagt Therapeut Witt.

Bild(er):

Mann mit vielen Lastern: Rauchen, Trinken, Frauen und Pferdewetten gehörten zum Leben des amerikanischen Schriftstellers Charles Bukowski – picture-alliance/dpa

Quelle: Financial Times Deutschland


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