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Feldversuch in der Fremde

Posted By Ilse Schlingensiepen On 7. Februar 2008 In Archiv 2006-2012 | No Comments | Drucken

Einige wenige private Krankenversicherer wagen den Schritt ins Ausland. Sie kümmern sich dort direkt um die Versorgung ihrer Kunden – und wollen diese Strukturen auf Deutschland übertragen Ilse Schlingensiepen

So wie in Belgien könnte es eigentlich immer laufen, findet Jochen Messemer, Vorstand der Deutschen Krankenversicherung. „Wer in Belgien von privater Krankenversicherung spricht, sagt DKV“, berichtet er. Im Nachbarland hat das Unternehmen einen stolzen Marktanteil von 75 Prozent. „Wir waren sehr früh in dem Markt, und das ist nach wie vor ein Wettbewerbsvorteil.“

Die DKV, Teil der Ergo-Versicherungsgruppe der Münchener Rück, gehört zu einer Minderheit. Von den 48 Unternehmen der privaten Krankenversicherung (PKV) sind nur wenige jenseits der deutschen Grenzen aktiv – obwohl die Branche hierzulande mit massiven Wachstumsproblemen zu kämpfen hat. Wer den Schritt in die Ferne wagt, tut das meist mit dem Ziel, dort eigene Versorgungsstrukturen wie ambulante Zentren oder Polikliniken aufzubauen. Und er hofft, die Erfahrungen irgendwann auf Deutschland übertragen zu können.

Die meisten Versicherer legen bei den Prämieneinnahmen hierzulande nur noch in der Zusatzversicherung zu. Also bei Policen, mit denen Kunden Lücken in der gesetzlichen Krankenversicherung schließen. Doch die Zuwächse bei den kleinpreisigen Verträgen können die Einbrüche in Kerngeschäft Vollversicherung nicht ausgleichen.

„Es ist erstaunlich, dass die PKV nicht ins Ausland blickt, obwohl sie hier unter Druck ist“, sagt Ralph Altenburger, Senior Manager im Versicherungsbereich von Steria Mummert Consulting. „Der deutsche Markt ist gesättigt. Grundsätzlich müsste ein solches Engagement Sinn machen, denn die weltweiten Märkte lassen viel Wachstum zu.“ Bei vielen Unternehmen überwiege wohl die Hoffnung, weiter im bisherigen System klarzukommen.

„Der Markt in Deutschland ist immer noch so groß, dass wir nicht ins Ausland gehen müssen“, bestätigt Christian Arns, Sprecher des Marktführers Debeka. Die Debeka gehört zu den wenigen großen Anbietern, die in der Vollversicherung noch stark wachsen – das reicht dem Koblenzer Unternehmen.

Die Zurückhaltung beim Schritt in die Ferne ist kein deutsches Phänomen, weiß DKV-Vorstand Messemer. Der weltweite Gesundheitsmarkt habe die Größe der Automobilindustrie. „Erstaunlicherweise sind aber nur sehr wenige Unternehmen global tätig.“ Für sein Unternehmen sei das Ausland ein Bereich mit einem sehr großen Wachstumspotenzial. „Für 2007 rechne ich hier mit einem Wachstum im zweistelligen Bereich.“ Von solchen Dimensionen kann Messemer im Heimatmarkt nur träumen.

In den vergangenen vier Jahren hat die DKV ihre internationalen Aktivitäten ausgebaut. Zu Deutschland, Belgien, Luxemburg, Norwegen und Spanien kamen Schweden, Italien, Großbritannien, Indien, Südkorea und China. Damit ist aber noch nicht Schluss. „Wir screenen kontinuierlich um die 20 Märkte.“

Beim Aufbau einer Präsenz in einem anderen Land verfolgt die DKV unterschiedliche Strategien. Sie gründet entweder eigene Versicherer, kauft Unternehmen auf oder setzt auf die Kooperation mit lokalen Partnern. Dabei reiche es nicht aus, sich auf das Versicherungsgeschäft zu konzentrieren. „Man muss den gesamten Gesundheitsmarkt im Blick haben, auch die Versorgung und den Service“, sagt Messemer.

Nachdem sie zwei Jahre auf Partnersuche war, hat die DKV in Indien zusammen mit der Apollo-Klinikkette einen Krankenversicherer gegründet. Apollo habe in anderthalb Jahren 700 Apotheken und 90 Polikliniken für die ambulante Behandlung aufgebaut. „Davon können wir lernen.“ Die Erfahrungen mit verschiedenen Gesundheitssystemen nutzen der DKV auch hierzulande, hofft Messemer. „Unser Ziel ist es, das Know-how, das wir dort sammeln, nach Deutschland zu holen.“

Genau das ist ein wesentliches Plus beim Schritt über die Grenzen, sagt Berater Altenburger. So könnten die Unternehmen davon profitieren, andere Versorgungsstrukturen und -modelle kennenzulernen und auszutesten. „Wenn man sich nur auf die Versicherung konzentriert und nicht auf die Versorgung, ist das ein Fehler.“

Auf das Zusammenspiel beider Komponenten setzt auch Signal Iduna, die Nummer vier im PKV-Markt. „Wir haben den ersten professionellen Versuch unternommen, in Polen eine private Krankenversicherung aufzubauen“, berichtet Generalbevollmächtigter Rainer Schönberg, der für das Auslandsgeschäft verantwortlich ist. „Wir haben ein eigenes Netzwerk von Krankenhauspolikliniken aufgebaut, weil es nicht ausreicht, den Kunden im Versicherungsfall nur Geld in die Hand zu drücken“, sagt Schönberg. Das Netzwerk erlaube Versicherten, im Krankenhaus ohne die sonst in Polen üblichen Wartezeiten und Schmiergelder behandelt zu werden. Durch die Erfahrungen habe Signal Iduna gute Voraussetzungen, etwas Vergleichbares auch in Deutschland aufzubauen, sobald das möglich ist. „Wir wissen dann, wie man es macht“, sagt er. Seit Ende 2005 hat die Signal Iduna mit dem Angebot rund 100 000 Kunden gewonnen. „Ich rechne mit Wachstumsraten auf Jahre hinaus zwischen 20 und 50 Prozent.“

Signal Iduna wird 2008 mit einem ähnlichen Konzept in Rumänien aktiv. Die Versicherung hat dort bereits ein Netzwerk kooperierender Kliniken aufgebaut. „In Rumänien ist der stationäre Bereich eine Katastrophe, das Angebot eines Versicherungsprodukts reicht dort nicht aus.“

Weitere Länder von Interesse sind das Baltikum, Bulgarien und die Ukraine. „Unser mittelfristiges Ziel ist es, in den Ländern Mittel- und Osteuropas Marktführer im Bereich der privaten Krankenversicherung zu werden“, kündigt Schönberg an.

Eine große Schwierigkeit bei der internationalen Expansion sei es, geeignete Mitarbeiter zu finden. „Sie brauchen Leute, die eine Menge von Versicherung verstehen, die wissen, was PKV ist, die Englisch sprechen und die auch unternehmerisch denken können“, sagt Experte Schönberg.

In kleinen Schritten wagen sich Continentale und Inter aus Deutschland heraus. Sie haben mit der Interlux in Luxemburg ein Gemeinschaftsunternehmen, das Management liegt bei der Continentale. Die Inter hat darüber hinaus noch ein Tochterunternehmen in Polen.

„Wir müssen im Blick haben, was in den europäischen Märkten passiert“, sagt Gerhard Stry, Generalbevollmächtigter der Continentale. Die Interlux ist auch in Spanien und Portugal tätig. „Wir wollen Erfahrungen sammeln und nicht ad hoc eine Menge Geld verdienen“, sagt Stry. Für die Continentale sei das Ausland ein kleines, aber sinnvolles Testfeld. „Ob sich daraus eine langfristige Perspektive ergibt, kann man jetzt noch nicht sagen.“

Quelle: Financial Times Deutschland


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