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Weniger Macht am Rhein

Posted By Herbert Fromme On 29. September 2009 In Archiv 2006-2012 | No Comments | Drucken

Köln ist nach wie vor ein wichtiger Standort für die deutsche Versicherungswirtschaft – aber nicht mehr wie einst der wichtigste. Die Stadt hat erheblich an Bedeutung verloren

VON Herbert Fromme

An der langen Theke verlieren sich fünf Männer und trinken Kölsch, im geräumigen Gastraum sind gerade einmal zwei Tische besetzt. Bis vor wenigen Wochen war um diese Tageszeit – es ist 18 Uhr – deutlich mehr los im „Jan von Werth“, dem Kölner Traditionslokal an der Ecke Christophstraße/Von-Werth-Straße. „Früher standen die Gerling-Leute nach Feierabend oft in Zweier- oder Dreierreihen an der Theke“, erzählt Wirt Michael Grabe. „Aber da drüben ist ja keiner mehr“, sagt er und deutet auf die andere Straßenseite.

Dort hatte bis Anfang September HDI-Gerling seinen Sitz, Teil des Hannoveraner Versicherungskonzerns Talanx – und damit das, was vom einst stolzen Versicherer Gerling übrig geblieben ist. HDI-Gerling ist ausgezogen. Vier Tage lang fuhren 32 Möbelwagen im Kreisverkehr, um zwölf Regalkilometer Akten in das neue Büro in den völlig umgebauten Messehallen zu bringen. Ein privater Ordnungsdienst sperrte das halbe Friesenviertel für den sonstigen privaten Autoverkehr ab.

Rund 2100 Mitarbeiter fahren jetzt morgens nach Köln-Deutz auf der anderen Rheinseite. Der gigantische Gerling-Komplex zwischen Friesenplatz und Gereonkirche steht leer. Die Gebäude sollen zu Hotels und Wohnungen umgebaut werden. Die Stadt Köln sorgt tatkräftig für Unterstützung und hat direkt und indirekt über die Sparkasse auch beim neuen Firmensitz in Deutz geholfen.

Die Talanx-Führung in Hannover hatte bei der Übernahme des angeschlagenen Gerling-Konzerns 2006 gut verhandelt. Sie machte der Stadtspitze klar, dass nur bei großzügiger Unterstützung in Sachen Unterbringung und Miete die ohnehin reduzierte Zahl von Arbeitsplätzen in Köln erhalten werden könne.

In der Versicherungswirtschaft der Domstadt weht ein neuer Wind. Früher entschieden Gerling-Chefs über Beförderung oder Karriereknick eines Mitarbeiters gelegentlich im Hinterzimmer des „Jan von Werth“, kungelten und klüngelten. Heute entscheiden eher uncharismatische Manager mit scharfem Kostenblick in Hannover.

Rein rechnerisch ist Köln immer noch die größte Versicherungsstadt Deutschlands, gemessen an der Beschäftigtenzahl. Doch Allianz und Swiss Re haben große Büros in Unterföhring gerade außerhalb der Stadtgrenzen Münchens gebaut. Rechnet man die hinzu, liegt die bayerische Landeshauptstadt klar vorn. Dazu kommt, dass mit Allianz und Münchener Rück die zwei wichtigsten deutschen Versicherer ihre Zentralen an der Isar haben.

Eine solche Machtzusammenballung gibt es in Köln spätestens seit dem Gerling-Verkauf nicht mehr. Zwar ist der Generali-Konzern mit seiner Deutschlandzentrale von Aachen nach Köln gezogen. „Köln ist hervorragend geeignet, um gut ausgebildete und hoch qualifizierte Mitarbeiter zu gewinnen“, begründet Generali-Chef Dietmar Meister den Schritt. Die wichtigen Entscheidungen werden aber nach wie vor in Triest gefällt – im Hauptsitz.

Auch die frühere Zweigniederlassung (ZN) des Allianz-Konzerns hat ihren Status verloren. Früher hatten die ZN-Chefs der Allianz deutlich mehr Einfluss als Vorstände anderer, kleinerer Gesellschaften. Doch das ist Vergangenheit. Die Allianz hat ihre ZNs abgeschafft und ihr Geschäft zentralisiert.

Die mächtige Colonia wiederum hat schon vor Jahren ihre Eigenständigkeit eingebüßt und wurde Teil der Pariser Axa, während die Kölnische Rück – immerhin der älteste Rückversicherer der Welt – jetzt unter dem eher schlichten Namen Gen Re Geschäfte macht, weil die Muttergesellschaft in den USA es so will. Auch der große Krankenversicherer DKV an der Aachener Straße wird heute viel enger von der Münchener Rück und ihrer Deutschland-Holding Ergo in Düsseldorf geführt.

Die Kölner Versicherungswirtschaft verliert seit Jahren an Einfluss. Nur mittelgroße Versicherer wie Gothaer und DEVK haben echte Konzernzentralen in der Domstadt. Die Zuzüge der letzten Jahre können den Machtverlust nicht ausgleichen. Der japanische Industrieversicherer Mitsui Sumitomo kam aus Düsseldorf, die britischen Autospezialisten Admiral aus London, der spanische Marktführer Mapfre aus Madrid. Die Münchener Rück gründete im Rheinauhafen ihren Transportspezialisten Köln Assekuranz, der Terrorversicherer Extremus siedelte sich am Aachener Weiher an. Der französische Rückversicherer Scor zog sein Deutschlandgeschäft im Kölner Media-Park zusammen, nachdem er die dort beheimatete Revios übernommen hatte, und gab die Deutschlandzentrale in Hannover auf.

Tatsächlich hat die Stadt den Neuankömmlingen einiges zu bieten. Beim Verkauf des Gerling-Konzerns gingen große Teile nach Hannover, aber nicht alle Mitarbeiter wollten umziehen. Von der Erfahrung dieser gut ausgebildeten und meistens in den Märkten exzellent vernetzten Fachleute profitieren jetzt die kleineren Anbieter.

Hinzu kommen die Hochschulen. An der Universität leitet Heinrich Schradin das Seminar für allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Risikomanagement und Versicherungslehre. Am Institut für Versicherungswesen an der Fachhochschule Köln lehren 15 Professorinnen und Professoren, unter ihnen mit Stefan Materne der einzige Professor in Deutschland, der sich in erster Linie mit Rückversicherung befasst.

Wegen der Finanzkrise haben es die Absolventen dieser Studiengänge aber deutlich schwerer als ihre Vorgänger, passende Stellen zu finden. Die Konzerne sind vorsichtig mit Neueinstellungen – noch ist nicht ausgemacht, ob die Krise nicht doch zum Stellenabbau führt.

Denn trotz der Schwierigkeiten der Banken kann die Versicherungswirtschaft in der Krise nicht punkten. „Die Rahmenbedingungen sprechen für positive Entwicklungen im Lebensversicherungsbereich“, sagt Axa-Chef Frank Keuper. „Doch das hat sich bisher nicht bewahrheitet.“ Das Neugeschäft der Lebensversicherer müsste eigentlich brummen. Das trifft aber nur auf Verträge gegen Einmalbeitrag zu, die meistens über Banken verkauft werden.

Das Geschäft mit klassischen Policen ist im ersten Halbjahr dagegen um 30 Prozent eingebrochen. Kommt es 2010 im Zuge der Rezession auch zu ernsthaften Rückgängen nicht nur beim Neugeschäft, sondern auch den Prämieneinnahmen, werden Versicherer über Kostensenkungen nachdenken. Dann könnte es auch Köln wieder treffen. Die Entscheidungen darüber werden woanders getroffen.

Quelle: Financial Times Deutschland


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