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Flucht vor dem Zusatzbeitrag

Posted By Ilse Schlingensiepen On 26. März 2010 In Archiv 2006-2012 | No Comments | Drucken

Versicherte müssen den Wechsel zu einer neuen Krankenkasse nicht fürchten ·Günstige Kündigungsfristen

Von Ilse Schlingensiepen

Die kurze Zeit, in der alle gesetzlichen Krankenkassen gleich teuer waren, ist schon wieder vorbei. Die ersten Kassen verlangen von ihren Versicherten einen Zusatzbeitrag, andere werben damit, dass sie darauf verzichten. Betroffene ärgern sich über die zusätzliche Belastung, insbesondere weil sich der Arbeitgeber nicht daran beteiligen muss. Verbraucherschützer raten Unzufriedenen zur Wahl einer neuen Kasse. „Der Versicherte hat die Möglichkeit zu wechseln, dann soll er sie auch nutzen“, sagt Wolfgang Schuldzinski, Gesundheitsexperte der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen.

Krankenkassen müssen einen Zusatzbeitrag erheben, wenn sie mit den Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds nicht auskommen. Er darf maximal ein Prozent des beitragspflichtigen Bruttoeinkommens betragen, das sind zurzeit immerhin 37,50 Euro im Monat. Bislang nehmen die meisten Kassen pauschal 8 Euro, da sie dann die Einkommenssituation der Mitglieder nicht prüfen müssen.

„Wir spüren eine verstärkte Nachfrage von wechselwilligen Versicherten“, berichtet Schuldzinski. Häufig müssen die Verbraucherschützer mit einem Vorurteil aufräumen. „Viele ältere und chronisch Kranke glauben, dass sie bei ihrer Kasse bleiben müssen“, berichtet er. Das ist ein Irrtum. Die Kassen dürfen niemanden ablehnen. Wie alt oder krank der Versicherte ist, spielt – anders als bei den privaten Krankenversicherern – für die Höhe des Beitrags keine Rolle.

Chronisch Kranke wie Diabetiker, die an besonderen Behandlungsprogrammen teilnehmen, sollten überlegen, ob ihnen die bessere Versorgung nicht ein paar Euro wert ist, sagt Schuldzinski. „Die Versicherten können aber auch ihren Arzt fragen, ob er mit anderen Kassen einen vergleichbaren Vertrag hat.“ Generell sollten sich Patienten mit chronischen Erkrankung genau erkundigen, wer für die spezifische Erkrankung besondere Angebote hat, zum Beispiel eine homöopathische Behandlung anbietet.

„Abgesehen von einzelnen Angeboten ist das Leistungsspektrum der Kassen weitgehend identisch, deshalb spricht wenig gegen einen Wechsel“, sagt auch Michael Pausder vom Sozialverband VdK. Prüfen sollte der Versicherte auch, wie wichtig es ihm ist, dass die Krankenkasse über ein Netz von Geschäftsstellen verfügt.

Die Kasse muss den Mitgliedern mindestens einen Monat vor der ersten Fälligkeit mitteilen, dass sie einen Zusatzbeitrag erhebt. Ab dann hat der Kunde einen Monat Zeit, um zu kündigen. Dabei greift ein Sonderkündigungsrecht: Die Kündigungsfrist reduziert sich von drei Monaten auf zwei Monate. Wer bis zum 31. März kündigt, kann ab 1. Juni in die neue Kasse. Außerdem entfällt die 18-monatige Bindungsfrist: Auch wer erst kurz dabei ist, kann gehen, wenn ein Zusatzbeitrag fällig wird. Das Sonderkündigungsrecht gilt auch bei der neuen Kasse, falls sie schon bald ebenfalls einen Zuschlag verlangt.

Allerdings gibt es Ausnahmen: Wer einen Wahltarif abgeschlossen hat, etwa für einen Selbstbehalt oder die Kostenerstattung, ist für drei Jahre an die Kasse gebunden, auch wenn sie einen Zusatzbeitrag erhebt. „Das ist ein Grund, warum bisher so wenig Versicherte einen solchen Tarif gewählt haben“, glaubt Schuldzinski.

Die Kasse muss dem Mitglied innerhalb von 14 Tagen die Kündigungsbestätigung schicken. „Dann hat man noch Zeit genug, sich nach einer neuen Kasse umzusehen“, betont der Jurist. Lässt die Bestätigung länger auf sich warten, sollte der Kunde nachhaken. Passieren kann ihm aber nichts. Hat er keine neue Kasse gefunden, muss ihn die alte Kasse wieder aufnehmen. Hat der Kunde gekündigt, braucht er keinen Zusatzbeitrag zu bezahlen – gleichgültig, ab welchem Zeitpunkt die Kasse den Zuschlag erhebt.

Versicherten, die Beitragsrückstände bei ihrer alten Kasse haben, bietet der Wechsel kein Schlupfloch. Bei Beitragsrückständen müssen die Kassen nur die Notfallversorgung der Versicherten zahlen. Das gilt auch für den neuen Anbieter – selbst dann, wenn der Kunde dort von Anfang an seine Beiträge entrichtet. „Bei der neuen Kasse ruht der Leistungsanspruch weiter, vorausgesetzt, sie weiß von den Rückständen“, sagt André Maßmann von der AOK Rheinland/Hamburg. Da der Wechsler der alten Kasse eine Mitgliedsbescheinigung des neuen Versicherers vorlegen muss, wird die Information über Rückstände voraussichtlich auch ihren Weg finden.

Quelle: Financial Times Deutschland


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