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Eine Branche hofft auf das Schlimmste

Posted By Patrick Hagen On 12. Mai 2010 In Archiv 2006-2012 | No Comments | Drucken

Der Untergang der Bohrinsel vor der amerikanischen Küste ist ein guter Anlass, die Prämien für die Seekasko-Deckung zu erhöhen

VON Patrick Hagen

Der Untergang der Ölplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko droht zu einer der größten Umweltkatastrophen in der Geschichte zu werden. Auch auf Versicherer kommen hohe Kosten zu. Der weltweit zweitgrößte Rückversicherer Swiss Re rechnet mit einem versicherten Schaden bis zu 3,5 Mrd. $ für den gesamten Markt. Der Besitzer der Ölplattform, das Unternehmen Transocean, hat bereits 401 Mio. $ von seinen Versicherern erhalten. Als Folge werden sich wohl die Versicherungsprämien für Ölbohrfirmen deutlich verteuern.

Der Markt für Offshore-Policen ist mit Prämieneinnahmen von weltweit geschätzten 2 Mrd. $ vergleichsweise klein. Ein Großschaden kann deshalb direkte Auswirkungen auf die Prämien haben. Die Deckung von Ölplattformen ist Teil der Transportversicherung, genauso wie die Versicherung von Schiffen, Flugzeugen und verschickten Waren.

Deutsche Versicherer sind kaum von dem Plattformunglück betroffen. Marktführer Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) rechnet mit Kosten von 500 000 $. Die Allianz hatte sich im Offshore-Geschäft schon einmal die Finger verbrannt, als sie nach dem Hurrikan „Katrina“ hohe Schäden erlitt. Daraufhin hat der Konzern sein Offshore-Geschäft stark reduziert. Mehr zahlen müssen die Rückversicherer Munich Re und Hannover Rück.

Das Unglück vor der amerikanischen Küste könnte aber auch indirekt Folgen für die Prämien in der Seekasko-Deckung haben, mit der Reeder sich gegen Beschädigungen oder den Verlust ihrer Schiffe absichern. Manche Gesellschaft hat in den vergangenen Jahren mit dem gut gehenden Offshore-Geschäft die stark umkämpfte Seekasko-Deckung quersubventioniert. „Einige Anbieter auf dem Londoner Markt haben bisher offenbar mit einer Mischkalkulation gearbeitet“, sagt Karl-Gerhard Metzner, Vorstandsmitglied bei HDI-Gerling und zuständig für Transportversicherung. „Diese Möglichkeit entfällt jetzt. Das könnte Druck auf die Prämien ausüben.“

Die Branche klagt seit Jahren über zu niedrige Prämien bei der Versicherung von Schiffen. Neueinsteiger in das Geschäft müssen zwar eine gewisse Menge Kapital mitbringen, aber die Eintrittsschwellen gelten als niedrig. Dadurch kamen immer neue Anbieter auf den Markt und setzten die Prämien unter Druck.

Mittlerweile gebe es aber erste Signale für steigende Prämien, sagt Metzner, und das liege nicht nur an der gesunkenen Ölbohrinsel. Die vorläufigen Zahlen der Transportversicherer für das erste Quartal 2010 zeigen einen Anstieg bei den Prämieneinnahmen in der Seekasko um 37 Prozent.

Den Großteil ihrer Deckung holen sich die Reeder in London oder Oslo. Auch HDI-Gerling macht einen Großteil des Seekasko-Geschäfts über den skandinavischen Markt. Das meiste Geschäft mit deutschen Reedern läuft über Oslo.

Marktführer in Deutschland ist AGCS, die Industrieversicherungssparte des Allianz-Konzerns, die ihre Zahlen allerdings nicht an den Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) meldet. Deshalb gibt es keine offiziellen Zahlen. Insider gehen aber davon aus, dass AGCS vor HDI-Gerling liegt. Der Hannoveraner Versicherer kam 2008 auf ein Prämienvolumen von 146,8 Mio.Euro. Das in Oslo gezeichnete Geschäft ist hierin nicht enthalten. Auf Platz drei folgt die deutsche AGCS-Schwester Allianz Versicherung mit 135,2 Mio.Euro.

Für eine Entwarnung bei der Prämienentwicklung ist es zu früh. Denn die Einnahmen der Kasko-Versicherer stehen weiter unter Druck. Wegen des Einbruchs der Ladungsvolumen und Überkapazitäten haben Reeder einen Teil ihrer Flotte stillgelegt. Für diese sogenannten Auflieger müssen sie weniger an die Versicherer zahlen als für die fahrende Flotte.

Dazu kommen die durch die Krise gesunkenen Werte der Schiffe, die zu einem Prämienrückgang führen. Allerdings haben die finanzierenden Banken ein Interesse daran, die Versicherungssummen höher zu halten, als es dem Marktwert des Schiffes entspräche, sagt Metzner. „Die Banken wollen sich für den Fall eines Totalverlustes des Schiffes absichern“, sagt er. Die Reeder andererseits möchten ihre Versicherungskosten möglichst weit verringern.

Eine weitere Bedrohung für die Versicherer ist das sogenannte Slow Steaming. Die meisten Linienreedereien haben das Tempo ihrer Schiffe deutlich gedrosselt. Das soll helfen, Überkapazitäten abzubauen. Denn um weiterhin ihre Fahrpläne einzuhalten, müssen die Linien zusätzliche Schiffe einsetzen. Außerdem sinkt der Treibstoffverbrauch bei geringeren Geschwindigkeiten überproportional genauso wie der Ausstoß von Schadstoffen.

Allerdings sind die Motoren moderner Frachter für deutlich höhere Geschwindigkeiten ausgelegt: Das kann zu einem Problem für die Versicherer werden. „Durch das Slow Steaming kann es zu Maschinenschäden kommen“, sagt HDI-Gerling-Vorstand Metzner. Motorenschäden drohen auch, wenn für einen längeren Zeitraum stillgelegte Schiffe wieder in Betrieb genommen werden. Konstrukteure von Schiffsmotoren wie MAN Diesel warnen bereits vor Problemen.

Andererseits hat die Krise in den maritimen Branchen auch ihre guten Seiten für die Versicherer. Die Preise für Schiffsreparaturen sind gesunken. In den Boom-Jahren der Schifffahrt waren die Reparaturkosten explodiert, weil die Werften lieber neue Schiffe bauten als Kapazitäten für Reparaturen freizumachen.

Große Sorgen bereitet den Transportversicherern ein Vorstoß von US-Präsident Barack Obama, Lösegeldzahlungen an Piraten zu verbieten. Noch ist unklar, ob Obama wirklich ernst macht. Wenn er sein Vorhaben wahrmacht, hätte das große Auswirkungen für die Branche. Bislang übernehmen die Versicherer oft die Zahlung von Lösegeld.

In der Warenversicherung – der wichtigsten Sparte für den deutschen Markt – sieht es kaum freundlicher aus. Der Wettbewerb unter den Versicherern ist hart. „Das Prämienniveau ist angespannt“, sagt Jürgen Vogt von der Ergo, dem Erstversicherer der Munich Re. „Wir gehen nicht jeden Preis mit, andererseits möchte man Bestandskunden nicht ohne Weiteres gehen lassen“, sagt er. Der Markt sei aber noch nicht im Defizit.

Düsterer klingt es bei HDI-Gerling-Vorstand Metzner. Die kombinierte Schaden-Kosten-Quote in der Warenversicherung habe sich im vergangenen Jahr von 95,7 Prozent auf 104,0 Prozent der Beiträge verschlechtert. Das heißt, dass die Unternehmen mehr für Schäden und Kosten ausgeben als sie an Prämien einnehmen. „Damit hat die Transportversicherung den unrühmlichen Spitzenplatz von der Kfz-Versicherung übernommen“, sagt Metzner. In der Autoversicherung kam die Branche auf 103 Prozent. Er sieht das Ende der Talfahrt noch nicht erreicht. „Für 2010 erwarte ich noch einmal einen deutlichen Anstieg in der Schaden-Kosten-Quote“, sagt er. Der Wettbewerb unter den Versicherern sei weiterhin hoch. Deutschland ist hinter Japan der zweitgrößte Markt in der Warentransportversicherung. Das liege an der Exportlastigkeit der deutschen Wirtschaft, erklärt Metzner.

Quelle: Financial Times Deutschland


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