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Angst vor säumigen Zahlern

Posted By Ilse Schlingensiepen On 26. Oktober 2010 In Archiv 2006-2012 | No Comments | Drucken

Bleibt ein Kunde seine Beiträge schuldig, kann der private Krankenversicherer ihm nicht kündigen. Deshalb prüft dieser nun verstärkt die Bonität

Ilse Schlingensiepen

Selbstständige, die sich privat krankenversichern wollen, müssen künftig damit rechnen, dass der Versicherer eine Schufa-Auskunft einholt. Noch ist die Zusammenarbeit mit der Auskunftei die Ausnahme im Markt, aber die Angst vor zahlungsunfähigen Kunden wächst. Die Unternehmen stehen vor einem Dilemma: Sie wollen den gesetzlichen Krankenkassen Versicherte abspenstig machen, dabei aber nicht die Falschen erwischen.

In die private Krankenversicherung (PKV) können nur Beamte und Selbstständige gehen sowie Angestellte, die mehr als die Versicherungspflichtgrenze verdienen. Das sind in diesem Jahr 49 950 Euro. Rund 8,8 Millionen Menschen sind privat krankenversichert, davon rund die Hälfte Beamte und ihre Familien. 4,5 Millionen sind freiwillig Mitglied der GKV, auf sie richtet sich der Fokus der Privaten.

Seit die Große Koalition die Versicherungspflicht eingeführt hat, können PKV-Unternehmen Versicherten, die ihre Beiträge nicht zahlen, nicht mehr kündigen. Das macht eine kritische Risikoprüfung umso wichtiger. Annahmezwang besteht nur im brancheneinheitlichen ungeliebten Basistarif.

„Wir sehen im Markt die Strategie einer strengeren Annahmepolitik“, sagt Guido Leber, Bereichsleiter Krankenversicherung bei der Kölner Ratingagentur Assekurata. Gerade bei Selbstständigen arbeiten viele mit Bonitätsprüfungen. Diese Kundengruppe birgt ein höheres Ausfallrisiko als gut verdienende Angestellte. Unternehmen, die das potenzielle Neugeschäft kritisch unter die Lupe nehmen, machen sich bei manchen Vertriebspartnern unbeliebt, sagt Leber. „Das nehmen die Versicherer in Kauf.“

Die Central hat 2009 die Bonitätsanforderungen verschärft. Das Unternehmen, das zur Versicherungsgruppe Generali gehört, hatte beschlossen, bestimmte Berufsgruppen wie Kioskbesitzer oder Gastwirte nicht mehr zu versichern, weil dort viele ihre Prämien nicht zahlten. Der Schritt habe das Neugeschäft beeinflusst, vor allem bei den Selbstständigen, berichtet Sprecherin Karin Koert-Lehmann. Diese Gruppe sei branchenweit von der Verschärfung der Annahmerichtlinien am deutlichsten betroffen und werde es auch weiterhin sein. Die Nichtzahler seien für die Branche ein Problem, sagt Koert-Lehmann. „PKV-weit sprechen wir von rund 150 000 Nichtzahlern und einem erwarteten Beitragsaußenstand von 300 Mio. Euro bis Ende 2010.“

Bei der Central und anderen Unternehmen habe es sich gerächt, dass sie mit günstigen Einsteigertarifen um eine Klientel geworben haben, die eigentlich nicht in die private Krankenversicherung gehört, sagt Assekurata-Experte Leber. „Es würde der PKV insgesamt gut tun, sich wieder stärker auf das Angestelltensegment zu konzentrieren.“

Leber geht davon aus, dass es im PKV-Markt eine stärkere qualitative Trennung geben wird zwischen Anbietern, die auf den Außendienst und den klassischen Maklervertrieb setzen, um qualitativ hochwertiges Geschäft zu akquirieren, und jene, die mit strukturierten Vertriebsformen zusammenarbeiten und vor allem das Wachstum im Blick haben.

Zurzeit sucht die Branche nach einer Lösung für die Probleme. Zwar haben die Nichtzahler keinen Anspruch auf die vollen Versicherungsleistungen, aber auf die Versorgung im Notfall. Die fehlenden Beiträge schlagen sich negativ in den Bilanzen der Unternehmen nieder. Außerdem müssen die Versicherer auch für die säumigen Zahler weiter Alterungsrückstellungen bilden. Die Kunden selbst häufen schnell immense Schulden beim PKV-Anbieter an, die sie auch dann kaum zurückzahlen können, wenn es ihnen finanziell einmal besser gehen sollte.

Die Branche erwägt, für die Nichtzahler einen eigenen Tarif mit einem verhältnismäßig geringen Beitrag aufzulegen. Unklar ist bislang aber noch, ob dafür eine gesetzliche Regelung notwendig ist oder nicht. Auch die Frage, ob die Versicherer in diesem Sondertarif ausnahmsweise auf die Bildung von Alterungsrückstellungen verzichten können, ist noch nicht entschieden.

Die Hansemerkur Krankenversicherung hat bereits reagiert. Den Tarif Mini bietet der Versicherer ausschließlich eigenen Kunden an, die keine Beiträge mehr zahlen. „Dabei geht es um Versicherte, die prinzipiell zahlen wollen, sich aber in einem finanziellen Engpass befinden, den sie als vorübergehend empfinden“, sagt Vorstand Eberhard Reinhold Sautter. Mini kostet zwischen 70 und 100 Euro und ist mit geringen Alterungsrückstellungen kalkuliert. Wie viele Policen die Hansemerkur im Bestand hat, verrät Sautter nicht. Nur: „Mini wird angenommen.“

Die Hansemerkur sei in den vergangenen Jahren überdurchschnittlich stark gewachsen, sagt er. „Wer ein starkes Neugeschäft hat, steht automatisch im Blickfeld der Vertriebe und bekommt auch Kunden, die nicht bezahlen.“ Wie jeder Versicherer überprüfe die Hansemerkur regelmäßig die Annahmepolitik. Dabei müssten die Unternehmen auch versuchen herauszufinden, wie zahlungskräftig potenzielle Kunden sind. „Man muss dabei aber das richtige Maß finden, wie streng man vorgehen kann, und den Bogen nicht überspannen“, findet Sautter. Schließlich weise die Branche selbst immer wieder darauf hin, dass sie nicht nur die Krankenversicherung für die Reichen sei. „Selbstständige müssen die Möglichkeit haben, sich günstigen PKV-Schutz einzukaufen.“

Christoph Helmich vom Vorstand der Continentale Krankenversicherung sieht eine Gefahr im Trend der Branche, über billige Einsteigertarife mit niedrigem Leistungsniveau Kunden zu gewinnen. Das könnte langfristig das Image der PKV beschädigen. „Da steht unsere Existenzberechtigung auf dem Spiel, eine zweite gesetzliche Krankenversicherung brauchen wir nicht“, sagt Helmich. In der Vergangenheit habe die Branche den Fehler begangen, dass sie den Preis für den Krankenversicherungsschutz zu sehr in den Vordergrund gestellt habe. Jetzt müssen die Versicherer seiner Meinung nach wieder stärker über ihre im Vergleich zu den gesetzlichen Kassen besseren Leistungen reden, fordert er. „Früher waren wir preiswerter und besser, heute sind wir preiswerter oder besser.“

Quelle: Financial Times Deutschland


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