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Mühevoller Weg zu gutem Personal

Posted By Katrin Berkenkopf On 11. November 2011 In Archiv 2006-2012 | No Comments | Drucken

Die Assekuranz verspricht attraktive Jobs, obwohl sie Stellen streichenmöchte. Der heikle Ruf erschwert die Nachwuchssuche zusätzlich

Trostlos sieht es aus an diesem Morgen in Halle 5 der Dortmunder Messe. Kahle weiße Wände, an denen kleine Schildchen mit den Namen großer Versicherer pappen, davor weiße Tische. Nur wenige Besucher schlendern vorbei, bereitliegende Gummibärchen und Kugelschreiber sind gefragter als die Broschüren. Es ist die Premiere der Perspektiva, die im Rahmen der Finanzmesse DKM über Karrierechancen in der Versicherungswirtschaft informieren will.

Das triste Bild ist symbolisch: Die Assekuranz müht sich mit der Rekrutierung von talentiertem Nachwuchs. Nachrichten über massiven Stellenabbau, schlechtes Image, unbekannte Berufsbilder – die Karrierechancen seien dennoch gut, versichert die Branche. Vielerorts droht eine Überalterung der Belegschaft und für immer neue Tätigkeitsfelder werden Spezialisten gesucht.

„Die Versicherungswirtschaft hat sich seit Jahren robust entwickelt“, sagt Michael Gold, Geschäftsführer des Arbeitgeberverbands der Versicherungsunternehmen in Deutschland (AGV). „Viele Unternehmen stellen weiterhin ein, und man hat vielfältige Einstiegsmöglichkeiten.“ In den nächsten zwei Jahren werden die Firmen die Ausbildung als Kaufmann oder Kauffrau für Finanzen und Versicherung ausweiten, erwartet er. „Danach ist die Frage, ob wir überhaupt noch genug Auszubildende finden.“

Gleichzeitig nimmt die Akademisierung der Branche zu. Im Jahr 2000 arbeiteten laut AGV 35 300 Akademiker bei Versicherungsunternehmen, 2010 waren es 40 100. Davon stellten Wirtschaftswissenschaftler mit 13 500 die größte Gruppe.

„Noch ist die Akademikerdurchdringung nicht riesig“, sagt Rolf Arnold, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Versicherungswesen der Fachhochschule Köln. Sein Studiengang verzeichnete in diesem Wintersemester eine Rekordzahl von Studienanfängern, auch im integrierten Studiengang, bei dem das Studium mit einer Berufsausbildung bei einem Versicherer kombiniert ist. „Das signalisiert mir, dass weiterhin ein starkes Interesse bei den Unternehmen da ist“, sagt Arnold.

Selbst Firmen, die Stellenabbau angekündigt haben, setzten ihre Programme zum integrierten Studium fort und versuchten, die Absolventen an sich zu binden, sagt Arnold. Ein Masterabschluss sei nicht erforderlich für die Arbeit in der Assekuranz, dennoch wollten ihn immer mehr Studierende, sagt er. Gleichzeitig böten immer mehr Versicherer an, eine Teilzeittätigkeit mit dem Masterstudium zu kombinieren und es so zu finanzieren. Auch das sei ein Zeichen des großen Interesses der Versicherer.

Bislang gelte für die Absolventen seines Instituts: „Jeder wird untergebracht“, sagt Arnold. Neben dem Einstieg bei Versicherungsunternehmen sei auch der Bedarf bei Beratern und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften immer groß, „weil sie wissen, dass unsere Absolventen eine Versicherungsbilanz nicht nur lesen, sondern auch analysieren können“.

Börsennotierte Unternehmen restrukturierten unter dem Renditedruck häufiger als andere, sagt Gunther Held von der Schickler Personalberatung. Das bestätigte sich kürzlich, als der geplante Arbeitsplatzabbau beim Axa-Konzern bekannt wurde. Rund 1500 der derzeit 9000 Vollzeitstellen sollen in den kommenden vier Jahren wegfallen. Das bedeute aber nicht, dass der Nachwuchs keine Chance mehr habe, sagt Ulrich Nießen, Personalvorstand des Axa-Konzerns. „Bedarf an hoch qualifizierten Leuten besteht grundsätzlich immer. Derzeit verstärkt gesucht werden Menschen im Bereich Vorstandsassistentenprogramm, Trainees im Bereich Finanzen sowie Leute im Vertrieb und in der IT“, sagt Nießen. „Darüber hinaus sind wir immer auf der Suche nach Mathematikern, Informatikern, Aktuaren, also den Dauerbrennern im Versicherungswesen.“

Demonstrativ gelassen gibt er sich auf die Frage, ob die Nachrichten vom Stellenabbau nicht abschreckend auf Bewerber wirken könnten. Er habe keine Angst davor, im Wettbewerb mit anderen potenziellen Arbeitgebern ins Hintertreffen zu geraten. „Wir sind ein operativ erfolgreiches und profitables Unternehmen. Dadurch sind und bleiben wir für Kandidaten weiterhin sehr attraktiv.“

Personalberater Held ist da skeptischer. „Die Kandidaten sind teilweise vorsichtiger, wenn man sie anspricht.“ Sie wollten eine klare Aussage vom Unternehmen über ihre Zukunft, bevor sie sich auf einen solchen Arbeitgeber einlassen. Wer Karriere machen will, sollte vertriebsnah arbeiten, rät Held. „Sehr spezialisierte Funktionen sind häufig Sackgassen.“ Und wer bei einem Versicherer arbeitet, sollte auch einmal Versicherungen verkauft haben, sagt der Berater.

Aktuell werde Personal häufig im Privatkundengeschäft reduziert, in der Industrieversicherung sehe es dagegen ganz anders aus. „Man muss genau schauen, wo abgebaut wird“, sagt auch Torsten Kumm vom Unternehmen Talanx Service. Der Talanx-Konzern plant, mindestens 1000 seiner 6500 Stellen bei Talanx Deutschland abzubauen. „Und das ist eben dort, wo automatisiert werden kann. Die spannenden Jobs dagegen wird es immer geben.“ Kumm kritisiert „übertriebenes Anspruchsdenken“ von Absolventen, die erwarten, dass mit ihrem Bachelor in der Tasche sofort der steile Aufstieg beginnt. Gleichzeitig fordert er von Unternehmen, auch attraktive Perspektiven für Mitarbeiter zu entwickeln, die nicht das Potenzial zur ganz großen Karriere haben.

Am Ruf feilenAlle Branchenexperten sind sich einig, dass das schlechte Renommee der Versicherer es ihnen schwer macht, genügend talentierten Nachwuchs anzuwerben. „Wir müssen den Klischees entgegenwirken und in der ganzen Gesellschaft ein Bewusstsein dafür schaffen, was Versicherungen leisten“, sagt Kumm.

Personalberater Held findet, dass viele Firmen zu wenig tun in der Nachwuchsförderung. Sinnvoll seien etwa Kooperationen mit Lehrstühlen. „Aber ich kann verstehen, dass das wenig geschieht, denn es ist eine sehr langfristig angelegte Sache.“ Stattdessen würden am Ende untereinander die fertig ausgebildeten Spezialisten abgeworben. In den vergangenen Jahren wurden häufiger Führungskräfte durch Fusionen frei, aber diese Quelle werde bald versiegen, warnt er.

Die Vielfalt der Tätigkeiten in der Assekuranz sei zu wenig bekannt, sagt auch Held. „Ich habe selbst Wirtschaftswissenschaften studiert und an der Universität waren keinem diese Möglichkeiten bewusst.“ Dabei müssen sich Interessierte für bestimmte Tätigkeiten, etwa als Aktuar, schon früh im Studium entscheiden.

Ein besonderes Problem ist das schlechte Branchenimage, besonders das vom klinkenputzenden Vertreter, der Kunden unnötige Produkte aufschwatzt und sich das mit Lustreisen belohnen lässt. Das sei nicht mit einer Werbekampagne zu lösen, sagt FH-Professor Arnold. Er hält stattdessen Kontakte mit Schulen für sinnvoll: Ehemalige sollten den Schülern erzählen, was sie in ihrer Tätigkeit bei einem Versicherer erleben. „Wenn jemand direkt erzählt, was er macht, ist das was anderes. Und wer zufrieden ist, sollte auch seinem Umfeld davon erzählen.“ Das dürfte auch im Sinne von Arbeitgebervertreter Gold sein. Er bezeichnet die Versicherungswelt am liebsten als „Liebe auf den zweiten Blick“: „Die, die einmal drin sind, finden es extrem spannend.“

Katrin Berkenkopf

Quelle: Financial Times Deutschland


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