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Die deutsche Sonne

Posted By Herbert Fromme On 16. November 2011 In Archiv 2006-2012 | No Comments | Drucken

Eine der umkämpftesten Personalien des Jahres ist entschieden: Der künftigeAufsichtsratschef der Deutschen Bank heißt nicht Ackermann, sondern: Achleitner.Die Bank bekommt mit dem Österreicher einen der großen Strippenzieher derFinanzwirtschaft – der auch integrieren kann

Herbert Fromme , Köln, Angela Maier, München und Tim Bartz, Frankfurt

Einmal im Jahr, wenn das Weltwirtschaftsforum tagt, lädt Paul Achleitner Gäste ein, in eines der Zimmer im Prunkhotel „Bellevue“ in Davos. Dann sitzt er da in einem Wollpulli, legt die Beine auf den Tisch, plaudert los und erklärt die Finanzwelt. Wer sollte das können, wenn nicht er, der einst mächtiger Investmentbanker war und jetzt mächtiger Finanzchef der mächtigen Versicherung Allianz ist.

Look, sagt er dann zu Beginn jedes Satzes, spricht dann aber auf deutsch weiter mit dem charmanten österreichischen Einschlag eines geborenen Linzers. Look, so ist das mit der Finanzkrise. Look, so mit der Rolle der Banken. Look, so war das mit der Dresdner Bank. Warum dieses „Look“, weiß keiner. Look, wahrscheinlich passiert das mit einem Österreicher, der im Laufe seiner Karriere viel im Englischen unterwegs ist.

„Schau“ würde der Österreicher sagen, „Look“ sagt der Weltbanker.

Und wenn Achleitners Ehefrau auch da ist, sagt er zu ihr, look, und stellt ihr seine Gäste vor. Und schon haben sie wieder eine Strippe gezogen, die Achleitners.

Sie, die Wirtschaftsprofessorin und mehrfache Aufsichtsrätin. Und er, der Finanzvorstand des weltgrößten Versicherers Allianz und mehrfacher Aufsichtsrat. Ein kleiner Auszug der Unternehmen, über die sie wachen: RWE, Daimler, Bayer, Linde, Metro.

Kaum einer weiß so gut wie Achleitner, der Österreicher, wie die Deutschland AG, das alte Netzwerk der deutschen Wirtschaft, funktioniert. Kaum einer ist so gut verdrahtet.

Und nun erklimmt Achleitner die nächste Stufe. Seit Montagabend ist klar: Nicht Josef Ackermann, der langjährige Vorstand, sondern Paul Achleitner wird Chef des Aufsichtsrats der Deutschen Bank, einem der wichtigsten Posten, den die deutsche Wirtschaft zu vergeben hat.

Wie kam es dazu? Und wer ist dieser Mann? Der Name Achleitner mag überraschend gekommen sein – eine Überraschung aber ist er nicht.

Es sind sein Wissen, seine Kontakte, sein österreichischer Charme – und es ist noch etwas anderes: Achleitner, 55 Jahre alt, war noch nicht angekommen, er will noch Großes schaffen. „Achleitner ist für den Posten der ideale Kandidat, auch weil er nicht eine so polarisierende Persönlichkeit hat wie Ackermann“, sagt ein Manager, der ihn gut kennt. „Er ist politisch vernetzt, hat in der Euro-Krise bereits eine laute Stimme und auch in die Deutsche Bank sehr gute Kontakte.“

Er hat sich nicht lange bitten lassen. Schon am 7. November kündigt er und spricht mit Allianz-Chef Michael Diekmann. Da ahnt die Öffentlichkeit noch nichts von der dramatischen Wende bei der Deutschen Bank.

Eigentlich hat Konzernchef Josef Ackermann alles durchgeplant. Voll der Überzeugung, dass die Bank ohne ihn kaum auskommen könne. Direkt vom Sessel des Konzernchefs will Ackermann auf den des Chefaufsehers wechseln. Zwar sieht das deutsche Aktienrecht seit 2009 eine zweijährige Wartezeit für Vorstände vor. Ausnahme: 25 Prozent der Aktionäre müssen das Vorstandsmitglied für den Aufsichtsrat vorschlagen. Diese Ausnahmeregel wurde für mittelständische Unternehmen eingeführt – jetzt will Ackermann sie auf sich anwenden und übersieht offenbar etwas Fundamentales. Für die Ausnahmeregel hätte er 25 Prozent aller Aktionäre gebraucht – die in der Einladung zur Hauptversammlung seine Kandidatur öffentlich unterstützen. „Im Oktober war Ackermann erstens klar, dass er die Stimmen vorher brauchte, und zweitens, dass er sie nicht bekommen würde“, sagt ein Kenner des Vorgangs. 17 oder 18 große Aktionäre hätten sich öffentlich vorher auf ihn festlegen müssen. Nicht zu schaffen.

Es beginnen hektische Tage. Vor drei Wochen gibt Ackermann dem Noch-Aufsichtsratschef Clemens Börsig Bescheid, wenig später trifft sich der Findungsausschuss des Aufsichtsrats der Bank. Der Name Achleitner wird mehrfach genannt – unter anderem von Werner Wennig, dem ehemaligen Bayer-Chef. Er kennt Achleitner gut als Aufsichtsrat des Chemieriesen.

Das Netzwerk greift. Achleitner sagt zu. Als schließlich die Aufsichtsräte von Bank und Versicherer zustimmen, ist der Deal am Montag perfekt.

Dann wird es öffentlich: Am frühen Abend teilen Deutsche Bank und Allianz in Pflichtmeldungen die Personalien mit. Um 17.25 Uhr jagen die Eilmeldungen über den Ticker. Wieder einmal hat die Deutschland AG eine Kostprobe ihres Könnens gegeben.

Warum wagt Achleitner diesen Schritt? „Das ist einer der spannendsten Jobs, die es überhaupt gibt“, sagt ein Vertrauter des Österreichers. „Wir sehen epochale Änderungen bei den Banken, möglicherweise wieder die Trennung von Investmentbank und anderen Aktivitäten, und heftigen Gegenwind aus der Politik.“

Die Deutsche Bank müsse sich neu erfinden – und das hat Achleitner gereizt. Eigentlich sei das Angebot zu früh gekommen, sagt ein anderer Vertrauter, er habe noch nicht bei der Allianz aufhören wollen. „Aber er hat ein einmaliges Angebot bekommen, das seinen Wünschen entspricht. Das konnte er nicht ausschlagen.“

Als Aufsichtsratschef will Achleitner nicht als Superchef über den beiden designierten Ackermann-Nachfolgern Jürgen Fitschen und Anshu Jain schweben. Er werde sich mit öffentlichen Äußerungen zurückhalten und sein Netzwerk spielen lassen, heißt es. Es umfasst Politik, Wirtschaft, auch die Jugendfreundschaften halten bis heute – Siemens-Chef Peter Löscher etwa stammt wie er aus Linz und hat, als er seinen Job beim Münchener Konzern antrat, zunächst in der Villa der Achleitners genächtigt.

Zum Netzwerk gehören auch die exzellenten Verbindungen seiner Frau Ann-Kristin, die Universitätsprofessorin mit dem Schwerpunkt Familienunternehmen und Unternehmensfinanzierungen sowie Aufsichtsrätin bei Linde und Metro ist. Seine Familie ist Achleitner sehr wichtig. Wenn einer seiner drei Söhne anruft, verlässt er in der Regel kurz die Sitzungen.

Viele Freunde sind geblieben aus den 70ern, als er Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften in St. Gallen studierte, wo auch seine Frau war – und aus den drei Jahren als Fellow an der Harvard Business School, während seiner Promotion.

In Boston startet er seine Karriere als Berater bei Bain, 1988 wechselt er zur Investmentbank Goldman Sachs, arbeitet für sie in New York, in London und schließlich in Frankfurt. Bis 1999 führt er die deutschen Geschäfte, ist beteiligt an der Megafusion von Daimler und Chrysler.

Doch als Goldman 1999 an die Börse geht, verlässt er die Bank. Er ist gegen den Börsengang. Bei Investmentbanken bestehe die Wertschöpfung in den schlauen Gedanken ihrer Mitarbeiter, sagte er einmal „Deshalb halte ich es für sinnvoller, wenn Investmentbanken als Partnerschaft organisiert sind.“ Und doch soll sich der Börsengang für ihn rechnen. Aus dem verhältnismäßig geringen Kapital, das er als Partner von Goldman in die Firma investiert hat, wird mit dem Börsengang so viel, dass es nun heißt, er habe finanziell ausgesorgt.

Viele sind verwundert, als er 2000 vom Investmentbanking in die traditionsreiche Allianz wechselt. Da werde er wohl nicht lange bleiben, sagen einige in der Branche. Doch nun sind es schon elf Jahre als Finanzvorstand. Er verkauft Industriebeteiligungen, löst die Überkreuzbeteiligung mit der Munich Re. Baut die Aktiengesellschaft zur europäischen Societas Europaea um. Er gilt als fairer Verhandlungspartner. Der Europa-Betriebsratchef der Allianz sagte einst über ihn: „Er ist sehr anfassbar – anders als andere in der Konzernspitze“

Der Start hinterlässt auch Schrammen auf seinem Ansehen: Achleitner ist 2001 für den Kauf der Dresdner Bank zuständig. Die Integration in den Allianz-Konzern scheitert. Die Dresdner wird 2008 an die Commerzbank verscherbelt. Es ist ein Milliardendebakel.

Trotzdem gilt der Multi-Aufsichtsrat längst als Kandidat für Höheres. „Achleitner wäre auch ein guter Aufsichtsratschef für Siemens gewesen, wenn Gerhard Cromme nicht weitermachen wollte“, sagt ein hochrangiger Siemens-Manager.

Und er interessiert sich immer mehr für großen aktuellen Fragen. So entwarf er etwa die „Versicherungslösung“ für den Euro-Rettungsschirm: Investoren sollen demnach Staatsanleihen aus der Euro-Zone kaufen und der Rettungsschirm garantiert, dass sie ihr Geld nicht komplett verlieren werden.

Natürlich gibt es auch skeptische Stimmen. Arbeitnehmer und deutsche Aktionäre befürchten einen Strategieschwenk: „Wir hoffen sehr, dass Achleitner für beide Seiten der Bank steht und integrierend wirkt“, sagt Klaus Nieding von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz.

Integrieren, das kann er, wenn man seinen Mitarbeitern bei der Allianz glaubt. Der Frust in seiner Abteilung über den Weggang ist groß. Diese gilt als besonders begehrter Arbeitsplatz in der Zentrale des Versicherers. Wegen Achleitner. „Er ist eitel wie alle Manager, aber seine Eitelkeit hat etwas Spielerisches“, sagt ein Mitarbeiter. Er habe die Lockerheit der Investmentbanker mit in den behäbigen Versicherungskonzern gebracht.

Ein Symbol dafür ist das kleine gelbe Sparschwein in seinem Büro geworden. Es steht dort, seit Achleitner 2001 Honorarprofessor in Koblenz wurde. Er verbot seinen Mitarbeitern , ihn mit dem Professorentitel anzusprechen – bei einer Strafe von fünf Euro. Das Geld wurde für Feiern aufbewahrt, in eben dem kleinen gelben Sparschwein, das bis heute in München steht und wohl bald nach Frankfurt umziehen wird.

Quelle: Financial Times Deutschland


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