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Damit das Licht nicht ausgeht

Posted By Anne-Christin Gröger On 20. Juni 2012 In Archiv 2006-2012 | No Comments | Drucken

Durch die Energiewende steigt die Gefahr von Stromausfällen. Wie Firmen vorbeugen

Eine beängstigende Vorstellung für Industrie und Gesundheitswirtschaft: Über mehrere Stunden fällt der Strom aus, Transformatoren der Energiezulieferer liegen lahm. Eine ganze Region sitzt im Dunkeln, industrielle Kühlanlagen fallen aus, Bänder stehen still, lebenserhaltende medizinische Geräte im Krankenhaus können nur mit Notstrom betrieben werden.

Das Risiko von Netzinstabilitäten hat zugenommen, seit die Bundesregierung den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen hat, sagt Michael Härig, Leiter des Branchenteams Power beim Versicherungsmakler Marsh. „Durch die Einspeisung von Wind- oder Sonnenenergie ist die Volatilität in den Stromnetzen größer geworden“, sagt er. „Die Netzbetreiber stehen vor neuen Herausforderungen, weil sich Sonnen- oder Windenergie im Moment noch weniger gut regeln lassen, als es bei konventionellen Kraftwerken der Fall ist.“

Die Industrie sorge sich schon länger um die allgemeine Stromversorgung ihrer Produktionsanlagen, sagt Härigs Kollege Georg Bräuchle, Mitglied der Zentralen Geschäftsleitung des Versicherungsmaklers. „Die Netze sind teilweise instabil, und bevor wir ganz auf Wind- und Sonnenenergie umsteigen, müssen sie umgebaut und leistungsfähiger gemacht werden.“ Viele Firmen sehen mit großer Unsicherheit der Zukunft entgegen. Sie fürchten Stromausfälle im großen Stil, wenn die Offshore-Windparks im Norden voll loslegen und den Strom gen Süden bringen sollen.

Besonders gefährdet sind Energieversorger und Netzbetreiber, aber auch Firmen, deren Produktion energieintensiv ist. Klaus Greimel, Versicherungschef des Energiegiganten Eon, weiß um diese Gefahr. Die Höchstspannungsnetze in Deutschland seien auf gleichmäßige Stromeinspeisung und -verbrauch ausgelegt. „Durch die vermehrte Stromproduktion durch Windräder im Norden und den Verbrauch des Stroms im Süden besteht die Gefahr einer Destabilisierung des Systems“, sagt er. „Da müssen relativ schnell größere Investitionen erfolgen, um die Stabilität weiter aufrechtzuerhalten“.

Einen Stromausfall erlebte das Unternehmen im November 2006. Durch eine Kettenreaktion waren Millionen Menschen europaweit ohne Strom. „Die Elektrizitätsversorgung war zwar nach wenigen Minuten wieder hergestellt. Das zeigt aber, dass das ein ernst zu nehmendes Szenario ist“, sagt Greimel.

Industriebetriebe gehen höchst unterschiedlich mit zeitweiligen Stromausfällen um. „Es gibt hochsensible Bereiche wie die Halbleiterproduktion oder gewisse Produktionslinien bei Kfz-Unternehmen, die sehr sensibel auf Stromausfälle und -schwankungen reagieren. Sie müssen schon nach kürzester Zeit Produktionsstörungen in Kauf nehmen. Andere Bereiche können auch einen Stromausfall von zwei Stunden leicht kompensieren“, sagt er.

Der Abschluss einer Versicherung sei nur die zweitbeste Lösung, meint Härig von Marsh. Professionelles Risikomanagement sei vonnöten, um für den Ernstfall gut vorbereitet zu sein. Für das Grundlegende haben viele Firmen bereits lange vor dem Atomausstieg gesorgt, so der Energieexperte. „Große Industrieparks haben meistens ihre eigenen Kraftwerke, Krankenhäuser müssen mit Notstromaggregaten ausgerüstet sein. Viele Firmen haben sich auch eigene Stromspeicher angeschafft, um im Notfall ihre Rechner geordnet herunterfahren zu können.“

Genauso wichtig sei es jedoch, die Verträge mit Energielieferanten genau zu prüfen. Damit können sie feststellen, inwiefern möglicherweise ein Anbieter für einen Energieausfall neben der gesetzlichen Haftung zur Verantwortung gezogen werden kann, sagt Härig. „Das vernachlässigen zu viele Firmen.“ Manche hätten Verträge, in denen ein Energieversorger seine Lieferung einfach einstellen kann, ohne auch nur einen Cent Strafe bezahlen zu müssen.

Noch vor Vertragsabschluss mit einem Energielieferanten sollten Firmen zudem einen Blick in deren Bücher werfen. „Firmen müssen prüfen, ob eine langfristige Partnerschaft möglich ist“, sagt Härig.

Risiken aus dem All Die Gefahr eines Stromausfalls ist 2012 und 2013 noch aus einem anderen Grund besonders hoch, warnt Michael Bruch, Risikoberater bei der für das Industriegeschäft zuständigen Allianz-Tochter AGCS. Grund für die erhöhte Gefahr sind heftige Eruptionen auf der Sonne, sogenannte Koronale Massenauswürfe, die große elektrisch geladene Partikelmengen ins All schleudern. Astronomen beobachten dabei einen Elf-Jahres-Zyklus, nach dem auf eine Periode der Ruhe eine Phase starker Aktivität folgt. 2012 und 2013 erwarten sie wieder stärkere Eruptionen. „Treffen die Partikel auf die Erdatmosphäre, werden in Kabeln und Röhren elektrische Ströme induziert, die Transformatoren beschädigen oder zerstören können“, sagt Bruch. Die Folge sind Stromausfälle. „Betroffen sind lange Starkstromleitungen und Überseeleitungen.“

Der Allianz-Experte warnt vor einem extrem seltenen Ereignis. Einmal in 500 Jahren, so haben Statistiker die Wahrscheinlichkeit ausgerechnet, trifft ein Sonnensturm die Erde mit voller Wucht und legt die Stromversorgung lahm. Dann kann der Schaden jedoch immens sein. Wissenschaftler haben das Phänomen zum ersten Mal in England 1859 beobachtet, als eine ungewöhnlich starke Explosion der Sonne zum Zusammenbruch des Telegrafensystems führte. 1989 kam es in der kanadischen Provinz Quebec wegen eines Sonnensturms zu einem Stromausfall. Sechs Millionen Menschen waren ohne Strom, den Schaden bezifferte AGCS auf 10 Mio. kanadische Dollar (7,6 Mio. Euro).

Gefährdet sind Telekommunikationssatelliten und Satelliten des Navigationssystems GPS, von dem das moderne Verkehrssystem, Luft- und Schifffahrt größtenteils abhängig sind. „Die Gefahr erhält dadurch eine neue Dimension, da es zu Kurzschlüssen an kritischen Transformatoren der Stromversorger kommen kann“, sagt Bruch. „Sie kosten bis zu 10 Mio. Dollar und sind nicht so leicht zu reparieren.“ Ein Schaden an mehreren solcher zentralen Trafos könnte im schlimmsten Fall zu wirtschaftlichen Schäden von Milliarden von Dollar führen. Die Versicherer zahlen Ausfälle durch Betriebsunterbrechungen jedoch in der Regel nur bei physischen Schäden an Anlagen, etwa bei einem Brand im Transformator, sagt Bruch. Dies sei jedoch nur ein sehr kleiner Teil der möglichen Auswirkungen. „Schäden durch Kettenreaktionen sind nicht gedeckt.“

Selbst wenn die Ausmaße des Weltraumwetters nicht so verheerend ausfallen und die Sonnenstürme die Erde nur am Rande treffen, ist die Gefahr von Betriebsunterbrechungen durch Stromnetzrisiken nicht gebannt, sagt Bruch. „Schon Frequenzschwankungen im Stromnetz können bei bestimmten Fertigungsprozessen Schäden durch Betriebsunterbrechungen verursachen.“ Auf die Versicherer ist dabei nicht immer Verlass. „Viele Gesellschaften definieren kurze Ausfälle, ausgelöst durch Spannungsschwankungen, nicht als Stromausfall“, sagt Bräuchle von Marsh. „Dann gibt es regelmäßig Diskussionen um die Versicherbarkeit. Wir sprechen jedoch derzeit mit den Versicherern darüber, wie eine künftige Lösung aussehen könnte.“ Bräuchle schätzt die Gefahr eines Blackouts durch Sonnenstürme für deutsche Firmen weitaus geringer ein als Bruch. „In der deutschen Industrie sind diese Phänomene so gut wie kein Thema, anders als in den skandinavischen Ländern oder in Kanada, die schon einmal betroffen waren“, sagt er.

Anne-Christin Gröger

Quelle: Financial Times Deutschland


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