Die gesetzlichen Kran- kenkassen schließen sich zu immer größeren Einheitenzusammen. So wollen sie Kosten senken und Versicherte an sich binden. Nun zeigtsich aber: Die Rechnung geht nicht auf
Der Konzentrationsprozess ist in vollem Gange. Vor 40 Jahren gab es in Deutschland noch 1815 gesetzliche Krankenkassen, heute sind es nicht einmal mehr 170. Und selbst von ihnen wird kaum jede zweite übrig bleiben. Langfristig wird die Zahl der Kassen auf 50 schrumpfen, prognostiziert der Gesundheitsexperte Boris Augurzky vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung.
Die anhaltende Vereinigungsfreude hat gute Gründe: Die Kassenmanager wollen sich durch Zusammenschlüsse dem immer stärker werdenden Kostendruck entgegenstemmen. Der hat sich enorm verschärft. Früher konnten die gesetzlichen Kassen einfach den Beitragssatz anheben, wenn sie mehr für die medizinische Versorgung der Versicherten ausgaben als sie einnahmen. Seit der Einführung des Gesundheitsfonds im Jahr 2009 geht das nicht mehr. Die Politik legt mittlerweile einen einheitlichen Beitragssatz fest. Die Beiträge fließen an den Fonds, der das Geld wiederum an die Kassen verteilt.
Kommen die mit den zugewiesenen Mitteln nicht aus, müssen sie ihre Mitglieder zusätzlich zur Kasse bitten. „Dadurch gibt es zum ersten Mal einen echten Wettbewerb unter den Kassen“, sagt Augurzky. Der Zusatzbeitrag ist für die Versicherten direkt sichtbar, weil er gesondert eingezogen und nicht einfach vom Gehalt abgezogen wird. Die Kassen fürchten deshalb, dass ihre Versicherten einen Zusatzbeitrag zum Anlass nehmen, um in Scharen zur Konkurrenz abzuwandern.
Um das zu verhindern, haben sich gerade im vergangenen Jahr viele Kassen zusammengeschlossen – und noch einige Kassen werden diesen Schritt wagen. Mit der Fusion von Barmer und Gmünder Ersatzkasse ist die bislang größte deutsche Krankenkasse entstanden. Sie versorgt 8,6 Millionen Menschen, mehr als in Niedersachsen leben. Eine ähnliche Dimension hat der Zusammenschluss der IKK-Direkt mit der Techniker Krankenkasse mit 7,3 Millionen Versicherten, das entspricht etwa der Einwohnerzahl von Hessen und Mecklenburg-Vorpommern zusammen.
Nun zeigt sich aber: Fusionen sind offensichtlich doch kein Allheilmittel gegen den ständig wachsenden Kostendruck. Die DAK mit immerhin 6,1 Millionen und die KKH-Allianz mit zwei Millionen Versicherten erheben seit Februar einen Zusatzbeitrag von 8 Euro im Monat. Viele werden ihrem Beispiel folgen.
Gerade für kleinere Kassen wird die Lage immer schwieriger. Die mit rund 40 000 Versicherten sehr kleine Gemeinsame Betriebskrankenkasse (BKK) Köln musste als bundesweit Erste einen Zusatzbeitrag nehmen. Die Behandlung von zwei Patienten mit der Bluterkrankheit kostete sie über Jahre 20 Mio. Euro. Früher konnte die BKK davon 50 Prozent über den Risikostrukturausgleich der Kassen refinanzieren, heute bekommt sie für die Patienten aus dem Gesundheitsfonds nur einen kleinen Teil.
Größere Kassen verkraften solche Härtefälle besser. Darüber hinaus können sie deutlich günstigere Preise mit Kliniken, Ärzten und Herstellern von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln aushandeln. Je mehr Mitglieder eine Kasse hat, desto besser ist die Verhandlungsposition. „Diese Märkte sind aber extrem reguliert, hier gibt es nur geringe Spielräume,“ gibt Ökonom Augurzky zu Bedenken. Er hält Fusionen vor allem für sinnvoll, um die Verwaltungskosten zu senken. „Krankenkassen können langfristig Ausgaben senken, wenn sie auf Geschäftsstellen und Personal verzichten“, sagt er.
Genau das bezweifeln Kassenmanager wie Hans Unterhuber, Chef der BKK Siemens. „Es hat noch niemand wirklich nachgewiesen, dass durch Fusionen Kosten gespart werden“, kritisiert er. Die angeblich so üppigen Gehälter der Chefs der kleinen Krankenkassen sind auch nicht höher als die der Abteilungsleiter bei den Großen, argumentiert er. Und bevor es zu einem Zusammenschluss kommt, müssten die Beteiligten beider Seiten versprechen, dass keine Arbeitsplätze abgebaut werden. „Sonst stimmen die Gremien nicht zu.“
Doch selbst wenn Fusionen das Allheilmittel zur Kostensenkung wären: Gerade die Kassen, die dringend einen Partner brauchen, finden keinen. Das gilt etwa für die Gemeinsame BKK Köln, die BKK für Heilberufe oder die BKK Westfalen-Lippe. Sie suchen Anschluss, sind aber unattraktiv, weil sie schon jetzt das maximal Mögliche an zusätzlichen Beiträgen einziehen. „Die drei BKKen führen Sondierungsgespräche, aber es gibt noch keine Ergebnisse“, sagt Karin Hendrysiak vom BKK Landesverband NRW.
Die Lösung könnte eine arrangierte Ehe sein. Denn die Schwestern aus dem BKK-System müssen den ins Straucheln geratenen Kassen helfen. Eine Pleite kann für alle teuer werden. Deshalb ist es nicht unwahrscheinlich, dass die BKKen gemeinsam eine Lösung finden.
Anja Krüger
Quelle: Financial Times Deutschland
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