Der Schaden durch Veruntreuung ist groß. Versicherungen dagegen verkaufensich trotzdem schwer, denn sie wirken wie ein Misstrauensvotum
Der typische Wirtschaftskriminelle ist männlich, zwischen 36 und 55 Jahre alt und in leitender Funktion. Wenn Berater Frank Weller bei Meetings diesen Satz sagt, blicken sich die Teilnehmer verstohlen um. „Um wirklich etwas mitnehmen zu können, muss man schon Zugriffsmöglichkeiten haben“, sagt Weller, Partner im Bereich Forensic beim Wirtschaftsprüfer KPMG. Die ganz großen Schäden richten selten Beschäftigte in unteren Positionen an, schon aus Mangel an Gelegenheit.
Das Bundeskriminalamt registriert jährlich rund 85 000 Fälle von Wirtschaftskriminalität, vielfach schädigen Mitarbeiter das eigene Unternehmen. Die Dunkelziffer ist hoch, weil viele Firmen die mit einer Anzeige oft verbundenen Schlagzeilen scheuen. Kriminelle Mitarbeiter sind ein ganz heikles Thema für Unternehmen. Manager müssen einen Drahtseilakt vollbringen. „Sie dürfen die Gefahr nicht unterschätzen“, sagt Weller. Das gebieten schon die Compliance-Vorschriften für Manager. Ergreifen sie keine Vorsichtsmaßnahmen, kommen die Unternehmen bei einer bösen Korruptionsaffäre womöglich auf die rote Liste der Weltbank oder anderer Organisationen und verlieren so öffentliche Aufträge. Übertreiben Manager und lassen sämtliche Mitarbeiter mit Kameras beobachten, gibt es erst recht Ärger.
„Mitarbeiter nutzen die Gelegenheit, sich zu bereichern, heute häufiger als in der Vergangenheit“, sagt Weller. Arbeitsprozesse verändern sich rasant, die Identifikation mit dem Unternehmen nimmt ab. Vor allem in der Krise steigt der Druck auf die Beschäftigten. Das erhöht die Gefahr, dass Angestellte Geld aufs eigene Konto umlenken, ist Weller überzeugt.
Dass die Krise zu mehr Mitarbeiterkriminalität führt, bezweifelt dagegen Vertrauensschaden-Expertin Andrea Michalczyk-Schröder vom Industriemakler Aon Jauch & Hübener. Zwar steigt die Zahl der erfassten Delikte, aber nicht, weil die Straftaten zunehmen. „Kommt es zu Umsatzeinbrüchen, intensivieren Unternehmen ihre Prüfprozesse“, sagt sie. Manager müssen sinkende Gewinne rechtfertigen. Banken wollen genauere Angaben, bevor sie Kredite bewilligen.
Ob Betrug und Untreue zunehmen oder mehr auffallen – wird der Schaden entdeckt, bleibt das Unternehmen oft darauf sitzen. Denn die Beute hat der Gestellte häufig längst verprasst. Firmen können sich gegen die finanziellen Folgen unerlaubter Machenschaften ihrer Mitarbeiter mit einer Vertrauensschaden-Police versichern. Sie kommt für Schäden auf, die durch Untreue, Unterschlagung oder Betrug entstehen. Zu den Marktführern gehören Euler Hermes und R+V, weitere große Anbieter sind Zurich, Axa sowie die amerikanischen Gesellschaften Chubb und Chartis, die früher AIG hieß.
Bei großen Unternehmen sind solche Policen verbreitet. 80 Prozent der 500 größten deutschen Unternehmen haben einen Vertrag, schätzt Ralf Knispel, Leiter Vertrauensschadenversicherung bei der Zurich. Kleinere Firmen dagegen kaufen eher selten eine Police, obwohl ein Schaden sie viel stärker trifft als die großen.
Nach Knispels Erfahrungen steht häufig eine psychische Barriere vor dem Abschluss – die umso größer ist, je vertrauter ein Führungskreis miteinander umgeht. „Geschäftsführer wehren mit Händen und Füßen die Vorstellung ab, dass ihr Prokurist Geld einstecken könnte“, sagt Knispel. Der Abschluss einer Police erscheint vielen wie ein Generalverdacht gegen enge Mitarbeiter. „Aber gerade Leute in Vertrauenspositionen sind dort, weil man ihnen vertraut.“
Für die Versicherer ist der Verkauf der Policen denn auch schwierig. „Das Neugeschäft ist dünn“, sagt Knispel. Für die potenziellen Käufer hat das große Vorteile: Die Preise sind niedrig. Die Prämien hängen von der individuellen Lage, der Branche und den Vorschäden eines Unternehmens ab. Eine durchschnittliche Firma ohne erhöhtes Risiko bekommt einen Vertrag mit einer Deckungssumme von 500 000Euro für unter 10 000Euro pro Jahr. „Früher musste sie mehr zahlen“, sagt Knispel. Auch bei den Bedingungen werden die Anbieter kulanter, etwa was Schäden aus der Vergangenheit angeht, die erst nach Abschluss entdeckt werden. So eine Rückwärtsoption ist möglich, kostet aber extra. Manche Versicherer zahlen nur, wenn die Firma den aufgefallenen Mitarbeiter anzeigt. Genau davor aber schrecken Unternehmen oft zurück.
Nicht nur wegen der Zurückhaltung der Kunden geraten die Prämien immer mehr unter Druck. „Einige amerikanische Versicherer sind mit Dumping-Preisen auf dem Markt“, sagt Herbert Hartwig vom Industriemakler Gossler, Gobert & Wolters. Der deutsche Markt für Vertrauensschaden-Policen ist trotz reservierter Käufer attraktiv. „Das ist eine einkömmliche Sparte für die Versicherer“, sagt er. Allein im dritten Quartal 2009 nahmen die Versicherer 135 Mio.Euro an Prämien ein, zahlten aber nicht mal 60 Mio.Euro für Schäden.
Anja Krüger
Quelle: Financial Times Deutschland
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