Dass eine Versicherung einem Geschädigten Geld verweigert, ist nichtunüblich. Dass dafür das angeblich mangelnde Engagement muslimischer Männer imHaushalt herangezogen wird, schon
Wenn sich Hobbywissenschaftler hierzulande mit dem Islam befassen, ernten sie meist Fassungslosigkeit. Vor dreieinhalb Jahren war die Empörung groß, als eine Frankfurter Richterin einer Marokkanerin die Scheidung wegen Gewalt in der Ehe verweigerte – mit der Begründung, für „diesen Kulturkreis“ sei es „nicht unüblich, dass der Mann gegenüber der Frau ein Züchtigungsrecht ausübt“. Und immer wieder erhebt der verlässlichste Erklärer des Muslim und seiner Welt die Stimme, der scheidende Bundesbankvorstand S.
In diese Reihe stellt sich nun Frau S. Auch die Sachbearbeiterin der Gothaer Versicherung hat eine Meinung über den Islam und kommuniziert sie so rundheraus wie der nicht verwandte Herr S.
Betroffener ist ein 79-jähriger gebürtiger Algerier. Im Frühjahr 2007 wurde der bis dahin rüstige muslimische Rentner von einem Auto angefahren. Er erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma und eine Hirnprellung, lag wochenlang im Koma und leidet noch heute unter den Folgen. So weit, so eindeutig. Bislang hat ihm die Gothaer als Versicherer des Unfallverursachers rund 100 000 Euro Schadensersatz und Schmerzensgeld gezahlt. Unfallopfer haben aber auch einen Anspruch auf Entschädigung, wenn sie Hausarbeiten nicht mehr verrichten können; diesen Schaden hat der Rentner jetzt geltend gemacht.
Für Frau S. fängt hier das Problem an. Denn wer sagt, dass der Geschädigte vor seinem Unfall auch nur einmal die Spülbürste oder den Wischmopp in der Hand hielt? „Der Anspruch meines Mandanten wird mit der Begründung abgelehnt, Muslime würden prinzipiell den Haushalt von ihrer Frau führen lassen“, sagt Martin Rother, der Anwalt des Güterslohers. Frau S. schreibt: „Nach dem patriarchalen und traditionellen Mannesbild in der muslimischen Ehe führt der Ehemann nicht den Haushalt.“ Forderungen von rund 50 000 Euro bügelt S. ab, obwohl der Rentner sich einst sehr wohl um Haushalt und Garten kümmerte – weil seine jüngere Frau berufstätig war und keine Zeit hatte. „Für den Fall, dass mein Mandant und seine Frau zum Christentum übergetreten sein sollten, wollte die Sachbearbeiterin den Vorgang erneut prüfen“, sagt Rother.
Auch für Frau S. gilt: Wenn sich Hobbywissenschaftler mit dem Islam befassen, ernten sie Fassungslosigkeit: „Wir können uns nur entschuldigen“, sagt eine Gothaer-Sprecherin, „das entspricht in keiner Weise der Haltung unseres Unternehmens.“ Frau S., derzeit im Urlaub, wird der Fall entzogen. Herr S. wiederum sucht zum Monatsende einen neuen Job.
Anja Krüger
Quelle: Financial Times Deutschland
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