Jedes Jahr kündigen viele Anleger ihre Lebensversicherung vor Vertragsablauf.Der Schaden ist laut Verbraucherschutz immens
Anleger haben in den vergangenen zehn Jahren durch die Kündigung von Lebens- oder Rentenversicherungen finanzielle Schäden in Höhe von mehr als 100 Mrd. Euro erlitten. Zu diesem Schluss kommt eine Studie des Finanzwissenschaftlers Andreas Oehler von der Universität Bamberg. Die Untersuchung beruht auf 1115 gekündigten Policen von Kunden, die sich an die Verbraucherzentrale Hamburg gewandt hatten.
Je nach Quelle werde die Stornoquote bei Lebens- und Rentenversicherungen mit vier bis sechs Prozent pro Jahr angegeben, sagte Oehler bei der Vorstellung der Studie. Das heißt, vier bis sechs von 100 Anlegern halten den Vertrag nicht bis zum Ende der vereinbarten Zeit durch. „Das klingt harmlos, aber es bedeutet, dass mehr als 75 Prozent aller über 30 Jahre laufenden Verträge vorzeitig gekündigt werden.“ Bei den über 20 Jahre laufenden Verträgen seien es 55 Prozent. Bei einer Quote zwischen vier und sechs Prozent sind das 2,6 Millionen bis vier Millionen Verträge im Jahr. Nach den Erfahrungen der Verbraucherschützer kündigen Anleger oft, weil sie arbeitslos oder krank werden, sich scheiden lassen oder eine Immobilie kaufen.
Nach Oehlers Berechnungen erleiden Anleger durch die Kündigung im Schnitt einen Schaden von 4000 Euro, bei klassischen Verträgen mit Garantieverzinsung sogar 4500 Euro. Für die Schätzung hat der Wissenschaftler nicht nur die Differenz aus Einzahlung und Rückzahlung berechnet. Wegen der in den ersten Jahren eines Vertrags von den Beiträgen abgezogenen Provisionen für den Vermittler bekommen Anleger bei einer frühen Kündigung oft nur wenig zurück.
Oehler hat darüber hinaus berechnet, was den Kunden entgangen ist, weil sie ihr Geld nicht woanders angelegt haben. Er hat die gesamten eingezahlten Beiträge mit der Durchschnittsrendite von Bundesobligationen verzinst. Bei einer Stornoquote von sechs Prozent ergeben sich so insgesamt Schäden für Anleger in Höhe von 160 Mrd. Euro, bei vier Prozent mehr als 100 Mrd. Euro. „Kapitalbildende Lebensversicherungen lohnen sich für niemanden“, sagte er. Rentenversicherungen könnten wegen möglicher Steuervorteile für Bezieher hoher Einkommen günstig sein.
Für die Verbraucherzentrale Hamburg ist die Studie die Bestätigung ihrer grundsätzlichen Ablehnung von Renten- und Lebensversicherungen. „Wenn dem Verbraucher die Augen geöffnet würden, würde er nicht abschließen“, sagte Günter Hörmann, Geschäftsführer der Verbraucherzentrale Hamburg. Die Verbraucherschutzsenatorin von Hamburg, Cornelia Prüfer-Storcks (SPD), dagegen lehnt die Policen nicht grundsätzlich ab. Sie fordert eine bessere Beratung. Im kommenden Jahr wird sie den Vorsitz der Konferenz der Landesverbraucherschutzminister übernehmen. Prüfer-Storcks verlangt die Einführung eines einheitlichen und leicht verständlichen Produktinformationsblatts, auf denen zu Stichtagen die erfolgten Einzahlungen und vorgesehenen Rückzahlungen bei Kündigung aufgeführt sind. Die Versicherer haben bereits Beratungspflichten, aber beim Verbraucher kommt davon wenig an. „Die Versicherungswirtschaft darf dieser Verpflichtung nicht nur formal nachkommen“, sagte sie.
Auch Gerd Billen, Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, ist nicht grundsätzlich gegen Lebens- und Rentenversicherungen, aber gegen ihre derzeitige Gestalt. „Für mich ist der Verkauf dieser Produkte nichts anderes als staatlich erlaubtes Hütchenspielen“, sagte er. Die Anbieter versteckten die Kosten. Damit Vermittler Kunden bedarfsgerecht beraten, hält er es wie Prüfer-Storcks für sinnvoll, die Provisionen auf die gesamte Laufzeit zu verteilen. Außerdem müssten die Angebote anders werden. Starre Policen mit einer Laufzeit von 30 Jahren entsprächen nicht mehr der Lebensrealität. „So etwas ist höchstens etwas für Beamte.“
Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft weist die Ergebnisse der Studie zurück. Der Studie liege eine negative und keine repräsentative Auswahl zugrunde, sagte ein Sprecher. Die Forderung, Provisionen auf die gesamte Laufzeit auszudehnen, sei „absurd“, sagte er weiter. „Kein 60-jähriger Vermittler wäre davon zu überzeugen, dass er bei einem Vertrag, der für einen 30-Jährigen mit 35-jähriger Laufzeit geschlossen wird, seine letzte Provisionsrate im Alter von 95 bekommt.“
Anja Krüger
Quelle: Financial Times Deutschland
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