Millionen von Lebensversicherungen werden gekündigt. Trotz des verbraucherfreundlichen BGH-Urteils ist die Lage unsicher
Verbraucherschützerin Edda Castelló hat eine klare Vorstellung davon, was die Versicherungswirtschaft mit Verträgen tun sollte, deren Klauseln vom Bundesgerichtshof kassiert worden sind. „So wie Autohersteller mangelhafte Autos zurückrufen, müssten die Versicherer solche Verträge zurückrufen“, fordert die Versicherungsexpertin der Verbraucherzentrale Hamburg. Doch das geschieht nicht. Die Unternehmen warten ab, bis Kunden Ansprüche stellen, und lassen sich immer wieder aufs Neue verklagen. Hase-und-Igel-Spiel nennt das Axel Kleinlein, Chef des Bundes der Versicherten (BdV).
Vor Kurzem hat der Bundesgerichtshof (BGH) Klauseln des Lebensversicherers Deutscher Ring zum Rückkaufswert kassiert. Der Rückkaufswert bezeichnet den Teil der gezahlten Beiträge, den der Kunde nach der Kündigung seines Vertrags zurückbekommt. Wer früher die Police wenige Jahre nach Abschluss beendete, bekam oft keinen einzigen Cent. Der Grund: Der Versicherer verrechnete die ersten Beiträge mit den Abschlusskosten, vor allem mit den Vermittlerprovisionen. So geht’s nicht, entschieden die Richter schon 2005. Der Gesetzgeber nahm das Urteil in das neue Versicherungsvertragsgesetz von 2008 auf. Die Anbieter korrigierten ihr Vorgehen aber nicht, sondern ließen sich erneut verklagen. In der vergangenen Woche entschied der BGH, dass auch für Verträge von 2001 bis 2006 der Rückkaufswert nicht bei null liegen darf. „Weniger als 40 Prozent der gezahlten Beiträge darf nicht herauskommen“, sagt Anwalt Ulrich Vorspel-Rüter.
Die Regeln zur Kündigung betreffen Millionen von Kunden. Verbraucherschützer schätzen, dass drei Viertel aller Policen vorzeitig beendet werden. Im Vergleich zu früher scheint die Position für Kunden heute besser zu sein. Heute müssen die Versicherer den garantierten Rückkaufswert in den Verträgen ausweisen. Aber sie umgehen das. „Eine Reihe von Unternehmen schreibt da einfach eine Null hin“, sagt BdV-Chef Kleinlein. „Ob das rechtens ist, ist noch nicht abschließend geklärt.“
Eine weitere Untiefe: Versicherer dürfen nach der Kündigung die Abschlusskosten zwar nicht gegen die ersten Prämien aufrechnen. „Sie müssen jedoch die Kosten nicht wirklich verteilen, sondern können sie virtuell strecken“, sagt Kleinlein. In der Rechnung kann der Versicherer erst nach einigen Jahren Kapital für den Kunden bilden. Die Bemessungsgrundlage für die Verzinsung ist somit kleiner als bei einer echten Verteilung. Der Zinseszinseffekt für die Anleger fällt geringer aus.
Ebenfalls sehr ärgerlich: die Strafgebühr, die Kunden bei der Kündigung zahlen müssen. Das ist der sogenannte Stornoabzug. Wie hoch der ist, ist auch heute in der Regel nicht nachvollziehbar. „Die Versicherungswirtschaft sträubt sich seit 20 Jahren gegen eine vernünftige Regelung“, sagt Kleinlein. In vielen Verträgen sind die Klauseln diffus. „Häufig heißt es: Wir vereinbaren einen angemessenen Abzug“, sagt Verbraucherschützerin Castelló. Was angemessen ist, ist unklar. Der Gesetzgeber hat das in der Reform von 2008 offengelassen. Der BGH hat jetzt Klauseln zum Stornoabzug für ungültig erklärt, bei denen der Versicherer statt klarer Euro-Beträge Prozentangaben verwendete. Die Verbraucherzentrale Hamburg prüft, ob sie gegen die zurzeit im Markt üblichen Stornoklauseln vorgehen wird. „Sind die Klauseln zum Stornoabzug unwirksam, darf der Versicherer gar keinen Stornoabzug vornehmen“, sagt Castelló. Dabei kann es um Hunderte oder gar Tausende Euro gehen. Deshalb lohnen sich nach dem jüngsten BGH-Urteil Nachforderungen an den Versicherer auch für Anleger, die nach der Kündigung ihres Vertrags mehr als 40 Prozent der Beiträge zurückbekommen haben.
Anja Krüger
Quelle: Financial Times Deutschland
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