Preise steigen trotz moderater Entwicklung der einheimischen Schäden · Versicherer ändern Deckungsprinzipien
Von Anja Krüger und Herbert Fromme Mit heftigen Preiserhöhungen ihrer Berufshaftpflichtversicherung müssen Wirtschaftsprüfer, Notare und Rechtsanwälte rechnen. Auf breiter Front haben die Versicherer die Preise für ihre Policen angehoben.
Das gilt auch für die Managerhaftpflicht, die so genannte Directors‘ and Officers‘-Versicherung (D&O). Bei diesen Verträgen setzen die Gesellschaften gleichzeitig eine zentrale Änderung der Versicherungsbedingungen durch: Die so genannte Innendeckung, bei der Manager auch gegen Ansprüche des eigenen Unternehmens geschützt sind, fällt bei den meisten Versicherern künftig wohl weg. Zu groß ist die Verlockung für Unternehmen, kurz vor dem Zusammenbruch den Geschäftsführer oder Vorstand – jedenfalls gegenüber dem Versicherer – für die Misere verantwortlich zu machen und die Versicherungssumme zu kassieren.
Die Allianz deckt diese Innenrisiken in der bisherigen Höhe nur noch ab, wenn die Kunden einen erheblichen Teil selbst tragen. „Ohne Eigenbehalt werden Innendeckungen nur mit geringen Summen versichert“, sagte Manager Joachim Albers.
Die Versicherer reagieren mit dieser Verschärfung auf eine große Schadenwelle. DaimlerChryslers Krach mit Aktionären, Flowtex, viele Unternehmen der New Economy – nach zahlreichen Pleiten rufen Leidtragende nach Schadensersatz durch die Versicherung.
Die Prämieneinnahmen für D&O-Versicherungen in Deutschland belaufen sich schätzungsweise auf 250 bis 300 Mio. Euro. Da kann ein Großschaden schnell für rote Zahlen sorgen – und den hat die Branche jetzt. DaimlerChrysler hat sich mit verärgerten Chrysler-Aktionären außergerichtlich auf 300 Mio. $ verständigt. Die Aktionäre fühlten sich bei der Übernahme durch Daimler getäuscht. Nach Angaben von DaimlerChrysler sind 220 Mio. $ der 300 Mio. $ durch D&O-Policen gedeckt.
Bei der Manager-und Berufshaftpflicht reagiert die Assekuranz auf bereits zunehmende Schäden. Das ist bei der Unternehmenshaftpflicht nicht der Fall, trotzdem kommt es auch hier zu tiefgreifenden Veränderungen. Bislang kann von einem starken Anstieg durchgesetzter Haftpflichtansprüche nach dem Vorbild USA nicht die Rede sein. Auch die Gerichte spielen nicht mit. „Mit Ausnahme von D&O hat es in Deutschland keine signifikante Erhöhung in der Schadenanzahl oder – höhe gegeben“, stellt die Maklerfirma Marsh in ihrer internationalen Haftpflichtstudie fest. Sachschäden gehen der Untersuchung zufolge in der Regel bis 500 000 $, Personenschäden meistens nur bis 250 000 $ – paradiesische Zustände aus amerikanischer oder britischer Sicht. Großschäden sind die Ausnahme. Dazu gehört etwa der Fall eines Arztes, der bei 169 Frauen die falsche Diagnose Brustkrebs gestellt hat. Hier schätzt die Branche nach Angaben von Marsh, mit 10 Mio. Euro davonzukommen.
Allerdings gibt es auch hier zu Lande Problemgebiete. Dazu gehört der häufige Rückruf von Autos durch die Hersteller. Im Jahr 2002 meldeten sie mehr als 120 solcher Rückrufe. Die Dunkelziffer liegt schätzungsweise drei-bis zehnmal so hoch.
Produkthaftung ist generell ein Sorgenkind der Assekuranz. Jetzt wollen Versicherer und Rückversicherer mehr Kontrolle über die Risiken. Dafür sorgen sie mit der Einführung eines neuen Deckungsverfahrens. „In der deutschen Versicherungsbranche gibt es einen klaren Trend weg vom bisherigen Deckungsprinzip“, sagte Georg Bräuchle, Mitglied der Geschäftsleitung bei Marsh. Das gelte für die Pharmaindustrie schon seit Jahresanfang 2003, die Chemie soll 2004 folgen. „Das neue so genannte Ansprucherhebungsprinzip gibt Versicherern die Möglichkeit, deutlich mehr Substanzen oder Verfahren aus ihren Deckungen auszuschließen“, erklärte Marsh-Haftpflichtspezialistin Irene Hauschild. Nach dem bisherigen Schadenanfallprinzip oder Occurrence muss ein Versicherer zahlen, wenn der Schaden auftritt, während er Versicherungsschutz gibt. Das soll sich ändern. Künftig haftet der Versicherer, der zum Zeitpunkt der Anspruchstellung Deckung gewährt.
Zum Beispiel: Das Medikament XY kommt 1995 auf den Markt. Es löst bei einem Patienten im Jahr 2000 schwere Nebenwirkungen aus, der Patient muss deswegen ärztlich behandelt werden. Bislang ist für die Haftpflichtdeckung das Jahr 2000 entscheidend – der Versicherer dieses Jahres muss zahlen. Dieser Patient stellt aber möglicherweise erst im Jahr 2003 Ansprüche. Nach dem Anspruchserhebungsprinzip, auf Englisch Claims Made, würde der Versicherer des Jahres 2003 haften, und nicht der des Jahres 2000. Da Verträge jährlich geschlossen werden, hat der Versicherer die Möglichkeit, die Nebenwirkung für das Medikament für das Jahr 2003 vom Schutz auszuschließen. Der Pharmahersteller bleibt auf dem Schaden sitzen.
Die Assekuranz argumentiert, dass sie nur über das Anspruchstellungsprinzip in der Lage sei, die tatsächlich übernommenen Risiken abzuschätzen. Vor allem die Rückversicherer machen Druck, das Claims-Made-Prinzip umzusetzen. In den USA und in Großbritannien ist es bereits seit Jahren Alltag.
„In Deutschland ist das bisher vorherrschende Occurrence-Prinzip ein Grund für die vergleichsweise hohen Kosten für Haftpflicht-Deckungen“, sagte Bräuchle. Deutsche Unternehmen zahlen im im Schnitt 21 564Euro pro 1 Mio.Euro Deckungssumme. In Europa als Ganzes sind es nur 15 196 Euro, in den USA 11 614 Euro. Ein zweiter Grund für die hohen Preise sei der Einschluss von Rückrufkosten. Diese seien in anderen Ländern separat oder nicht versichert.
Die Unternehmen versuchen, den steigenden Preisen durch geringeren Versicherungsschutz auszuweichen. Europaweit sind die Deckungssummen zwischen 2002 und 2003 um elf Prozent zurückgegangen. Bräuchle warnte vor den Gefahren solcher Sparmaßnahmen. Vor allem Unternehmen, die in den USA Geschäfte machten, liefen so große Gefahr. „Die deutschen Unternehmen orientieren sich bei der Höhe der Deckungssumme noch zu sehr an den kontinentaleuropäischen Nachbarn“, so Bräuchle. Stattdessen müssten sie danach fragen, was ein vergleichbares Unternehmen in den USA zahlt. Das hohe Risikopotenzial zeigt sich an Großschäden: Mehr als 600 Mio. Euro musste die Assekuranz für Schäden zurückstellen, die das Bayer-Präparat Lipobay vor allem in den USA verursacht haben soll.
Quelle: Financial Times Deutschland
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