Bisher wird die in Arztpraxen verwendete Software großzügig von der Pharmaindustrie gesponsert. Die Bundesregierung will, dass Ärzte und Krankenkassen die Regeln dafür verschärfen.
Welche Softwareprogramme niedergelassene Ärzte in ihrer Praxis nutzen, ist nicht nur eine technische Frage, sondern auch eine politische. Immer wieder sorgen Meldungen für Schlagzeilen, dass die Programme Mediziner bei der Verschreibung von Medikamenten manipulieren. Die Regierung will dem ein Ende bereiten. Das vergangene Woche vom Bundestag verabschiedete Arzneimittelversorgungswirtschaftlichkeitsgesetz (AVWG) sieht die Einführung neuer Kriterien für die Zulassung von Praxis-EDV vor. Bis Ende des Jahres müssen sich die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und die Krankenkassen darüber einigen.
Die Anbieter von Praxissoftware – die nutzen Ärzte für ihre Abrechnung und Rezepte – sind in die Kritik geraten, weil zu ihren Kunden nicht nur Ärzte, sondern auch Pharmaunternehmen gehören. Streitpunkt ist vor allem die von den Arzneimittelherstellern in den Medikamentendatenbanken geschaltete Werbung, die Ärzte bei der Auswahl von Arzneimitteln tatsächlich oder vermeintlich beeinflusst.
Die Sponsoren der Datenbanken sind Generikahersteller, die Arzneimittel produzieren, für die es keinen Patentschutz mehr gibt. Der Marktführer für Praxissoftware, Compugroup, arbeitet mit Stada und Hexal zusammen, der zweitgrößte Softwareanbieter Docexpert wird von Ratiopharm und von CT Arzneimittel unterstützt. Nach Angaben der KBV vertreiben knapp 190 Anbieter Praxisprogramme für niedergelassene Ärzte und Psychotherapeuten. Compugroup hat danach einen Marktanteil von 39,3 Prozent, Docexpert liegt bei 12,3 Prozent. Die meisten Firmen haben einen Marktanteil von weit unter einem Prozent. Die Branche erwirtschaftet in Deutschland nach Schätzungen von Docexpert einen Umsatz von 180 Mio. Euro. Der Großteil stammt aus Softwarepflege und Dienstleistungen wie der Aktualisierung der Medikamentendatenbanken.
Zuletzt geriet Docexpert wegen seiner Kooperation mit dem Generikahersteller Ratiopharm ins Kreuzfeuer. Gibt der Arzt einen Wirkstoff in die Praxis-EDV ein, schlägt die Medikamentendatenbank ihm ein Präparat des Sponsors vor – als Anzeige gekennzeichnet. Gleichzeitig erscheint auf dem Bildschirm eine alphabetische Liste mit anderen Mitteln. „Der Arzt kann jederzeit eine Liste mit einem Preisvergleich abrufen und die Verordnung frei wählen“, betonte Jens Naumann, Geschäftsführer von Docexpert und Sprecher der Mittelstandsinitiative Arztpraxis EDV.
Krankenkassen und Politik kritisieren dieses Verfahren, weil dem Arzt nicht immer automatisch das billigste Medikament vorgeschlagen wird. Auf der anderen Seite sehen die Unternehmen der forschenden Arzneimittelindustrie ihre Umsätze bedroht, weil die vorgeschlagenen Medikamente billiger sind als ihre Originalpräparate. Die niedergelassenen Ärzte fürchten Sanktionen, wenn sie ihr Medikamentenbudget überschreiten, und greifen deshalb häufig auf die beworbenen billigeren Produkte zurück.
Die Softwarefirmen weisen den Vorwurf zurück, dass die Programme unlauteren Einfluss auf den Arzt nehmen. „Wir sind der Ansicht, dass man über das Medium Praxis-EDV nicht manipulieren darf“, sagte Michael Schmitz, Geschäftsführer des Marktführers Compugroup. Um Manipulation handele es sich immer dann, wenn der werbliche Charakter einer Information verschwiegen werde. Das sei bei den meisten Anbietern nicht der Fall. „Aber ein paar schwarze Schafe gibt es immer.“
In einer seit Herbst 2005 gültigen Selbstverpflichtung ist festgeschrieben, dass die Entscheidung über die Verordnung eines Medikaments immer allein beim Arzt liegen und Werbung klar gekennzeichnet sein muss. „90 Prozent der Anbieter haben das unterschrieben“, berichtete Naumann. Die neue Zertifizierung solle nicht über die Selbstverpflichtung hinausgehen, fordern die Hersteller.
Die Krankenkassen sehen das anders. „Es steht die Frage im Raum, ob es überhaupt noch gesponserte Software in Arztpraxen geben darf“, sagte ein Sprecher des Bundesverbands der Betriebskrankenkassen. „Problematisch ist die Voreinstellung, bei der nicht das günstigste Arzneimittel als erstes angezeigt wird, sondern das des Sponsors“, sagte er. „Das muss geändert werden.“
Sollte die Werbung verboten werden, werden die Softwareanbieter ihre Preise erhöhen. Schon jetzt werden Programme ohne Werbung verkauft, aber nur wenige nutzen sie. Für Programme mit Reklame zahlen Mediziner eine monatliche Nutzungsgebühr von etwa 70 Euro, für die werbefreie Version rund 40 Euromehr. Von den Kunden des Marktführers Compugroup haben sich nicht einmal zwei Prozent für die sponsorfreie Fassung entschieden, bei Docexpert sind es noch weniger.
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Ein Klick, und das Logo ist da: Die meisten Computerprogramme in Arztpraxen sind von Pharmaunternehmen gesponsert – Wolfgang Filser; FTD-Montage
www.ftd.de/ gesundheitswirtschaft
Anja Krüger
Quelle: Financial Times Deutschland
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