Mit gezielter Förderung von Zukunftsbranchen wie der Biotechnologie will Innovationsminister Andreas Pinkwart Nordrhein-Westfalen nach vorn bringen. Noch ist Süddeutschland weit voraus
VON Patrick Hagen Biofrontera ist der neue Stolz der nordrhein-westfälischen Biotechnologiebranche. Seit dem 30. Oktober wird das Leverkusener Unternehmen an der Düsseldorfer Börse notiert. Biofrontera ist erst das fünfte Unternehmen der Branche aus Nordrhein-Westfalen und das zweite nach dem Börsencrash im Jahr 2000, das den Sprung aufs Parkett wagte. Im vergangenen Jahr war schon Paion aus Aachen an die Börse gegangen.
Die Branche blickt nach den Krisenjahren wieder optimistisch in die Zukunft. Unternehmen, die auf dem Gebiet der Biotechnologie forschen und entwickeln, sind besonders stark auf Geldgeber angewiesen. Bis sie mit einem Produkt Geld verdienen können, müssen die Firmen oft bis zu zehn Jahre lang Kapital aufnehmen. In den Jahren der Kapitalmarktkrise war es kaum möglich, das nötige Wagniskapital zu bekommen.
„Die Situation hat sich für die Branche gebessert. Das zeigt sich auch an den Börsengängen von Paion und Biofrontera“, sagt Martin Kretschmer, Geschäftsführer des Branchenverbunds Bioriver. Hier haben sich Unternehmen und Forschungseinrichtungen aus dem Rheinland zusammengeschlossen. Die Möglichkeiten für Unternehmen im Land, Wagniskapital zu bekommen, sind Kretschmer zufolge dank NRW-Bank und verschiedener Fonds sehr gut.
NRW ist hinter Baden-Württemberg und Bayern auf dem Gebiet der Biotechnologie in Deutschland führend. Nach Angaben des Lobbyverbands Bioriver gibt es im Land 120 Unternehmen der Branche. Mit Miltenyi in Bergisch Gladbach und Quiagen in Düsseldorf sitzen zwei der größten Biotechnologiefirmen Deutschlands im Rheinland.
Die schwarz-gelbe nordrhein-westfälische Landesregierung will in Zukunft verstärkt auf Biotechnologie setzen. In einem vom Ministerium für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie in Auftrag gegebenen „Innovationsbericht 2006“ für das Land NRW kommen die Wissenschaftler des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsförderung (RWI) zu dem Schluss, dass das Land deutlich weniger innovativ ist als Bayern oder Baden-Württemberg. Weniger Beschäftigte in Forschung und Entwicklung, zu geringe Investitionen und diese auch noch falsch verteilt – der Vergleich fällt schlecht aus für das bevölkerungsreichste Bundesland. „Den süddeutschen Ländern ist der Ausbau der Spitzenforschung in den letzten Jahren besser gelungen“, sagt der Innovationsminister und stellvertretende NRW-Ministerpräsident Andreas Pinkwart (FDP). „Das müssen wir jetzt aufholen.“
RWI und Stifterverband empfehlen der Landesregierung, sich bei der Förderung auf bestimmte Spitzentechnologien zu konzentrieren wie Biotechnologie, Medizintechnik und Nanotechnologie. „In diesen Bereichen verfügen wir über Stärken, die wir gezielt weiterentwickeln müssen“, sagt Pinkwart. „Biotechnologie ist ein Wachstumstreiber, und die Biowissenschaften revolutionieren gerade die Felder Pharma und Chemie.“
Die Chemie- und Pharmaindustrie ist mit 51 Mrd. Euro Umsatz in 2005 die umsatzstärkste Branche im Land. International bekannte Unternehmen wie Bayer, Henkel oder Schering sitzen hier. „Das findet man in dieser Dichte in keiner anderen Region“, sagt Kretschmer. Mit der Initiative Bio NRW will Pinkwart die Branche in den nächsten Jahren mit 100 Mio. Euro fördern. Auch das Rückkehrerprogramm, mit dem Pinkwarts Ministerium Nachwuchsforscher aus dem Ausland zurück nach NRW holen will, werde einen Schwerpunkt auf die Biowissenschaften setzen, sagt Pinkwart.
Nordrhein-Westfalen ist auch wegen seiner vielen Universitäten und Forschungseinrichtungen ein gutes Pflaster für zukunftsorientierte Branchen wie Bio-, Medizin- oder Nanotechnologie. „Wir haben hier die dichteste Forschungslandschaft in Europa“, sagt Kretschmer von Bioriver. An 15 Standorten gibt es Biotechnologie- oder verwandte Studiengänge. Dazu kommen das Forschungszentrum Jülich und diverse Fraunhofer- und Max-Planck-Institute. Viele Unternehmen wie Quiagen oder Biofrontera sind als sogenannte Spin-offs aus Hochschulen des Landes hervorgegangen. Für neue Unternehmen gibt es allein im Rheinland etwa 20 Technologiezentren, in denen Einsteiger Labore und Büroräume zu günstigen Konditionen anmieten können.
Auch Neuraxo aus Erkrath bei Düsseldorf ist eine Universitäts-Ausgründung. Die Firma entwickelt den Wirkstoff Cordaneurin, der zur Behandlung von Querschnittslähmungen eingesetzt werden soll. Neuraxo hat für Cordaneurin von der EU den Orphan Drug Status erhalten, der für Medikamente gegen seltene Leiden unter anderem ein beschleunigtes Zulassungsverfahren vorsieht. Das Unternehmen steht kurz vor der klinischen Phase, also vor der Erprobung am Menschen, sagt Sprecherin Barbara Behle.
Zitat:
“ „Die Situation hat sich für die Branche gebessert“ “ – Martin Kretschmer, Bioriver –
Bild(er):
Technik für die Zukunft: Labor von Microparts in Dortmund, Auszubildende im Chemielabor von Henkel in Düsseldorf, Patientin im Computertomografen im Forschungszentrum Jülich, Wolfgang und Mariola Söhngen, Geschäftsführer der Biotechfirma Paion (v. l.) – Boehringer Ingelheim Pharma; Laif/Matthias Jung; Ullstein Bild; Laif/Oliver Tjaden
Quelle: Financial Times Deutschland
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