Weil sich die Versicherungen aus dem Klinikmarkt zurückziehen und die Prämien hoch sind, können Krankenhäuser ihre Haftpflichtrisiken nur schwer versichern. Neue Modelle könnten das Problem lösen Patrick Hagen und Ilse Schlingensiepen
Wenn es nach Michael Pega geht, wird eine Reihe von Krankenhausdirektoren sich demnächst in einer ungewohnten Rolle üben können: als Gesellschafter einer Versicherung. Mit einem eigenen Versicherer könnten Kliniken eine dauerhafte Lösung für ihre Haftpflichtprobleme finden, glaubt er. Pega hat früher selbst bei einem Versicherer gearbeitet und ist heute als Versicherungsmakler und Berater im Gesundheitswesen tätig. Gemeinsam mit dem ehemaligen Klinikleiter Klaus Elfes hat er ein Konzept für eine Krankenhaus-Versicherungsgesellschaft (KHVG) entwickelt. „Wenn die Kliniken selbst eine Versicherung betreiben, können sie Vorteile auf drei Gebieten erzielen: bei den Prämien, den Kosten und der Schadenentwicklung“, erläutert der Experte.
Der Markt für die Krankenhaushaftpflicht ist eng. Nur wenige Anbieter sind dort in nennenswertem Umfang aktiv. Die Kliniken kämpfen mit steigenden Prämien, mangelnder Angebotsvielfalt und ungünstigen Bedingungen. Und klagen darüber, dass sie bestimmte Abteilungen nicht oder nur unter ungünstigen Bedingungen versichern können. Neue Modelle aus der Branche sollen Abhilfe schaffen.
Eines der innovativen Konzepte ist die klinikeigene Versicherung, die KHVG. Sie würde die Prämien an der objektiven Risikosituation der Häuser orientieren, sagt Initiator Pega – und unterstellt damit etablierten Gesellschaften, das nicht unbedingt zu tun. Da die Kliniken als Gesellschafter selbst über Prämien und Versicherungsbedingungen entscheiden, komme Transparenz in den Sektor. Außerdem erhielten sie Planungssicherheit und wüssten, dass sie auf jeden Fall eine Deckung finden.
Geringere Kosten
Anders als die traditionellen Versicherer könne die KHVG auch die Verwaltungskosten gering halten, so Pega. „Das wäre ein Unternehmen ohne Marmoraufgänge und S-Klasse-Wagen für die Vorstände.“ Der Newcomer bräuchte keinen Vertrieb, das senkt die Kosten drastisch. Den Geschäftsbetrieb aufnehmen könnte man mit einem Stab von 20 bis 30 Leuten, schätzt er. Sollte es zur Gründung der KHVG kommen, will Pega selbst dort keine operativen Funktionen übernehmen, sondern weiter als Berater arbeiten.
Die Kliniken müssten bereit sein, ihre Schadenstatistiken offenzulegen und aktives Risikomanagement zu betreiben. Langfristig könnte es so gelingen, zwischen den beteiligten Häusern ein Benchmarking zu etablieren und die Schadenhäufigkeiten zu senken. Auch das wirkt sich positiv auf die Prämien aus.
Mit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), die Neugründungen von Versicherungsunternehmen genehmigen muss, sind die Initiatoren im Gespräch. Grundsätzlich sieht die BaFin keine Hindernisse, berichtet Pega. Sie hat aber eine Bedingung formuliert. Die an der KHVG beteiligten Kliniken müssten zusammen auf mindestens 50 000 Betten kommen. Das wären immerhin rund zehn Prozent der deutschen Krankenhauskapazität. „Die hohe Zahl ist nach Einschätzung der BaFin notwendig, um einen vernünftigen Risikoausgleich zu erreichen.“
Pega weiß, dass er noch viele Klinken putzen muss, um genügend Kliniken zu finden, die bereit sind, tatsächlich eine Versicherungsgesellschaft zu gründen. Bisher haben er und Elfes rund 100 Krankenhäuser besucht. „Uns haben viele auf die Schulter geklopft“, berichtet Pega. Mit von der Partie seien aber erst neun Träger mit insgesamt 30 Kliniken und 12 500 Betten. „Das Konzept ist den Leuten sehr schwer zu vermitteln“, räumt er ein. Viele sehen es als Nachteil, dass sie das Eigenkapital des Unternehmens bereitstellen müssen. Laut Pega sind das 12,5 Mio. Euro für 50 000 Betten, also rund 250 Euro pro Bett. Er hofft, dass bei vielen Managern der Ärger über die traditionellen Versicherer langfristig stärker ist als die Angst vor dem unbekannten Risiko.
Dürftiges Angebot
Zu den traditionellen Anbietern gehören vor allem Allianz, Zürich, R+V, Victoria, die Versicherungskammer Bayern und die frühere Basler Securitas, die nur noch als Basler firmiert. Nach dem Jahr 2002, als sich die Prämien auf einem Tiefpunkt befanden, haben sich viele Versicherer wie Gerling oder Axa aus der Krankenhaushaftpflicht zurückgezogen. Sie klagten über geringe Erträge bei zu hohen Risiken.
Ein Behandlungsfehler eines Krankenhausarztes kann die Versicherer schnell bis zu 5 Mio. Euro kosten. Die Branche fürchtet vor allem Spätschäden: Krankenhäuser haften 30 Jahre für Fehler ihrer Ärzte. Und die Zahl der Schadensmeldungen steigt seit Jahren. Dabei mussten in den vergangenen Jahren nicht mehr Schäden reguliert werden, berichtet Manfred Klocke, Hauptgeschäftsführer bei Ecclesia, dem größten Versicherungsmakler für Kliniken. „Nicht das Risiko Krankenhaus ist größer geworden, sondern das Anspruchsverhalten der Patienten hat sich geändert“, sagt er.
Nach seiner Erfahrung ist es aber in jüngster Zeit für Kliniken wieder leichter geworden, eine Haftpflichtdeckung zu erhalten. Die Umstellung der Prämienberechnung von Betten auf Behandlungsfälle habe den Markt erweitert. Der Makler Ecclesia hat in den vergangenen zwei Jahren einen Großteil der von ihm betreuten Verträge umgestellt.
„Es war notwendig, dass dieser Schritt gemacht wurde“, sagt Klocke. „Das Prämienaufkommen war so weit gesunken, dass gegengesteuert werden musste.“ Die Häuser haben immer mehr Betten abgebaut, während sich die Patientenzahlen weiter erhöht haben. Dadurch hätten die Prämien nicht mehr dem realen Risiko entsprochen, erläutert er. Die Versicherungsprämie berechnet sich jetzt nicht mehr nach der Menge der Betten, sondern nach der Zahl der behandelten Patienten. Die Höhe der Prämie hängt weiter vom Haftungsrisiko der verschiedenen medizinischen Fachrichtungen ab: Für Geburtshilfe und Chirurgie sind die Preise am höchsten. Die Umstellung bestehender Verträge sei prämienneutral erfolgt, habe die Krankenhaushaftpflicht aber wieder attraktiver für die Versicherer gemacht, sagt Klocke.
Dass die neue Systematik aktuell keinen Einfluss auf die Prämien hat, bestätigt ein Makler, der nicht genannt werden will. Ob sie wirklich zur Entspannung auf dem Markt führt, sei noch offen. „Bis jetzt rennen uns die Versicherer nicht die Bude ein“, sagt er. Für die Kliniken sei das System positiv. „Die Prämie für das Bett mussten sie bezahlen, egal ob es belegt war oder nicht.“
Auch die Versicherungskammer Bayern will ihre Prämienberechnung umstellen. Sie ist der wichtigste Versicherer für kommunale Krankenhäuser in Bayern. „Wir wollen weg von der Bettenprämie, hin zu Fallpauschalen“, sagt Vorstand Rainer Fürhaupter. Zurzeit sammele das Unternehmen noch Daten.
Risiken verringern
„Die Umstellung birgt aber auch neue Haftungsrisiken“, sagt Fürhaupter. Das Unternehmen setzt auf ein besseres Risikomanagement der Kliniken. 1997 hat es zusammen mit dem weltgrößten Rückversicherer Swiss Re die Tochter Medirisk Bayern Risk Management gegründet, um Krankenhäusern zu helfen, Haftpflichtschäden zu vermeiden. Ein Team aus Juristen, Medizinern und Organisationsfachleuten überprüft Arbeitsabläufe und erarbeitet Konzepte für die Risikovermeidung. Laut Fürhaupter sind die Spezialisten erfolgreich: „Es scheint einen Rückgang der Schäden zu geben.“ Auch Klocke von Ecclesia glaubt, dass Risikoberatungsprogramme zu Erfolgen führen. So hätten die Haftungsschäden in den Hochrisikobereichen Gynäkologie und Geburtshilfe bereits deutlich abgenommen.
Viele Versicherer wollen vor allem aufgrund möglicher Spätschäden nicht mehr nach dem Schadenanfallsprinzip (englisch: Occurrence) versichern. Nach dem Prinzip der Anspruchserhebung (englisch: Claims made) haften sie nur für die Schadensmeldungen während der Vertragslaufzeit. Danach geht die Haftung auf den nächsten Versicherer über, der aber Altschäden ausschließen kann. Bisher konnte sich das Prinzip in Deutschland nicht durchsetzen. Den Anteil von Claims-made-Verträgen schätzt Klocke von Ecclesia auf höchstens ein Prozent. „Der Vorteil liegt nur beim Versicherer“, sagt er. „Die Krankenhäuser werden benachteiligt.“
Rudolf Kösters, Vorstandsvorsitzender der St. Franziskus-Stiftung in Münster und Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft, hält solche Verträge für sehr gefährlich. „Wir als Krankenhäuser haften schließlich für 30 Jahre“, sagt er. „Diese Verträge sind ein süßes Gift, das schließlich doch tötet.“
Auch nach der Einschätzung von Kösters hat sich die Situation bei der Haftpflichtversicherung für Kliniken etwas entspannt. „Es ist nicht mehr so gravierend wie vor einigen Jahren, als die Prämien regelrecht explodiert sind.“ Im Moment gebe es für die Häuser dringendere Probleme wie die hohen Energiekosten.
Es käme aber immer wieder vor, dass ein Makler für eine bestimmte Deckung nur einen Anbieter mit hoher Prämie offeriere. „Wenn man dann ernsthaft mit dem Wechsel droht, ist es erstaunlich, wie die Prämien plötzlich in Bewegung kommen“, ärgert sich Kösters. Bei den 13 Häusern seiner Klinikgruppe setzt das Management daher nicht nur auf einen Makler oder einen Versicherer. „Man muss selbst dafür sorgen, dass es Wettbewerb gibt.“
Kenner der Szene betonen immer wieder, dass einige Häuser gar keine Haftpflichtdeckung haben. Das kann Kösters nicht bestätigen. Es gebe allerdings Träger, die nur sogenannte Großschäden versichern. „Damit kann man Prämien sparen.“
Bekannt für ein solches Versicherungsprinzip sind die Kliniken des LBK Hamburg, die jetzt zur privaten Asklepios-Gruppe gehören. Der LBK hat nur für Schäden eine Police abgeschlossen, die 15 Mio. Euro in zwei Jahren überschreiten, alles andere wird intern reguliert. Ob sich an dem Prinzip in den letzten Jahren etwas geändert hat, will das Unternehmen nicht kommentieren. Asklepios stuft diese Fragen inzwischen als „Geschäftsinterna“ ein.
Die Beschränkung auf die Versicherung von Großschäden kann bei größeren Kliniken Sinn ergeben, sagt Kösters. Skeptisch sieht er dagegen das Selbstversicherungs-Konzept von Pega und Elfes. Damit sind die Krankenhäuser viel zu stark gebunden, sagt Kösters. „Man muss sich schließlich verpflichten, für 30 Jahre eine Deckung zu bieten.“
Außerdem müsste die KHVG sich Rückversicherungsschutz einkaufen. „Damit wäre man wieder den Schwankungen des weltweiten Versicherungsmarktes unterworfen.“ Mit der Bindung an einen Versicherer – auch wenn es der eigene ist – verliert das Management viel Flexibilität, glaubt Kösters. „Ich bleibe viel freier, wenn ich auf dem Markt den Anbieter wechseln kann.“
Quelle: Financial Times Deutschland
Dieser Beitrag ist nur für Premium-Abonnenten vom Versicherungsmonitor persönlich bestimmt. Das Weiterleiten der Inhalte – auch an Kollegen – ist nicht gestattet. Bitte bedenken Sie: Mit einer von uns nicht autorisierten Weitergabe brechen Sie nicht nur das Gesetz, sondern sehr wahrscheinlich auch Compliance-Vorschriften Ihres Unternehmens.
Diskutieren Sie mit
Kommentare sind unseren Abonnenten vorbehalten. Bitte melden Sie sich an oder erwerben Sie hier ein Abo