Seit dem 1. Juli müssen Versicherer potenzielle Kunden umfassend informieren.Doch die haben wenig davon
Wer in diesen Tagen eine Lebens- oder Rentenversicherung abschließen will, staunt nicht schlecht: Er wird mit Informationen überschüttet, bekommt Papierberge, CDs oder USB-Sticks. Wer Angebote vergleichen will, arbeitet sich durch Hunderte von Seiten und mehrere Kilobytes, und das auch noch vergebens. „Das versteht kein Mensch“, sagt der Kölner Versicherungsanwalt Theo Langheid. „Selbst Fachleute tun sich mit dieser Informationsüberflutung schwer.“
Seit dem 1. Juli gilt die Informationspflichtenverordnung zum Versicherungsvertragsgesetz (VVG). Sie ist Teil einer umfassenden Reform, die das Verhältnis von Assekuranz und Kunden neu regelt. Der Gesetzgeber wollte damit den Verbraucherschutz stärken. Anbieter müssen Kunden vor dem Abschluss die Bedingungen zukommen lassen und ihnen ein „Produktinformationsblatt“ aushändigen. Verbraucher sollen die wesentlichen Aspekte etwa eines Altersvorsorgevertrags erfassen können. Doch das Gegenteil ist der Fall. Allgemeine Geschäftsbedingungen, Tarifbestimmungen, Anmerkungen zum Datenschutz und zum Geldwäschegesetz, das Produktinformationsblatt und noch mehr – auch für gut gebildete, in Fragen der Vermögensanlage versierte Verbraucher ist Wichtiges kaum von Unwichtigem zu unterscheiden.
„Die Kunden sind damit total überfordert“, sagt der Aachener Versicherungsmakler Marc Jacobs. Makler müssen anders als Vertreter für Kunden verschiedene Angebote prüfen und ihnen die besten vorschlagen. So mancher Kunde vernichtet vor Jacobs‘ Augen die gerade überreichte CD – weil er mit der Informationsüberflutung gar nicht erst in Berührung kommen will. Das Ergebnis ist das gleiche wie bei jenen Verbrauchern, die sich dem Dickicht stellen. „Es ist eine Illusion, zu glauben, dass man Angebote miteinander vergleichen kann“, sagt Hans-Ludger Sandkühler vom Institut der Versicherungsmakler.
Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen Kunden im Produktinformationsblatt alle wichtigen Angaben finden. Doch viele dieser „Blätter“ haben etwa bei Rentenpolicen zehn und mehr Seiten. Die Gestaltung unterscheidet sich von Anbieter zu Anbieter erheblich. Versicherer müssen die garantierten Leistungen angeben, die der Kunde erhält, wenn er den Vertrag bis zum Ende durchhält. Außerdem zeigen sie eine Prognoserechnung, bei der sie mit bestimmten Wert- oder Zinsentwicklungen operieren und die absolut unverbindlich sind. Bei konventionellen Lebenspolicen finden Kunden zudem die „normierte Modellrechnung“, bei der die Versicherer mit vorgeschriebenen Zinssätzen rechnen. Verbindlich ist aber nur die zugesagte garantierte Leistung.
Die Versicherer müssen auch die kalkulierten Abschlusskosten in Euro und Cent ausweisen, die Verwaltungskosten können sie als Euro-Betrag oder Prozentsatz zeigen. Je mehr Geld der Kunde in den Vertrag zahlt, desto höher ist die Abschlussgebühr, die zu großen Teilen an den Vermittler fließt. Wer über 30 Jahre monatlich 200 Euro in einen Vertrag steckt, muss mit einer Provisionszahlung um die 3000 Euro rechnen. Doch im Produktinformationsblatt sind nicht alle Kosten sichtbar. „Die Versicherer müssen in den Abschlusskosten nur die in die Prämie einkalkulierten Kosten zeigen“, erklärt Sandkühler. Werden Gebühren etwa bei einer fondsgebundenen Police nicht aus der Prämie genommen, sondern aus dem Fondsvermögen, muss der Versicherer sie nicht in Euro und Cent ausweisen. Manche Anbieter tun das aber – und stiften noch mehr Verwirrung. Hinzu kommt: Die Kosten stechen dem Kunden sofort ins Auge, sollten aber nicht das einzige Kriterium für den Abschluss sein. „Wichtig ist auch, ob es den Versicherer in 30 Jahren noch geben wird und wie er seine Kapitalanlagen organisiert“, sagt Sandkühler.
Auch Verbraucherschützer kritisieren die neue Unübersichtlichkeit. „Der Gesetzgeber hat es versäumt, mit klaren Normierungen dafür zu sorgen, dass Angebote vergleichbar sind“, sagt Arno Gottschalk von der Verbraucherzentrale Bremen. Er rät Kunden, vor Vertragsabschluss eine unabhängige Beratung bei einem Experten in Anspruch zu nehmen, der nicht an der Vermittlung der Verträge verdient. Das sind neben Verbraucherzentralen Versicherungsberater, die auf Honorarbasis tätig sind. Doch davon gibt es erst wenige. In das zentrale Versicherungsvermittlerregister haben sich bis Ende Juli nur 131 Versicherungsberater eingetragen.
Anja Krüger
Quelle: Financial Times Deutschland
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