Wie der Kunde nichts vom Verkauf der Rechnung erfährt
Von Patrick Hagen
Nicht alle Firmen schätzen es, wenn sie von ihrem Geschäftspartner erfahren, dass er ihre offenen Rechnungen verkauft hat. Wer sensible Kunden nicht abschrecken möchte, kann zu einer speziellen Form des Forderungsverkaufs greifen – dem stillen Factoring. Der Kunde erfährt dabei nichts von dem Verkauf seiner Rechnung. Diese Variante kommt aber nicht für jede Firma infrage. Die Factoring-Unternehmen schauen sich ihre Kunden vorher viel genauer an als beim klassischen Factoring.
Beim offenen Factoring weiß der Kunde, dass ein Factoring-Anbieter im Spiel ist. Der übernimmt in der Regel das gesamte Mahnwesen. Bei der stillen Variante verbleibt das Forderungsmanagement beim Unternehmen. Der Kunde überweist das Geld weiterhin auf das Unternehmenskonto und nicht auf das Konto des Rechnungskäufers.
In Deutschland dominiert die offene Variante. Genaue Zahlen über den Marktanteil gibt es aber nicht. Der Deutsche Factoring-Verband führt keine Statistik über die Verbreitung der stillen Form. „Stilles Factoring ist keine der klassischen Varianten“, sagt Verbandspressesprecher Alexander Moseschus.
Über die tatsächliche Verbreitung gibt es in der Branche Uneinigkeit. „Es macht nur einen kleinen Anteil aus“, sagt Moseschus. Das gelte aber nur für die Kundenzahlen, sagt Stephen Bohner, Marketing-Manager bei Eurofactor, einer Tochter der französischen Bankengruppe Crédit Agricole. „Betrachtet man dagegen das gesamte angekaufte Forderungsvolumen, ist der prozentuale Anteil bei der stillen Variante deutlich höher“, sagt er. Denn vor allem größere Unternehmen nutzten diese Form des Factoring.
Joachim Secker, Geschäftsführer der GE Heller Bank, weist darauf hin, dass Factoring in einigen Branchen fast nur in der stillen Form möglich ist. „Dazu gehören Handelsketten und die Automobilindustrie“, sagt Secker. Unternehmen, die in diesen Branchen Geschäfte machen, weichen häufig auf das stille Factoring aus, sagt er. „Der Anteil der stillen Form ist aber insgesamt kleiner als der des offenen Factoring.“
Höhere Bonitätsanforderungen Allerdings kann nicht jedes Unternehmen diese Variante nutzen. In der Regel kommt es nur für größere Firmen infrage, die ihr Forderungsmanagement nicht so einfach auslagern können oder wollen. Eurofactor beispielsweise verlangt, dass Unternehmen mindestens 5 Mio. Euro Jahresumsatz erzielen.
Hinzu kommt: Die Factoring-Gesellschaften achten genauer auf die Bonität des Lieferanten und seiner Kunden. Sie gehen beim stillen Forderungsverkauf ein größeres Risiko ein. „Durch die fehlende Kommunikation mit dem Rechnungsempfänger haben es Betrüger leichter“, sagt GE Heller-Geschäftsführer Secker. Zahlt der Schuldner die Rechnung tatsächlich nicht, wird der Forderungsverkauf irgendwann offengelegt.
Eine andere Variante, die sich stark vom klassischen Rechnungsverkauf unterscheidet, ist das sogenannte unechte Factoring. Hierbei schützt die Factoring-Gesellschaft ihren Kunden nicht vor dem Ausfall der Forderung. Wie bei der klassischen Variante kauft sie zwar eine Rechnung an und überweist das Geld an den Kunden. Wird die Rechnung aber nicht bezahlt, holt die Factoring-Gesellschaft sich das Geld von ihrem Kunden wieder.
In Deutschland kommt diese Variante im Gegensatz zu den meisten anderen Europäischen Ländern kaum vor. „Unechtes Factoring wird nicht nachgefragt“, sagt Secker.
Für die Kunden hat die Variante den Nachteil, dass sie nicht so bilanzwirksam ist wie klassisches Factoring. Verkauft ein Unternehmen seine offenen Rechnungen, verbessert es seine Eigenkapitalquote. Das erleichtert ihnen, Kredite aufzunehmen. „Der Kunde will in der überwiegenden Zahl der Fälle auch seine Bilanz entlasten“, sagt Secker.
Quelle: Financial Times Deutschland
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